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Dagobert Duck ist das reichste Federvieh in Entenhausen - ein Sinnbild für Geiz und Gier in Reinform.

Foto: apa/dpa/Marcus Fuehrer

Geiz ist ganz und gar nicht geil, auch wenn uns die Elektronikhandelskette "Saturn" jahrelang vom Gegenteil überzeugen wollte. - Denn vor allem in Zeiten des wirtschaftlichen Umbruchs scheint die gesellschaftliche Akzeptanz der "Avaritia" - unter der Geiz und Habgier subsummiert werden - besonders gering zu sein.

Bereits der Mönch Euagrios Pontikos, der im 4. Jahrhundert die klassische Todsündenlehre begründete, sah in der Geldgier "die Wurzel aller Übel". Doch die Verteufelung der "schlechten Gedanken" - wie die schlimmsten aller Sünden ursprünglich genannt wurden - folgte immer auch einem veränderbaren hierarchischen Prinzip: Während etwa im frühen Mittelalter der Stolz als das größte Laster schlechthin identifiziert wurde, trat im Hochmittelalter - durch die Intensivierung des Handels- und Bankwesens - erneut die Verwerflichkeit der Habgier in den Vordergrund.

So überrascht es nicht weiter, dass Geiz und Habsucht auch gegenwärtig wieder eine Renaissance in der negativen Wahrnehmung erfahren. Laut einer 2012 publizierten Studie des Religionspädagogen Anton Bucher von der Universität Salzburg rangiert die Abscheu gegenüber dem ungebührlichen Anhäufen von Geld und Besitztümern unangefochten an erster Stelle - und zwar unabhängig vom Alter und Geschlecht der insgesamt 376 Befragten.

Gier: Voraussetzung für Wohlstand?

Darüber, ob geiziges und gieriges Verhalten angeboren ist oder im Zuge der Sozialisation erlernt wird, sind sich Wissenschaftler noch uneinig. Vor die Wahl gestellt, entscheidet sich jedenfalls ein Großteil der Menschen dafür, mehr zu besitzen als die anderen. Diesen Schluss legt zumindest ein Verhaltensexperiment der Münchner Informatikerin Ulrike Lechner nahe: Demnach war es für die Mehrheit der Probanden attraktiver 100.000 Euro zu verdienen, wenn im Gegenzug alle anderen nur 50.000 bekommen als selbst 200.000 Euro zu kassieren (also doppelt so viel wie in der präferierten Variante), wenn gleichzeitig sämtliche Mitmenschen 300.000 erhalten.

Begründet wird diese prinzipiell irrationale Entscheidung damit, dass sich menschliches Verhalten vor allem daran orientiert, immer etwas besser abschneiden zu wollen als die Konkurrenz. Denn nur so erhält der Einzelne Überlebensvorteile gegenüber der Gruppe. "Wenn unsere Vorfahren nicht gierig gewesen wären und nicht gehortet hätten, wären wir nicht da", ist Anton Bucher überzeugt. Einen ähnlichen Standpunkt vertritt auch der britisch-deutsche Wirtschaftsjournalist Alan Posener, der in der Gier den wichtigsten Treiber für unseren Wohlstand sieht.

"Aber übersteigerte Gier, wie immer wieder an den Finanzmärkten zu registrieren, schädigt andere und auch das Subjekt selber", relativiert Anton Bucher. - Denn wer so wenig wie möglich in den Wirtschaftskreislauf hineingibt und so viel wie möglich aus ihm herauszieht, trägt nichts mehr zum Wohlstand der Allgemeinheit bei. - Oder wie es Gerhard Kruip, Leiter der Abteilung für Christliche Anthropologie und Sozialethik an der Johannes Gutenberg Universität Mainz, formuliert: "Geiz und Habgier verabsolutieren Geld und Besitz, die ja einen sinnvollen Zweck haben können, zum Zweck an und für sich".

Was ist noch gesund?

Doch wo liegt die Grenze zwischen krankhaftem Geiz beziehungsweise maßloser Gier und der bürgerlichen Sekundärtugend der "Sparsamkeit", die neuerdings auch von der ÖVP unabdingbar eingefordert wird. Um die abnormen Erscheinungsbilder derartiger menschlicher Verhaltensweisen empirisch nachweisen zu können, empfiehlt Religionspädagoge Bucher einen Blick auf die psychologische Forschung, die sich mit der wissenschaftlichen Definition von Zwangs- und Impulskontrollstörungen befasst. Hier ist freilich nicht mehr vom moralisch aufgeladenen und altertümlichen Konstrukt der "Avaritia" die Rede, sondern von "Oniomanie", "Kaufzwang" oder "Messie-Syndrom".

Wie eng Geiz und Gier beieinander liegen (die beiden Begriffe wurden bis ins 18 Jahrhundert synonym verwendet), zeigt sich im pathologischen Kaufverhalten, bei dem der Betroffene über einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten regelrecht zwanghaft Dinge anschafft, die er gar nicht benötigt. Damit einher geht häufig auch der Drang zum zwanghaften Horten, da die weit über den eigenen Bedarf hinaus gekauften Gegenstände oft unausgepackt in der Wohnung gelagert werden.

Wenn Gier zur Sucht wird

"Impulsives Kaufen kann sich in chronische Kaufsucht verfestigen, wenn bei Ersterem hinreichend Dopamin ausgeschüttet wurde und sich suchtähnliche Dispositionen bilden", meint Anton Bucher.

Auch der Psychiater und Neurologe Hans Breiter konnte mit seinen Forschungen an der Harvard Medical School einen Zusammenhang zwischen "Sucht" und "Gier" feststellen. Er untersuchte, ob es Ähnlichkeiten in der Gehirnaktivität von Kokainsüchtigen, die dem nächsten Drogenkick entgegenfieberten, und Anlegern gibt, die finanzielle Spekulationen mit unerwartet hohen Gewinnchancen durchführten. In beiden Fällen waren außerordentlich starke Aktivitäten im sogenannten "Nucleus accumbens" zu beobachten - also jener Gehirnregion, in der sich die Dopaminrezeptoren (D2) befinden, und die auch für die Erwartung eines Glücksgefühls und für die Entstehung von Sucht eine zentrale Rolle spielt.

"Wird mit gewagten Spekulationen wiederholt Gewinn eingefahren, kann Geld beziehungsweise die Gier danach zur Droge werden. Die Broker suchen weniger das Ergebnis, sondern den Kick, die rauschhafte Erregung, in der Dopamin und Endorphine ausgeschüttet werden", erklärt Bucher.

Die Ursache für gieriges Verhalten liegt nach Ansicht des Religionspädagogen vor allem im geringen Selbstwert der Betroffenen: "Menschen fühlen sich genötigt, habgierig in die Geschäfte zu eilen, wenn sie sich deprimiert und weniger wert fühlen", so Bucher. Nicht zuletzt dürfte auch die Sozialisation in einer von Konsum geprägten Gesellschaft dieses Kompensationsverhalten fördern. - Das legt zumindest ein Blick auf die Statistik nahe: Laut Erhebungen der Arbeiterkammer ist in Österreich - trotz Wirtschaftskrise - der Anteil der kaufsuchtgefährdeten Bevölkerungsgruppe mit 20 Prozent seit Jahren nahezu unverändert. Die Frage ist nur: Wie lange noch? (Günther Brandstetter, derStandard.at, 29.11.2013)