Wer sich beim Fahren mit Infotainmentgeräten beschäftigt, ist abgelenkt. Das zeigen Untersuchungen mit Eye-Tracking.

Foto: Arno Laminger

Hand aufs Herz: Welcher Autofahrer hat nicht schon einmal, während er hinter dem Steuer saß, mit dem Handy telefoniert? Dabei heißt es: Wer während der Fahrt telefoniert, produziert um 40 Prozent mehr Fahrfehler. Nicht umsonst ist das Handy am Ohr während des Lenkens verboten. In einer europaweiten Umfrage des Reifenherstellers Goodyear gaben aber 44 Prozent der Befragten an, schon einmal während der Fahrt am Steuer telefoniert zu haben - ohne Freisprecheinrichtung.

Manfred Tscheligi, Leiter des Christian-Doppler-Labors "Contextual Interfaces" an der Universität Salzburg, zählt nicht dazu: "Wenn, dann mit Freisprecheinrichtung, aber auch nur sehr selten", sagt der Forscher, der sich mit seinem Team dem Thema Ablenkung im Straßenverkehr wissenschaftlich widmet. "Ich weiß ja, was passieren kann."

Wenn man zum Beispiel mit den vorgeschriebenen 50 Kilometern pro Stunde im Ortsgebiet nur eine Sekunde nicht auf die Straße achtet, legt man 13,8 Meter im Blindflug zurück, heißt es vonseiten des Kuratoriums für Verkehrssicherheit. 2012 ließen sich zwölf Prozent aller tödlichen Unfälle im Straßenverkehr auf Ablenkungen zurückführen, berechnete das Innenministerium.

Nutzerschnittstelle im Fokus

"Anzahl und Dauer der Blicke weg von der Straße während der Fahrt sind ein Hauptkriterium für den Grad der Ablenkung und damit für das Unfallrisiko", stellt Tscheligi fest. Dabei nimmt das Risiko, abgelenkt zu werden, in modernen Autos, die über immer mehr Infotainmentsysteme verfügen, weiter zu.

Im Fokus der Untersuchungen des CD-Labors standen Bedienkonzepte, also die Nutzerschnittstellen ("human-machine interfaces") im Auto. "Der Schwerpunkt der Untersuchungen lag auf dem Vergleich von manueller Eingabe mit Spracheingabe sowie auf der Bedienbarkeit von Internet im Auto", sagt Tscheligi. Finanziert werden die CD-Labors vom Wirtschaftsministerium, der Nationalstiftung und Industriepartnern. In diesem Fall arbeiteten die Forscher mit dem Auto Club Europa (ACE), dem Industriepartner Audio Mobil Elektronik, der Fachzeitschrift CarIT und der Volksfürsorge als Sponsor zusammen. Getestet wurden Fahrzeuge der Kompaktklasse. "Und zwar auf einer Teststrecke, also unter möglichst realen Bedingungen", erklärt Tscheligi.

Ziel sei es, ein herstellerunabhängiges Testverfahren zu entwickeln, mit dem man jedes neue Infotainmentsystem auf sein Ablenkungs- und damit Risikopotenzial überprüfen könne. Gemessen wurde der Grad der Ablenkung primär durch die Messung des Blickverhaltens durch Eye-Tracking während der Fahrt.

Jeweils zwölf Testpersonen pro Fahrzeug fuhren auf dem Testgelände und mussten nach einer kurzen Einführung im Beisein eines Wissenschafters vordefinierte Aufgaben - telefonieren, das Navi bedienen, Internetsuche etc. - erfüllen. Die dabei gewonnen Daten plus die subjektiven Erfahrungen der Probanden sollen eine Auswertung des Grades der Ablenkung und eine Beurteilung der Stärken und Schwächen der getesteten Systeme bei bestimmten Aufgaben erlauben. Anhand vorher entwickelter Richtlinien wurden damit die größten Schwachstellen der Testfahrzeuge ermittelt.

Eindeutig gefährlich

Wenig erstaunlich: Die Tests haben ergeben, dass die visuelle Ablenkung durch die Beschäftigung mit Infotainment im Auto, gefährlich ist. So führte die Eingabe eines Navigationszieles bei Systemen mit einem Dreh/Drücksteller zu einer inakzeptabel hohen Ablenkung. Durchschnittlich blickten Teilnehmer bei dieser Aufgabe insgesamt 55 Sekunden weg von der Straße. Dabei wurde auch eine erhöhte Anzahl von Blicken gemessen, die länger als zwei Sekunden dauern. Diese Blicke werden als besonders gefährlich eingestuft, da mit ihnen das Unfallrisiko stark steigt.

So blickten die Teilnehmer bei der Eingabe des Navigationszieles mittels Dreh/Drückstellers im Schnitt viermal länger als zwei Sekunden weg von der Straße. "Für die gesamte Blickabwendung hat sich in der Fachliteratur ein Wert von maximal zwölf Sekunden, für die Einzelblicke eine Zeitspanne von maximal zwei Sekunden als tolerierbar etabliert", sagt Tscheligi. Diese Werte wurden von der National Highway Traffic Safety Administration in den USA definiert und stellen Richtlinien für die zukünftige Entwicklung von Nutzerschnittstellen im Auto dar.

Die Sprachsteuerung spiele vor allem bei der Eingabe eines Navigationsziels ihre Stärken aus, merken die Forscher an. Hier ist eine signifikant geringere visuelle Ablenkung zu verzeichnen. Wurde das Navigationsziel über Spracheingabe eingegeben, blickten Teilnehmer im Schnitt nur mehr 18 Sekunden weg von der Straße, auch die Anzahl der gefährlichen Blicke, die mehr als zwei Sekunden dauern, reduzierte sich auf durchschnittlich weniger als ein Blick pro Person und Aufgabe.

Auch die Ablenkung, die im Lenkverhalten ersichtlich ist, reduziert sich bei der Spracheingabe signifikant. Bemerkenswert sei dabei allerdings, heißt es, dass sich dieser Vorteil nicht in der Telefonaufgabe wiederfindet. Die visuelle Ablenkung von der Straße ist dabei annähernd gleich, unabhängig davon, ob die Teilnehmer den Anruf per Spracheingabe oder per Dreh/Drücksteller tätigten. Generell fällt diese Ablenkung aber geringer aus als bei der Eingabe eines Navigationsziels.

Nur das Nötigste einbauen

Tscheligis Mitarbeiter am CD-Labor, Alexander Meschtscherjakov, resümiert: "Die zentrale Herausforderung für die Autohersteller ist, so viele Funktionen wie nötig, aber so wenige wie möglich anzubieten." Das sei aber leichter gesagt als getan: "Wenn zu wenig angeboten wird, greifen die Fahrer erst recht wieder zum Smartphone, das nicht für die Nutzung beim Fahren gedacht ist."

Die Forscher plädieren für eine herstellerunabhängige Prüfung, basierend auf wissenschaftlich fundierter Methodik: "Die Autobauer testen die Bedienbarkeit der neuen Systeme zwar, aber einen standardisierten Test wie etwa bei einem Crashtest mit einheitlichen Normen und Richtlinien gibt es noch nicht", stellt Tscheligi fest. "Mit bewusstem Design, sogenanntem Distraction Centered Design, könnte man zudem die Ablenkung minimieren." (Markus Böhm, DER STANDARD, 27.11.2013)