Traut man den Verkündigungen, steht Österreich vor der größten Bildungsreform seit den 60er-Jahren des vorigen Jahrhunderts: Die Lehrerausbildung wird grundlegend geändert, vereinheitlicht und auf das Bologna-affine Bachelor/Master-Modell umgestellt und von Universitäten und Pädagogischen Hochschulen gleichermaßen und im Verbund angeboten; die fachwissenschaftliche Ausbildung wird reduziert, die pädagogische ausgedehnt, alle Lehrer sind dann gleich qualifiziert, bekommen das gleiche Gehalt und werden Professoren; ein neues Lehrerdienstrecht schreibt dies dann auch fest, einsteigen kann man nach einer vierjährigen Bachelor-Ausbildung, ob dann in den ersten fünf Dienstjahren ein einjähriger Master folgen muss, steht noch in den Sternen; die Oberstufe verschwindet, es gibt nur mehr eine Primar- und eine Sekundarstufe, das heißt, der elfjährige Schüler wird dem 18-jährigen gleichgestellt; die Gymnasien werden in ihrer Langform auf einige Spezialformen reduziert, ansonsten gibt es die Neuen Mittelschulen, die Fächer verschwinden und Querschnittmaterien dominieren; die Inhalte werden aus den Lehrplänen eliminiert, Faktenwissen ist verpönt, erworben werden Kompetenzen in prinzipiell unendlich ausdifferenzierbaren Abstufungen bei völliger Beliebigkeit ihrer Überprüfbarkeit; die Reifeprüfung wird dementsprechend kompetenzorientiert zentralisiert, wobei natürlich möglichst viele Kandidaten auf Anhieb reüssieren sollen.

Lehrer können und sollen deshalb auch alles Mögliche tun, Unterrichten wird zur Nebenbeschäftigung, Kommunikation, Mentoring, Begleitung und Coaching sind angesagt.

Alle diese Reformmaßnahmen haben eines gemeinsam: Sie klingen gut, sie gehorchen allenthalben dem Zeitgeist, sie entsprechen in manchem der Bildungsideologie unserer Tage, sie befriedigen den einen oder anderen Experten, sie haben nur einen Makel: Sie ergeben keinen Sinn. Sie stiften Verwirrung, wo immer es geht, verkomplizieren alles, erhöhen den bürokratischen und organisatorischen Aufwand, rücken Nebensächliches in den Vordergrund, blenden nahezu alle inhaltlichen Fragen aus und schreiben auf jeder Ebene einen verhängnisvollen Trend zur Vereinheitlichung und Nivellierung fort.

Zwar setzt sich allmählich wieder die Einsicht durch, dass Schule - egal welchen Typs und welcher Organisationsform - ihre Qualität von der Qualität ihrer Lehrer bezieht - aber die Neuordnung der Lehramtsstudien ist der sicherste Weg, um dieser Qualität auch in Zukunft keine Chance zu geben. Nicht nach wissenschaftlichen oder pädagogischen Gesichtspunkten erfolgt nämlich diese Reform, sondern nach politischen und technokratischen: Bologna, dessen Sinn für die Lehrerausbildung kaum einzusehen ist, gibt einen engen Rahmen vor, der durch die Verpflichtung auf Kooperationen von Unis und PHs, ECTS-Verrechnungen und Modulstrukturen noch weiter eingeschränkt wird. In den Curricular-AGs, die zurzeit an den neuen Studienplänen für das Lehramt arbeiten, wird weder nachgedacht noch diskutiert, sondern gerechnet: Irgendwo fehlen immer 1,5 ECTS-Punkte. Das neue Modell schränkt die fachwissenschaftliche Ausbildung noch weiter zugunsten einer Überdehnung des Pädagogischen ein - das ist der Preis für ein einheitliches Ausbildungskonzept.

Im Gegensatz zu den Lehramtskandidaten der Vergangenheit, die eine (noch früher: zwei) Diplomarbeiten zu verfassen und eine mündliche Abschlussprüfung abzulegen hatten, schließen Bachelors mit zwei Seminararbeiten ab, für die es keine spezielle Betreuung gibt; und natürlich ist auch keine Abschlussprüfung mehr erforderlich. Mit einem Wort: In Zukunft werden die vermeintlichen Träger der Wissensgesellschaft so gut wie nichts mehr wissen. Und auch wenn das einjährige Master-Studium verpflichtend werden sollte - berufsbegleitend wird es eher der Reflexion der alltäglichen Nöte denn der fachlichen Qualifikation dienen. Manche Lehramtsstudien werden wohl auch weiter an den Universitäten stattfinden, aber in einer zunehmend prekären Distanz zur Fachwissenschaft.

Von der auf das Feindbild "Lehrer" fixierten Öffentlichkeit unbemerkt ereignet sich hier die wahre Tragödie des Bildungssystems. Die einzige Chance, die das Bologna-Diktat eröffnet hätte, nämlich junge Menschen in einem Grundstudium eine gediegene wissenschaftliche Ausbildung zu ermöglichen und ihnen dann zu erlauben, zwischen Masterprogrammen mit wissenschaftlicher oder pädagogisch-didaktischer Ausrichtung zu wählen, und sich so erst dann für oder gegen das Lehramt zu entscheiden, wenn sie fachliche Expertise, andere berufliche Optionen und vielleicht auch Erfahrungen zur Verfügung haben, wurde aus ideologischen Gründen nicht in Erwägung gezogen. Lieber betreibt man eine pädagogische Inzucht, die junge Menschen nach der Matura in ein verschultes Kurzstudium zwingt, um sie dann sofort wieder an die Schule zu schicken, die sie geistig nie verlassen haben. Aufnahmeprüfungen, die 17-Jährige auf ihre pädagogische Eignung testen, werden daran wenig ändern. Manch einer mag diese Infantilisierung der Gesellschaft durch ihr Bildungssystem begrüßen - mit dem, was Bildung einmal im Sinne hatte, hat sie nichts zu tun. (Konrad Paul Liessmann, DER STANDARD, 27.11.2013)