"Entsteht der Eindruck, dass sich Menschen an öffentlichen Mitteln über alle Maßen bereichern, leidet der gesellschaftliche Zusammenhalt."

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Standard: Laut OECD geht es Österreichs Senioren dank ordentlicher Pensionen gut - zu gut?

Mazal: Nein. Es ist erfreulich, dass es den Pensionisten im internationalen Vergleich gut geht, dennoch sind immer noch genug von Armut gefährdet. Eine Durchschnittspension von 1000 Euro ist kein Füllhorn. Das Problem sind nicht die individuellen Leistungen, sondern die Gesamtausgaben: Diese sind deshalb zu hoch, weil die Menschen - siehe OECD-Bericht - zu früh in Pension gehen.

Standard: Warum ist dieses Problem gerade in Österreich so groß?

Mazal: Weil sich in den letzten 20 Jahren eine Tradition entwickelt hat, Beschäftigungsprobleme zu verschleiern, indem Betroffene in Frühpension geschickt werden.

Standard: Landen Ältere anderswo dafür nicht öfter in Arbeitslosigkeit und Krankenstand?

Mazal: Nein. Entweder löst ein Land sein Beschäftigungsproblem oder nicht - wenn ja, gibt es sowohl für Junge und Alte mehr Arbeit. Die Milchmädchenrechnung, dass Frühpensionen die Jobs der Jungen retten, ist falsch.

Standard: Wie lässt sich das Problem in Österreich lösen?

Mazal: Indem die Einkommenskurven abgeflacht werden: höhere Einstiegsgehälter, dafür geringere Anhebungen im Alter. Derzeit verteuern die Lohnsysteme ältere Kräfte künstlich. Dieser Umstand ist nicht nur ein Anreiz, diese Arbeitnehmer loswerden, sondern erhöht auch den Druck, besonders produktiv zu sein - und das überfordert viele Menschen ab 55 plus. Dass der Zulauf in die Invaliditätspension so groß ist, liegt da nahe. Eine weitere Ursache ist unsere Arbeitszeitkultur.

Standard: Inwiefern?

Mazal: Die Österreicher absolvieren viel zu viele Überstunden und ersetzen damit Arbeitsplätze, die für andere entstehen könnten. Hier ist ein Teilen angesagt. Ältere Arbeitnehmer würden dann länger gesund bleiben, statt in Frühpension gehen zu müssen.

Standard: Sollten Überstunden also besteuert werden?

Mazal: Diese Steuer könnte durch Schwarzarbeit oder andere Belohnungssysteme umgangen werden.

Standard: Was kann die künftige Regierung dann konkret tun?

Mazal: Wenig, außer die zuständigen Sozialpartner aufzufordern, eine neue Gehalts- und Arbeitszeitkultur zu etablieren. Es braucht ein radikales Umdenken.

Standard: Braucht es also, wie der Sozialminister sagt, keine weitere Reform im Pensionssystem?

Mazal: Unser Pensionssystem ist ein schöner Garten, der allerdings nicht einfach wuchern darf, sondern stets zurechtgeschnitten werden muss. Der Anpassungsbedarf: Die einfachste Maßnahme, um ein höheres Antrittsalter zu erreichen, ist die rasche Anhebung des Frauenpensionsalters.

Standard: Droht vielen älteren Frauen da nicht Arbeitslosigkeit?

Mazal: Nicht, wenn man es klug macht. Die Anhebung soll so rasch wie möglich, aber nur in kleinen Schritten erfolgen - etwa um zwei Monate pro Halbjahr. Dann kann sich der Arbeitsmarkt einstellen.

Standard: Es soll Abschläge auf "Luxuspensionen" geben. Zu Recht?

Mazal: Ja. Entsteht der Eindruck, dass sich Menschen an öffentlichen Mitteln über alle Maßen bereichern, leidet der gesellschaftliche Zusammenhalt. Ich warne aber davor, per Verfassungsgesetz den Rechtsschutz zu verschließen. Das wäre eine Unkultur und Zeichen politischer Schwäche.

Standard: Geht es denn anders?

Mazal: Ja. Maßvolle Einschnitte lässt die Verfassung zu - und dazu zählen bei Höchstpensionen von 30.000 Euro aufwärts mit entsprechenden Übergangsfristen auch Abschläge von 25 Prozent. (Gerald John, DER STANDARD, 27.11.2013)