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Fethullah Gülen (72) führt ein Netzwerk, das zunehmend gegen Erdogan opponiert.

Foto: Reuters/Stringer

"Brüderlichkeit" ist das Schlagwort, mit dem die Anhänger des einflussreichen Predigers Fethullah Gülen in der Türkei dieser Tage auf Reklameplakaten und im Fernsehen werben. Denn zwischen den frommen Brüdern in Partei und Regierung funkt es gewaltig, seit Premierminister Tayyip Erdogan entschieden hat, die Nachhilfeschulen im Land zu schließen. Dort gewinnt das Gülen-Netzwerk seinen Nachwuchs, der später seinen Weg in die Wirtschaft und die Behörden der Türkei findet.

Ein Regierungsdokument aus dem Jahr 2004 bringt Erdogan nun in arge Erklärungsnot. Die liberale Tageszeitung Taraf - sie steht dem Prediger Gülen nahe - veröffentlichte es am Donnerstag: In einer Sitzung des Nationalen Sicherheitsrats im August 2004 verpflichtete sich die Regierung, den Empfehlungen der Armee zu folgen und die Tätigkeiten der Gülen-Gruppe zu beenden. Unterschrieben ist das Dokument von der damaligen Armeeführung, von Premier Erdogan, dem damaligen Außenminister und heutigen Staatspräsidenten Abdullah Gül und weiteren Ministern.

Nichtiger Beschluss

Die Gräben innerhalb der regierenden konservativ-muslimischen AKP und deren Wählerschaft wird das geheim gehaltene Dokument nur weiter aufreißen. Yalçin Akdogan, ein Abgeordneter und politischer Berater Erdogans, beeilte sich am Donnerstag, die Bedeutung des Sicherheitsratspapiers herunterzuspielen. Der damalige Beschluss sei als null und nichtig angesehen worden, twitterte er, die Regierung habe keine Maßnahmen ergriffen.

Fethullah Gülen, ein Imam, der wegen seiner enthusiastisch-tränenreichen Predigten populär wurde, war Ende der 1990er-Jahre in die USA emigriert - offiziell aus Gesundheitsgründen, tatsächlich aber, so wird spekuliert, um nach dem von der Armee erzwungenen Rücktritt des islamistischen Premiers Necmettin Erbakan einer möglichen Festnahme zu entgehen.

Gülen und Erdogan stammen aus unterschiedlichen islamistischen Milieus und begruben ihre Rivalität nach dem Wahlsieg der AKP 2002. Im Lauf seiner Regierungszeit wurde Erdogan aber, so heißt es, zunehmend irritiert über den Einfluss des Gülen-Netzwerks in Polizei, Justiz, Medien und anderen Wirtschaftsunternehmen. Gülens Gefolgsleute zeigen sich vor allem seit den Gezi-Protesten kritisch gegenüber dem autoritären Stil des Premiers. (Markus Bernath aus Istanbul, DER STANDARD, 29.11.2013)