Der Satz ist abgeschmackt, aber nichtsdestotrotz wahr: Darüber, ob es kein schlechtes Wetter, sondern nur die falsche Ausrüstung gibt, bin ich beim Motorradfahren zwar diskussionsbereit - beim Laufen jedoch nicht. Denn wer will, der kann.

Klar, - und um ein paar der üblichen Verdächtigen das Postingschreiben zu ersparen - es geht immer auch Superoldschool. Und all das moderne Zeug braucht man nicht. Schließlich hat man früher ja auch überlebt, ohne sich mit Goretex-Folierung, Merino-Leiberln oder Windstopper-Membarn ins Freie zu schmeißen.

Weiß ich eh. Und finde es auch bewundernswert - nicht nur beim Laufen: Als ich im Sommer des Vorjahres vom Großglockner in die Gegend gaffte, traf am Gipfel noch eine andere Seilschaft der gemeinsamen Stern- und 150-Jahre-Kletterei von Alpenverein und einem Schweizer Outdoorkonzern ein.

Fell um die Hüften

Während wir die zweitägige Weichei-Route genommen hatten, waren diese harten Hunde und Hündinnen nonstop aus Matrei auf den Hügel  gekraxelt - und zwar in Originaloutfits von vor 150 Jahren: Loden. Wolle. Leder. Die Frauen trugen bodenlange Röcke. Wow! Respekt. Bloß bei der Sicherheit war man lieber nicht von gestern: Seile, Karabiner, Steigeisen & Co entsprachen dem Stand der Technik. Der heutigen.

Und - nochmal: Klar, was am Berg geht, ist im flachen Land noch leichter möglich. Bloß: Wozu? Ich gehöre zu jenen Läufern, die sich lieber wohlfühlen, als irgendwem zu beweisen, wie autonom von Technik und Zeitgeist sie unterwegs sind. Außerdem: Genau genommen ist auch das Lauf-Outfit, das Puristen predigen, vor 10, 20 oder 50 Jahren State-of-the-Art gewesen. Darum postuliere ich: Nur wer gerade einmal ein Fell um die Hüften trägt, darf anderen in Sachen Outfit-Schnickschnack und Funktionswäsche erklären, dass all das unnötig bis dekadent ist, einzig der Kommerzialisierung von Sport das Wort spricht und jeder Idee von Bewegung im Freien widerspricht.

Klaus Hofmann ließ uns keine Chance. Denn eigentlich war der Kurztrip in die St. Martins Therme nur als Wohlfühl-Faulenzaufenthalt angedacht gewesen. Als letzter Endorphin-Tankstopp bevor Kaltnassgrau und Weihnachtswahnsinn uns nur noch am Zahnfleisch dem Jahresende entgegen kriechen lassen. Aber beim Check-In fing uns der Hoteldirektor ab, sagte "Hallo" - und fragte, ob wir eh Laufsachen mit hätten. Das Wetter sei nämlich nicht "wäh", sondern super. "Ideales Thermenwetter" schönfärbelte Hofmann das Grau. "Laufen", setzte er nach, "ist jetzt super. Sie werden schon sehen!"

Foto: Thomas Rottenberg

Natürlich hatten wir Laufzeug mit. Man weiß ja nie. Aber ohne Hofmanns subtilen Hinweis, wäre die Chance, dass die Sachen unverschwitzt und sauber auch wieder vom Seewinkel zurückgefahren wären, gut gestanden. Obwohl jeder von uns für mehrere Wettervarianten ausgerüstet war.

Foto: Thomas Rottenberg

Hosentechnisch hatte ich je eine ungefütterte und eine Windstopper-3/4-Hose mit. Dazu ein kurzes und ein langes Laufshirt, ein ärmelloses Goretex-Gilet - sowie eine langärmelige, minimal gefütterte Jacke: All das übereinander funktioniert sogar bei Schneesturm. Im Kombinations- und Schichtbetrieb kommt man damit durch (fast) jedes Wetter: Darüber, wer, was, wann, wie, womit zu kombinieren hat, gibt es aber keine fixen Anleitungen: Weil jeder Mensch anders (und anderswo) kälte- und windempfindlich ist, gilt einzig das Gesetz von Trial & Error.

