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So sah der SCS-Parkplatz im Jahr 2011 aus. Mittlerweile wurde das Center modernisiert. Am "modal split" - also dem Verhältnis zwischen mit dem Auto und den Öffis Anreisenden - dürfte das wenig ändern.

Foto: APA/Pfarrhofer

Wien - "Das Einkaufszentrum ist tot!", postulierte Victor Gruen bereits im Jahr 1974. In einer lebenswerten Stadt habe das "einfunktionelle periphere Einkaufszentrum keinen Platz", so der Stadtplanungspionier damals auf einem Vortrag in München. Diese städtischen "Monokulturen", diese "Anhäufungen von Gebäuden, die nur einer Funktion dienen", sie seien ruinös, sorgten für Ghettobildung, die die Stadt in Fragmente zerreiße und "einen ungeheuren Bedarf an Zwangsmobilität" erzeuge. "Das Einkaufszentrum ist tot, weil es auf Öl gebaut ist und weil es natürliche Güter wie Land und Energie vergeudet."

Die Bauherren und Architekten der darauffolgenden Jahrzehnte hörten nicht auf ihn. Auch in Österreich nicht. Schon gar nicht in Österreich. Das Land, aus dem der Jude Victor Gruen, eigentlich Viktor David Grünbaum, 1938 vertrieben wurde und in das er Ende der 1960er-Jahre zurückkehrte, fing mit dem Shoppingcenter nach US-amerikanischem Vorbild gerade erst richtig an. 1976, zwei Jahre nach dem Vortrag, wurde etwa die SCS eröffnet, die heute zu den größten Zentren Europas gehört.

60 Jahre Einkaufszentrum

Paradoxerweise geht dieses "US-amerikanische Vorbild" geradewegs auf Victor Gruen zurück. Er war es, der als Architekt in den USA ab dem Jahr 1948 die ersten Malls entwarf. Auf seine Pläne gehen sowohl das erste offene als auch das erste überdachte und klimatisierte Shoppingcenter zurück: das Northland Center nahe Detroit (eröffnet 1954) und das Southdale Center in Minneapolis (1956).

Nach diesen Grundsteinlegungen des Konsumzeitalters wurde auch in Österreich jahrzehntelang gebaut, was sich marktwirtschaftlich legitimieren ließ. Auf andere Kriterien, Raumplanung, Bedürfnisse weniger mobiler Bevölkerungsteile oder gewachsene Ortskerne nahm kaum jemand Rücksicht. Heute ist der Markt gesättigt, der Boom vorüber. "Im Jahr 2013 wurde kein bedeutendes neues Einkaufszentrum mehr in Österreich eröffnet", sagt Wolfgang Richter von RegioPlan. "Die Zeiten, in denen Investoren nur darauf warten, das nächste Einkaufszentrum auf der grünen Wiese bauen zu dürfen, sind vorbei."

"Alles möglich"

Auch wenn etwa der Standort Parndorf noch Zuwachs bekommen dürfte (siehe dazu Artikel "Enormes Griss um gewidmete Parndorfer Wiesen"), ist es schwieriger geworden, neue Zentren umzusetzen. "Spät, aber doch haben die Bundesländer ihre Gesetze zwar verschärft, doch stellen die bestehenden Handelsstandorte an der Peripherie weiterhin eine immense Hypothek für den innerstädtischen Handel dar", urteilt der renommierte Raumplaner Reinhard Seiß (siehe auch Interview). Immerhin gebe es bei bestehenden Anlagen noch die Möglichkeit des Aus- und Umbaus - jüngst etwa beim Fischapark in Wiener Neustadt. Und: "In manchen Ländern zeigt sich immer wieder, dass die Raumordnung mit mehr oder weniger großer Kreativität bereit ist, die eigenen Gesetze zu umgehen, wenn es sich um ein Projekt handelt, das politisch gewollt ist." Da könne es etwa vorkommen, "dass auch ein abgelegener Standort im Flächenwidmungsplan als Kerngebiet definiert wird und dort somit alles möglich ist".

Und die Umweltverträglichkeitsprüfung? Die ist "bei den meisten Großprojekten reine Augenauswischerei", sagt Seiß, Mitglied des Beirats für Baukultur im Bundeskanzleramt. Denn: "Sie setzt dann an, wenn ein Projekt im Grunde bereits beschlossen ist, und wird meist von jenen beauftragt, die hinter einem Bauvorhaben stehen." Die Instrumente wären da, allein, es mangelt an ihrer Handhabung: "Österreich ist kein Land, in dem die Politik sich selbst Spielregeln auferlegt, die sie auch ernst nimmt."

