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Koralmtunnel - ist er einmal fertig und soll er sinnvoll sein, müssen weitere teure Projekte folgen.

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Franz Fally: Der Skylink ist im Vergleich ein Klacks.

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Sieben Prozent der Passagiere der ÖBB sind im Fernverkehr unterwegs. Nach realistischer Zählung dürften kaum mehr Fernreisende auf dem gesamten Schienennetz unterwegs sein als solche, die allein vom Flughafen Schwechat abfliegen! Der Terminal Skylink wurde wegen der Kosten von etwa 0,8 Milliarden Euro kritisiert - am Bahnausbau hängt ein Preisschild, das insgesamt weit über dem Hundertfachen des Skylink liegt.

Verkehrspolitik ist Investitionspolitik. Jedes Projekt generiert mindestens ein Nachfolgeprojekt. Der offenkundig unsinnige Koralmtunnel wird zur Rechtfertigung einer XXL-Variante des Semmeringbasistunnels. Die vielfärbigen Lobbyisten stimmen die Öffentlichkeit mittlerweile in die dann nötige Tunnelkette Wörthersee ein, wohl wissend, dass das künstlich geschaffene Nadelöhr Bruck-Graz ebenfalls nach einer Mega-Baulösung ruft. Das erinnert nicht zufällig an die Tricks mieser Betrüger, die ihren Opfern mit der vorgetäuschten Aussicht auf einen glänzenden Gewinn immer höhere Geldbeträge herauslocken. Bis das Kartenhaus zusammenfällt.

Bedauerlicherweise ist die Industrie in der Lage, eine unheilvolle Allianz zu bilden: Mit der ÖBB, die zum Spielball der Bauwirtschaft wird; einer großen Zahl an Gutachtern und Experten, die sich an den Töpfen außerordentlich nähren können; mit Medien, die vom Inseratenkuchen der involvierten Parteien reichlich gefüttert werden und ihre Kontrollaufgaben vergessen; mit den Interessenvereinigungen der Wirtschaft, die Einzelinteressen vor die Gesamtinteressen ihrer Mitglieder stellen; und leider auch den Gewerkschaften, die unverständlicherweise noch immer nicht verstehen, dass diese Großbauprojekte allenfalls minimal positive Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt haben.

Beutegemeinschaft

In kaum einem anderen Bereich kann in Österreich so viel Geld auf relativ einfache Art und Weise den Steuerzahlern aus den Taschen gezogen werden. Alle Nutznießer könnte man als Beutegemeinschaft sehen, über die erst kürzlich ein ehemaliger Chefredakteur treffend schrieb: "Es gibt zu viele, die auf Kosten ihrer Nachfolger und kommenden Generationen vom bestehenden System profitieren."

1989 fielen nach Untersuchungen durch das internationale Beratungsbüro A. D. Little über die Möglichkeiten der Modernisierung unserer Bahn die ersten Investitionsbeschlüsse, "die neue Bahn" zu schaffen. Betriebswirtschaftliche Rentabilität war damals noch eine Zielvorgabe. Mit der Vorgabe, den Zuschussbedarf der ÖBB bei umgerechnet rund zwei Milliarden Euro zu stabilisieren, versuchte man Skeptiker zu beruhigen.

1994 stellte das Finanzministerium fest, dass bei Fortsetzung hoher Investitionen die ÖBB zu einem "Fass ohne Boden" zu werden drohe und der Zuschussbedarf nicht nur nicht sinken, sondern sich bald verdoppeln könnte. Diese Einschätzung hat sich als richtig herausgestellt.

Verstoß gegen Verfassungsgrundsätze

Unter dem damaligen Verkehrsminister Viktor Klima wurde in den 1990er-Jahren eine Reihe von Persönlichkeiten aus der Industrie beauftragt, einen Vorschlag für die Finanzierung auszuarbeiten, der Vorlage für ein neues Schieneninfrastrukturgesetz war. Auf dem Papier entstand ein Perpetuum mobile: 60 Prozent der Investitionsausgaben sollten durch Steuern und Abgaben wieder an das Budget zurückfließen, rund 25 Prozent sollten die ÖBB selber tragen und rund 15 Prozent in Form von PPP-Modellen von privaten Interessenten aufgebracht werden.

