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Madrid, 25. November: Eine Frau hebt bei einer Demo die Hände als Zeichen gegen die Männergewalt. 70 Prozent aller Spanierinnen sind im Laufe ihres Lebens mit Übergriffen konfrontiert.

Foto: AP/Kudacki

Sechs Betroffene der spanischen "Macho"-Gewalt werden kommendes Frühjahr selbstangebautes Biogemüse auf einem Acker bei Fuente Vaqueros, unweit von Granada, ernten. Dort soll in zwei Jahren eine Landwirtschaftsschule für Geschlechtergewalt-Opfer eröffnet werden. "Die Tätigkeit in und mit der Natur steigert das psychische Wohlbefinden der Frauen deutlich", sagt Ramón Fontela, Direktor der NGO Centro de Primera Atención a Mujeres y Niños (CEPAMN), des Erstaufnahmezentrums für Frauen und Kinder.

In 37 "schweren Fällen" habe man bisher Hilfe leisten können, schildert Fontela: "Zwei Frauen haben wir das Leben gerettet. Deren 'Ex' sind in Haft." Erst vor knapp zwei Jahren hat er seine NGO gegründet, zusammen mit seiner Lebenspartnerin Palmira Crespo. Sie war selbst über Jahre von ihrem Ex-Partner misshandelt worden, ehe sie der alltäglichen Hölle zu entkommen vermochte. Mittlerweile sind sie und Fontela seit vier Jahren ein glückliches Paar.

"Die Wunden sind sehr tief, die unsichtbaren mehr als die sichtbaren. Traumata wiegen schwer", weiß Fontela. Ein Hauptproblem sei die Abhängigkeit: Betroffene glaubten, sie bräuchten den Gewalttäter, der sie immer mehr isoliere, manipuliere und kontrolliere. Daher müssten sie ihre Opferrolle verlassen: Neben Kunstkursen biete CEPAMN daher auch Selbstverteidigungskurse mit der Polizeigewerkschaft an. Sie sollen dazu dienen, Angriffe des (Ex-) Partners abwehren zu können, aber auch "das Selbstvertrauen und -bewusstsein steigern".

Subventionen bekommt CEPAMN nicht: "Das macht uns unabhängig. Die Solidarität der Bevölkerung ist zum Glück groß", betont Fontela. Neben einem Frauenhaus betreibt die NGO auch eine Sozialküche in La Chana, einem Randbezirk Granadas. Jährlich werden dort rund 28.000 Gratismahlzeiten ausgegeben: "Entgegen dem, was die Regierung sagt, hungern viele Spanier."

Immer mehr Notrufe

Fünf Kinder sowie 45 Frauen sind im laufenden Jahr von deren (Ex-)Partnern getötet worden. Die jüngste war kurz davor, ihren 17. Geburtstag zu feiern, fünf noch nicht volljährig. Nur neun hatten zuvor Anzeige erstattet. Die Ermordeten hinterlassen 41 Waisen. Laut spanischem Gesundheitsministerium leben rund 16.500 Frauen - davon 118 Minderjährige zwischen 14 und 18 Jahren - in Risikosituationen, weil sie ihre Misshandler angezeigt haben. 4878-mal wurde im Oktober per Notruf 016 Hilfe gesucht, um ein Viertel öfter als ein Jahr davor. Alarmierend ist, dass die heranwachsende Generation sich als lernresistent erweist. Die Opfer werden jünger, wie auch die Daten der Policía Nacional belegen.

Die Geschlechtergewalt - bereits im Werk des Malers Francisco de Goya (1746-1828, Frau mit Stock misshandelt) ein wichtiges Motiv - ist nach wie vor eines der größten gesellschaftlichen Probleme Spaniens. Laut Experten hat sie in der Franco-Diktatur (1936-1977) ihre Wurzeln, als Frauen laut dem Credo "Kinder, Kirche, Küche" entrechtet waren - sowie in der Doktrin einer extrem konservativen katholischen Kirche.

Umstrittenes Buch des Erzbistums Granada

Kürzlich hat das Erzbistum Granada das umstrittene, weil frauenverachtende Buch der Italienerin Constanza Miriano, Heirate. Und sei unterwürfig!, herausgegeben. Gesundheitsministerin Ana Mato (Partido Popular, PP) versuchte, dagegen zu intervenieren. Aber auch neue Technologien und Sozialnetzwerke lassen die Gewaltstatistiken nach oben schnellen. In einer aktuellen Umfrage gaben 61 Prozent der 14- bis 17-jährigen Spanierinnen an, sie wären via Handy, Facebook oder Twitter bereits belästigt oder bedroht worden. Ein Viertel der Frauen gab in einer weiteren Studie an, via Mobiltelefon vom Partner kontrolliert zu werden.

Das männliche "Macho"-Gehabe und die unterwürfigen Opfer-Rollenbilder würden ungebrochen weitervermittelt, kritisieren Soziologen. CEPAMN-Direktor Fontela stimmt dem zu: "Die junge Generation wird über Geschlechtergewalt nur unzureichend aufgeklärt." Daher kopierten die Jungen, was sie von Eltern, Großeltern sowie im Freundeskreis aus TV, Film und Jugendliteratur aufschnappen. Die Polizei will nun mit der Kampagne "Ab der ersten Liebe: Lasse nicht zu, dass er dich verachtet" zielgruppenadäquat über Twitter (@policia) Ratschläge erteilen. Etwa: "Streit darf niemals in Drohungen oder Aggression ausarten. Wenn doch: Zeige ihn an!" (Jan Marot aus Granada, DER STANDARD, 29.11.2013)