Flugente, mit Blattwürze gesurt, mit Blättern gefüllt und gebraten.

Foto: Gerhard Wasserbauer/http://www.wasserbauer.cc/

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Foto: Gerhard Wasserbauer

Seit Jahren arbeiten die großen Köche daran, ihre Landschaft zu verkochen, den Ort, an dem sie werken, für den Esser schmeckbar zu machen. Von Schweden bis Brasilien experimentieren Spitzenköche mit Zutaten, die zumindest im jeweiligen Kulturraum für eher weniger essbar gehalten wurden: Strandgräser und Flechten im hohen Norden, Ameisen im Regenwald oder vergorener Kabeljau auf den Faröer. In Nordschweden, wo im Winter sonst nicht viel wächst, kann das auch heißen: den Wald und sein Herbstlaub verkochen.

Magnus Nilsson, Chef des legendären Fäviken in der schwedischen Einöde, ist ein radikaler Koch, der ausschließlich mit Zutaten arbeitet, die auf dem kargen Land rund um sein Restaurant gedeihen. Er serviert fermentierten Birkensaft, in Baumstämmen gereiften Essig und junges Gemüse, im Sud halbverrotteter Birkenblätter gegart. Seit Nilssons Buch samt Laubrezepten erschienen ist, breitet sich die Idee auch in anderen Waldländern aus.

Ein Dinner zum Thema Boden

Harald Irka, einer der mutigsten Köche Österreichs, tischt in der Saziani-Stubn Ochsenherz-Karotten in Herbstlaub gebacken auf oder ein Dessert aus gerösteten Birkenblättern, schwarzen Nüssen und Quitten. Zum Würzen von Spargel und Frischkäse greift Irka gern einmal zu Tannennadel-Salz. Und Christoph Fink, einst Koch der schwedischen Botschaft und jetzt bei Joseph auf der Wiener Landstraße beschäftigt, servierte bei einem Dinner zum Thema Boden unlängst Waller mit "Waldboden-Consommé" – kurz aufgekochten Wienerwald-Boden. Im Sommer erntet er die Innenseite der Föhrenrinde zum Würzen.

"Ich bin auf dem Land aufgewachsen, wir haben im Wald gespielt, aus Pfützen getrunken und Hahnenfuss gekostet", sagt der gebürtige Tiroler Fink. "Vom Hahnenfuß haben wir gespieben, aber den Waldboden hatte ich in guter Erinnerung." Er möchte mit Herbstlaub weiter experimentieren – etwa für Wildsauce, Pot-au-Feu oder als Kontrast zu cremigen Desserts.

Es gibt in Österreich und Deutschland (und wohl auch anderswo) eine fast vergessene Tradition des Baumblätter-Essens: Die Linde gilt unter Wildpflanzen-Sammlern als "Salatbaum", ihre jungen Triebe können sowohl roh als auch wie Spinat gegessen werden. Die Buche wird zum Aromatisieren von Likören und Limonaden verwendet, Spitzahorn kann ähnlich wie Weinblätter zum Einrollen von Speisen verwendet werden.

Ernährungswissenschaftlich eher wertlos

"Baumblätter werden traditionell nur gegessen, wenn sie frisch sind", sagt der Wildpflanzenexperte Steffen Fleischhauer. "Wirklich nahrhaft sind sie nur wenige Wochen im Jahr." Getrocknet fanden sie, wenn nicht als Medizin, eher nur zu Notzeiten Verwendung, etwa um mit ihnen Mehl zu strecken. Das Problem: Im Herbst, wenn das Blatt seinen Saft und seine Kraft verliert, verliert es damit auch seine Proteine und Nährstoffe. Für den Ernährungswissenschafter wird es damit eher wertlos. Nicht aber für den, der mit dem Herbst würzen will.

Denn verdorrte Herbstblätter schmecken ganz erstaunlich gut: Ein Sud aus Lindenlaub schmeckt intensiv süßlich, mit Anklängen von Nuss und Karamell, ein traumhafter Eistee. Alte Buchenblätter müssen etwas länger ziehen, und ihr Sud wird weniger dunkel, dafür hat er dann bezaubernde Laubanklänge und erinnert an guten Grüntee. Ahorn ist etwas vollmundiger, stärker im Geschmack, Eichenlaub (Achtung: sehr viele Gerbstoffe!) wird leicht bitter, sehr angenehm, wenn man das mag, und schmeckt ein wenig nach geröstetem Zuckersirup.

