Die 38-jährige M.I.A. gibt sich auf ihrem neuen Album "Matangi" einmal mehr kämpferisch wie durchgeknallt: "Lara Croft is soft when it comes to my stuff."

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Die Trickle-down-Theorie war vor allem in den Regierungsjahren Ronald Reagans eine von dessen Beratern gern gerühmte Wünsch-dir-was-Spielart der Wirtschaft, die auf eines setzte: Möglichst wenig staatliche Regulierung, niedrige Steuersätze und das Wohlergehen der Reichen sollten mit der Zeit auch in die niederen gesellschaftlichen Schichten einsickern (trickle-down). Interessant, dass man von diesem von Gegnern gern als "Pferdeäpfeltheorie" bezeichneten Ansatz in letzter Zeit wieder vermehrt zu hören bekommt. In Österreich kennen wir diesen nicht immer unten ankommenden ökonomischen Ansatz unter besonderer Berücksichtigung christlich-sozialer Mindestansprüche auch als sogenannte Leitl-Linie: "Geht es der Wirtschaft gut, geht es uns allen gut."

Die aus Sri Lanka stammende tamilische Britin Maya Arulpragasam alias M.I.A. ist einer der ersten globalen Popstars im Alternative-Mainstream-Sektor, der politisches Bewusstsein souverän mit Twitterpolitik, Youtube-Rebellion und Dancefloor-Sloganeering verbindet. Seit gut zehn Jahren verbreitet die heute 38-Jährige globales Rebellentum mit Fashion, Avantgarde, schrill-bunten Manga-Comics und jeder Menge Ballaballa und Bollywood. Zu derb zusammengeschusterten Beats hat M.I.A. immer auch mehr zu bieten als kernige Ansichten über Boyfriends und den dringenden Wunsch, die Verhältnisse zum Tanzen zu bringen. Auf ihrem neuen Album Matangi etwa deutet sie ihren in breiteste gesellschaftliche Schichten und Partyvölker einsickern sollenden Kampf gegen die Banken und Firmen die den Zusatz "Brothers" im Titel tragen - es fallen einem etwa die Lehmans ein - ungefähr so: "There's trillions of cash and there's billions of us, and there's millions of things that can happen with this stuff. And there's thousands that will crash and there's hundreds that will smash. And there's only one you - and I'm gonna drink to that."

Ob eine von M.I.A. intendierte "Trickle-down-Revolution" funktionieren wird, sei einmal dahingestellt. In einem aktuellen Interview mit der britischen Tageszeitung The Guardian forderte übrigens der kanadische Schauspieler Donald Sutherland anlässlich des weltweiten Kinostarts des unter seiner Mitwirkung entstandenen zweiten Teils von Die Tribute von Panem gerade von der Weltjugend, sie möge sich endlich erheben und revoltieren. Angesichts dieses Buchbestsellers und Kinoblockbusters, in dem ein kamerabegleitetes Gemetzel unter Heranwachsenden in einem Dschungelcamp eines zukünftigen, auf den Ruinen der USA basierenden faschistischen Regimes stattfindet, mag das etwas seltsam anmuten.

M.I.A. trat schon bei einer Grammy-Verleihung auf. Sie rappte für Madonna bei der Superbowl, arbeitete mit Jay-Z oder Kanye West, designte Shirts und Leggings für American Apparel. Sie unterstützt Julian Assange und war mit einem möglicherweise aus ihrer Sicht das Böse in der Welt befördernden milliardenschweren US-Medienmogul liiert, von dem sie ein Kind hat, während sie gleichzeitig die tamilische Terrororganisation Tamil Tigers unterstützte.

Man kann also sagen, dass es der Frau vielleicht etwas am Überblick mangelt. Der "abwechslungsreichen" Achterbahnfahrt durch ein zerschossenes Global Village voller mit Graffitis übersäter Wellblechhütten, aus denen HipHop, indische Perkussionsinstrumente, afrikanische Partymusik, Vuvuzela-Hupen, Polizeisirenen und fröhliche Kinderabzählreime über böse Banken und fiese Brüder dringen, tut dies allerdings keinen Abbruch. (Christian Schachinger, Rondo, DER STANDARD, 29.11.2013)

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