In Gefahr, die gleichsam ewige Rente aus den Bahninvestitionen zu verlieren, geriet die Baulobby im Dezember 2002: Rechnungshofpräsident Franz Fiedler kritisierte, dass in den 1990er-Jahren über 100 Milliarden Schilling in den Bahnausbau gesteckt worden waren - ohne irgendeinen Nutzen für die Bahnkunden. Erstaunlicherweise fand dieser Alarmruf wenig Echo.

In der Folge wurden gegen die Verfassungsgrundsätze Zweckmäßigkeit, Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit immer neue Großprojekte beschlossen - Inntalausbau, Brennerbasistunnel und eben Koralmtunnel. Die jährlichen Investitionen in die Bahn erreichten ab 2009 jährlich etwa 2,3 Milliarden Euro. Diese mussten durch neue Schulden aufgebracht werden.

Es ist gelungen, ein System der Verantwortungslosigkeit einzurichten, in dem Milliardenbeträge ausgegeben werden können, ohne einen Letztverantwortlichen dingfest machen zu können: Die ÖBB verweist auf das Verkehrsministerium, dieses auf (Blitz-)Beschlüsse des Parlaments, die Abgeordneten verweisen retour auf Unterlagen aus dem Verkehrsministerium, dieses winkt mit Studien, deren Autoren sich mittlerweile zunehmend von ihren früheren Arbeiten distanzieren oder auf - ungeprüft übernommene - Zahlen aus der ÖBB ausreden. Im Endeffekt ist jeder im wahrsten Sinne des Wortes verantwortungslos.

Der Personenfernverkehr stagniert

Die Faktenlage ist ja keineswegs kompliziert: Die Bauinvestitionen im Bahnbereich liegen seit vielen Jahren erheblich über den Marktumsätzen der ÖBB auf dem österreichischen Schienennetz, die nur 1,3 bis 1,4 Milliarden Euro im Jahr betragen (staatliche Zuschüsse und Umsätze im Nichtschienenbereich nicht eingerechnet). Eine Situation, in der kontinuierlich mehr investiert als umgesetzt wird, gibt es in der freien Wirtschaft faktisch nicht.

Der Personenfernverkehr stagniert, teilweise kommt es sogar zur rückläufigen Entwicklung. Zuwächse verzeichnet der Nahverkehr in den Ballungsgebieten, daher können Investitionen in diesem Bereich gerechtfertigt sein.

Der Transitverkehr auf der Schiene verliert auf den meisten Strecken an Bedeutung. Ein konkretes Beispiel: Auch auf der Südstrecke sind beim Bahngüterverkehr seit 2000 de facto keine Zuwächse mehr eingetreten. Die einfältigen Prognosen, die unter Klima verbreitet wurden - die Semmeringstrecke wäre rund um 2010 bereits jenseits der Kapazitätsgrenze und die Bahn müsste die Übernahme von Fracht ablehnen -, haben sich als Lobbyistenpropaganda entpuppt.

In einem Gutachten über den Semmeringbasistunnel heißt es unter anderem: Mit dem Tunnel erhöhe sich die Anzahl der Fahrgäste pro Tag von circa 6860 im Jahr 2006 auf 13.000 im Jahr 2025 (+90 %) und etwa 17.100 (+149 %) 2055. Tatsache ist: Der Personenverkehr über den Semmering ist seit Jahren rückläufig. Eine Zählung von Mai 2010 ergab, dass nur mehr 3000 bis 3.500 Fahrgäste pro Tag diese Strecke benützen.

Frühere Regierungen haben sich nicht so lernresistent gezeigt. Nach dem zweiten Verstaatlichten-Debakel wurde beschlossen, die noch dem Staat gehörenden Betriebe zu privatisieren. Daraus wurde eine Erfolgsstory. Bei der ÖBB geht es nicht um Privatisierung, sondern darum, das "Fass ohne Boden" abzudichten. Und dazu ist eine Eindämmung des Investitionswahnsinns dringend geboten.(Franz Fally, DER STANDARD, 2.12.2013)