Uns ging es darum, die Pracht und den Duft eines Novemberwaldes ess- und schmeckbar zu machen. Gertrude Henzl, professionelle Wildpflanzen-Köchin und -Sammlerin mit einschlägigem Laden in der Wiener Kettenbrückengasse, hat ihre Küche und ihr Wissen zur Verfügung gestellt, gemeinsam haben wir die Rezepte entwickelt. Wir haben uns durch Ahorn, Eiche, Buche, Linde und Tanne gekostet, haben das Laub gesotten, püriert und gedämpft, gerade abgefallene Blätter verarbeitet, genauso wie bereits getrocknete und solche, die schon seit einem Jahr vor sich hin rotteten.

Leicht modriger Geschmack

Während Nilsson zu alten Blättern aus dem Vorjahr rät, die beginnen, sich aufzulösen, haben wir die besten Ergebnisse mit entweder recht frisch gefallenen (Linde, Ahorn) oder bereits getrockneten, aber noch intakten (Buche) Blättern erzielt. Die Vorjahrsblätter können ihre Zeit auf dem Boden nicht verleugnen und verleihen allem einen leicht modrigen Geschmack – mancher mag’s, andere finden es schrecklich. Frisch gefallene Blätter haben zudem den Vorteil, dass sie viel weniger von Pilzen befallen oder von allzu vielen Insekten durchsetzt sind.

Das Blatt selbst lässt sich nur bei der Linde mit Genuss essen, gekocht hat es eine erfrischend knackige Konsistenz. Geschmacklich gibt es allerdings nicht mehr viel her. Alle anderen sind auch nach längerer Behandlung nicht mit Genuss essbar. Wir haben uns daher darauf beschränkt, mit ihrem Sud zu arbeiten. Fest steht: Es lässt sich ganz hervorragend mit Herbstlaub kochen. Auf den folgenden Seiten haben wir einige der besten Resultate in Rezeptform gegossen. Endergebnisse sind es nicht, sondern Aufforderungen zum Experimentieren.

Vorsicht ist die Mutter der guten Küche

Kann man mit Laub bedenkenlos kochen? Nach unserer Erfahrung – ja. Weil wir aber statistisch nicht signifikant sind, sollte die Frage auch wissenschaftlich einwandfrei geklärt werden – allein, ganz so einfach lässt sich das nicht darstellen.

Das Problem: Wenn ein Blatt sich verfärbt, dann laufen sehr viele chemische Prozesse in ihm ab. Kann das dazu führen, dass ein frisch genießbares Blatt als Laub ungenießbar ist? "Höchstwahrscheinlich nicht", sagt Harold McGee, der wohl berühmteste aller Kochchemiker, auf unsere Nachfrage. "Das kann ich mir nicht vorstellen", meint auch Wildpflanzenexperte Fleischhauer. Stefan Hörtensteiner, Schweizer Pflanzenbiologe und Experte für den Chlorophyllabbau, sagt: "Was grün genießbar ist, ist meist auch verfärbt kein Problem." Sicher weiß es aber keiner – ganz einfach, weil es nicht erforscht wurde.

Sobald das Blatt auf dem Boden liegt, wird es zudem von zahlreichen Pilzen und Bakterien besiedelt. McGee empfiehlt besonders vorsichtigen Experimentalköchen daher, das Laub zu kochen (desinfiziert und zerstört etwaige Enzyme) und, eh logisch, weit weg von Industrieanlagen zu sammeln. Wie immer gilt: Die Menge macht das Gift. Und: Nachkochen auf eigene Verantwortung! (Text: Tobias Müller, Fotos: Gerhard Wasserbauer/DER STANDARD, Feinkost, 27.11.2013)

>> Zu den Laubrezepten: Ente im Mischwald, Forelle im Ahornteich, Crème brulée von der Buche


Foto: Gerhard Wasserbauer/http://www.wasserbauer.cc/