Vorbild Schweiz

Das ist nicht überall so: "Der Schweizer Kanton Bern reglementiert Einkaufszentren nicht nur über die Raumordnung, sondern auch über den Umweg der Luftreinhaltepolitik", erklärt Seiß. "Da wird ein limitiertes Kontingent an Projekten vergeben, und die Betreiber müssen sich an eine strenge Begrenzung der Parkplätze halten."

Der Kanton könne dort, wenn zu viele Autos kommen, sogar die Ladenöffnungszeiten des Einkaufszentrums beschränken. "Ein solcher Eingriff wäre bei uns undenkbar." Auch Deutschland reglementiert stärker. Dort stehen laut Seiß lediglich 17 Prozent der Einkaufs- und Fachmarktzentren an der Peripherie. In Österreich sind es 51 Prozent.

Aber nicht nur Gesetze, auch das Konsumverhalten der Menschen bremst den Wildwuchs der Shoppingcenter: Die Käufer, die sich einst vom Greißler und vom Fachgeschäft in der Innenstadt abwandten, um in der klobigen "Einkaufsmaschine" (Gruen) am Stadtrand einzukaufen, wandern weiter. Besser gesagt: Sie bleiben zu Hause. Ein Ende des kometenhaften Aufstiegs des Internethandels ist nicht abzusehen, mehr und mehr Produktgruppen werden erschlossen.

"Überholtes Konzept" - schon 1974

Diese Entwicklung konnte Gruen, der 1980 starb, nicht mehr miterleben. Für ihn waren Einkaufszentren schon 1974 "ein überholtes Konzept", weil damals erste Verordnungen in den USA Umweltauflagen stellten. Lärm, Abgase, Luftverschmutzung würden seiner damaligen Vorstellung nach das Geschehen wieder in die Stadtzentren treiben.

Ein Ziel war für ihn auch, "der Selbstbewegung durch Muskelkraft sowie der sparsamen und weniger umweltzerstörenden Methode des Kollektivverkehrs neue Chancen zu geben". Ein auch heute noch zeitgemäßer Gedanke, den Gruen am weniger zeitgemäßen Bild einer "Hausfrau" erklärte, "die gewohnt war, einen Liter Milch um die Ecke zu kaufen", und nun, im Zeitalter der Einkaufszentren, für denselben Liter Milch viel "Zeit und Nervenkraft opfern" müsse. "Unsere Hausfrau ist gezwungen, sich nicht nur ein Auto anzuschaffen, sondern es auch ständig zu benutzen", befürchtete Gruen. "Da sie überhaupt nicht mehr zu Fuß geht, beginnt sie an verschiedenen Krankheiten, die aus Unbeweglichkeit resultieren, zu leiden und kann diesen Verfallserscheinungen nur entgegentreten, indem sie sich mit elektrischen Massageapparaten und Turngeräten (...) fit hält." Leider hilft auch der E-Commerce, der die Bedeutung der Malls zunehmend schwächt, der "Hausfrau" nicht, fit zu bleiben. Joggen hilft, das haben die 1980er-Jahre gezeigt.

Aberkannter Titel

Während sich ab den 1970er- Jahren in Österreich die Center am Stadtrand ausbreiteten, engagierte sich Gruen für die Revitalisierung der Wiener City. "Alle Maßnahmen, die ich vorschlug, stießen bei der Stadtverwaltung auf offenen Widerstand", schrieb er laut Anette Baldauf, die sich 2010 gemeinsam mit Katharina Weingartner in der Filmdoku "Der Gruen Effekt" auf die Spur des Shoppingmall-Erfinders begab, in seiner unveröffentlichten Autobiografie. Und dem österreichischen Beamtentum waren auch seine Erfolge in den USA egal: Der Berufstitel "Architekt" wurde ihm aberkannt, weil er sein Studium im nationalsozialistischen Wien nicht abgeschlossen hatte.

Baldauf schreibt, dass er sich mit der Verbreitung seiner Shoppingmall-Idee der Ironie seines Lebens stellen musste: "Während er versucht hatte, das alte, europäische Stadtzentrum auf die US-amerikanische Vorstadt zu übertragen, war die Shoppingmall in die europäischen Städte vorgedrungen und drohte sein Modell des urbanen Lebens zu zerstören."

"Missratene Kinder"

Gruen sollte zumindest in Ansätzen recht behalten. Aber nicht Ölkrise oder Umweltzwänge scheinen die Shoppingcenter zum "überholten Konzept" zu machen, sondern die technische Evolution. Computer und Internet. Den Titel des "Vaters des Einkaufszentrums" wies er zurück: "Ich habe die ,Vaterschaft'-Verantwortung nie akzeptiert und mich stets geweigert, für die zehntausenden illegitimen Kinder, die zum Großteil missraten sind, Alimente zu zahlen." (Alois Pumhösel, Martin Putschögl, DER STANDARD, 30.11.2013)