Bild nicht mehr verfügbar.

Nicht nur Visitenkarten lassen sich sehr gut tauschen...

Foto: Reuters

Bild nicht mehr verfügbar.

...auch Talente wie Stricken, Schreiben, Buchhaltung bieten sich zum Austausch an.

Foto: Reuters

Die Vermutung lag nahe - und stimmt auch: Tauschkreise erfuhren seit Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 regeren Zulauf. Dies bestätigt Rudo Grandits, Obmann des österreichischen Tauschkreis-Verbunds, eines Zusammenschlusses mehrerer Tauschkreise im deutschsprachigen Raum: "Seit 2008 hat sich unsere Mitgliederzahl linear steigend auf rund 1150 etwa verdoppelt", sagt er. Sympathisanten gebe es noch viele mehr, angesichts der "Probleme des Geldsystems", die sich offenbart hätten. Auch wenig verwunderlich: Vor allem in Griechenland sei die Zahl der Tauschsysteme sprunghaft angestiegen, zeigt eine Untersuchung des Unterguggenberger-Instituts.

Doch was genau ist ein Tauschkreis? Es handelt sich dabei um eine Art lokalen Handelsplatzes, in dem in erster Linie Dienstleistungen, fallweise auch Waren, zwischen den Teilnehmern getauscht werden - und dies ohne Einsatz gesetzlicher Zahlungsmittel. Die Idee ist nicht neu, frühe Ansätze werden im 19. Jahrhundert verortet, und häufig fällt in diesem Zusammenhang Silvio Gesells "Freigeld-Theorie" sowie das Wörgler Geldexperiment von 1932. In ihrer modernen Form gehen die Tauschringe auf den Briten Michael Linton zurück, der das erste "Lets" (Local Exchange Trading System) 1983 in Kanada einführte. So ein System berücksichtigt in der Regel die folgenden Kriterien: Es ist ein bargeldloses Non-Profit-System, es gibt keine Kosten oder Einnahmen aus Zinsen, es besteht kein Konsum- oder Leistungszwang. "In Österreich gibt es Tauschkreise vor allem in zwei Ausprägungen", erklärt Grandits. "Bei den einen basiert die Form der Geldschöpfung auf einem individuellen Konto durch Ausnutzen eines Kreditrahmens. Bei den anderen wird Zeit zur Verfügung gestellt, die man eintauschen kann." Unter den jeweiligen Tauschkreisen bestünden Unterschiede in der Art und Weise, wie verrechnet werde, erklärt Grandits.

"Beim Zeitkontomodell gebe ich einem Mitglied eine Ware oder Dienstleistung und bekomme vom Mitglied den entsprechenden Gegenwert in der Tauschwährung - bei uns sind das Stunden - aufs Tauschkonto überwiesen", führt Winfried Kraus, Obmann des "Lets Wien", aus. "Es gibt zu diesem Zeitpunkt keine direkte Gegenleistung, der Gegenwert ist auf dem Zeitkonto verbucht. Wenn ich etwas brauche, suche ich mir zum jeweiligen Zeitpunkt etwas aus den Angeboten im Tauschkreis aus und ,überweise' dann dem Tauschpartner den Gegenwert in Stunden", so Kraus weiter.

Moderne Buchhaltung

Das funktioniere genauso mit Mitgliedern anderer Tauschkreise, die sich im Tauschkreisverbund befinden, das sind derzeit Wien, Niederösterreich, das Burgenland und demnächst eine Region in der Südsteiermark.

Heutzutage verfügen alle großen Tausch-Gruppierungen über elektronische Buchhaltung: Mit der Open-Source-Online-Banking-Software funktioniere das Überweisen der Stunden genauso wie beim Onlinebanking im normalen Leben. Es gibt alternativ dazu aber auch manchmal eigene gedruckte Zeitwertscheine, mit denen sich der Tauschwert genauso begleichen lässt. Und beim Tauschen mit Tauschkreisen, die nicht im Verbund sind, kommen Außenhandelskonten zum Einsatz, die über ein Außenhandelsabkommen, teilweise auch mit ausländischen Tauschzirkeln, zustande gekommen sind. Vernetzung findet beispielsweise auf der Plattform für Zusammenarbeit regionaler Transaktionssysteme - www.zart.org - statt.

Gleich viel Wert: Lebenszeit

Bei vielen Tauschkreisen gilt als Tauschwährung eine Zeit-Einheit. Dies können volle Stunden sein, müssen aber nicht. Oder es gibt einen Umrechnungskurs zwischen den Währungen. Das größte heimische "wechselseitige Kreditsystem mit demokratischen Regeln und dezentraler Geldschöpfung" ist das 1996 von Gernot Jochum-Müller mitgegründete "Talente-Vorarlberg". Darin bezahlen rund 2000 Personen, Vereine und Firmen ihre Tauschgeschäfte mit Talenten. Für die Bewertung der Leistung gilt die Formel "100 Talente entsprechen einer Stunde". Für Unternehmen gibt es einen Umrechnungskurs zum Euro, wobei 100 Talente gleich zehn Euro sind.

Ein wesentlicher Unterschied der Tauschkreise untereinander kann sein, ob eine Stunde tatsächliche Dienstleistung - egal ob Fensterputzen, Nachhilfestunde oder Computerservice - mit einer Stunde 1:1 verrechnet wird oder nicht. Der Tauschkreis-Verbund möchte sich darauf einigen, dass die Lebenszeit jedes Mitgliedes gleich viel wert ist, das heißt, eine Stunde Putzen ist gleich viel wert wie eine Stunde Lebensberatung, Coaching oder Bilanzbuchhaltung.

Apropos: Tauschzirkel sind mitnichten Schwarzarbeit-Plattformen, als die sie oft verdächtigt werden. Aus den zuvor erklärten Prinzipien ergibt es sich fast von selbst, dass sie für Pfuscher, die im Regelfall pekuniäre Entlohnung wünschen, uninteressant sind. "Die Regelung der gewerberechtlichen, steuerlichen und sozialversicherungsrechtlichen Verhältnisse ist Sache der Teilnehmer", macht Kraus aufmerksam. "Das meiste fällt unter Nachbarschaftshilfe, Steuerfreibeträge dürfen nicht überschritten werden. Auch für Transaktionen in Stunden sind Steuern und Sozialversicherungsbeiträge zu bezahlen. Als Richtschnur dafür gelten zehn Euro die Stunde". Und die Anmeldung eines Gewerbes sei freilich bei Anbieten einer gewerbepflichtigen Dienstleistung unumgänglich. Im Übrigen könne man beim Lets Wien sein Konto um bis zu 40 Stunden auch überziehen.

Tauschkreise - eine Alternative zum Euro? "Den Euro ersetzen können und werden sie nicht", sieht es Grandits realistisch, "aber ein alternatives Verrechnungssystem sind sie allemal, wir verstehen derartige Systeme sehr wohl als Form von Krisenprävention." (Linda Kappel, DER STANDARD, Portfolio, Dezember 2013)