Foto: Thomas Rottenberg

Freilich sollte einem dabei tunlichst wurscht sein, was andere Zeitgenossen vom eigenen Erscheinungsbild halten: Bei meiner Frisur etwa ist Laufen ohne Kopfschutz ein ziemlich sicheres Ticket zur Verkühlung. Oder zum Sonnenbrand. Oder zu Schweiß in den Augen. Und auch wenn ich ästhetischen Zweifeln, die man Männern mit Piratenkopftuch (und Leggings) entgegen bringt, einiges abgewinnen kann: Who cares? Und: Etwas Vielseitigeres als eine Schlauchmütze muss man mir erst mal zeigen.

Foto: Thomas Rottenberg

Laufen bei "Wäh"-Wetter (aka "ideales Thermenwetter") braucht am Anfang ein bisserl Überwindung. Insbesondere dann, wenn man gegen 7 Uhr morgens losrennt: Bettwarm und mit (fast) leerem Magen tut die auch beim Laufen gültige Slkitouren-Weisheit, dass die Anzahl der Schichten passt, wenn man am Anfang ein klein wenig fröstelt, doppelt weh.

Mütze und Handschuhe sind aber Pflicht, zumindest in den ersten zehn Minuten: Wenn es unterwegs warm wird, kriegt man das Zeug immer irgendwo unter - aber irgendwo in der Pampa plötzlich kalte Finger und Ohren haben? Nicht lustig.  

Foto: Thomas Rottenberg

Wichtig bei jeder Form der Outdoor-Aktivität bei nasskaltem Wetter ist eben der richtige "Schichtbetrieb": Die unterste Schicht - die sogenannte "Base Layer" - sollte eng anliegend sein und Feuchtigkeit vom Körper wegtransportieren. Wer darunter Baumwolle oder andere Textilien (etwa Damen, die statt eines Sport-BHs aus Funktionsmaterial einen gefütterten Push-Up-Bra tragen) anhat, führt diese Funktion ad absurdum. Und verkühlt sich mit ziemlicher Sicherheit.

Foto: Thomas Rottenberg

Ob und was man zwischen "Base Layer" und Außenhaut packt, muss jeder und jede je nach Wetter für sich selbst herausfinden. Auch hier gilt: Vermeiden, was Nässe speichert. Auf gut Deutsch: Wer bei nasskaltem Wetter schwitzt, sollte Baumwolle gegen Funktionstextil tauschen - und lieber mehrere dünne als eine (zu) dicke Schicht tragen. Das Zwiebelschalenprinzip ermöglicht es, rasch und individuell auf Wind, Wetter und Temperaturänderungen zu reagieren.

Bei solchen Bedingungen sollte man aber ganz außen in jedem Fall eine wind- oder wasserabweisende, aber möglichst atmungsaktive Schicht anhaben: Was einmal nass und kalt ist, wird im Herbst nämlich unterwegs nie wieder warm. Das gilt auch für Hosen. Andrea setzte auf die leicht gefütterte Lange. Ich dagegen trage bis knapp über dem Gefrierpunkt auch bei Regen meist lieber 3/4-Hosen: "Richtig" ist immer das, womit man sich wohl fühlt.

Foto: Thomas Rottenberg

Ganz abgesehen davon, dass es nie blöd ist, eine Karte dabei zu haben (obwohl es im flachen Seewinkel sogar bei Nebel schwer ist, nicht zu sehen, wohin man im Notfall einfach über die Felder zurücklaufen müsste): Was man am Arm trägt, definiert wie kalt den Fingern wird. Andrea trug eine ziemlich wind- und wasserfeste Jacke - ich ein Windstopper-Gilet und ein Lang- sowie ein Kurzarmshirt: Jeder von uns lief in der individuellen Komfortzone, doch Andreas Finger waren rasch so warm, dass sie ihre Handschuhe auszog, während ich meine bis zum Schluss anließ.

Foto: Thomas Rottenberg

In einem Punkt hatten wir beide aber "gepatzt": Bei den Schuhen. Rund um St. Martins gibt es eine Vielzahl an Laufrouten - auf jeder Art von Untergrund. Doofe Stadtkinder, die wir sind, hatten wir nur leichte Laufschuhe mit. Auf Asphalt bei Nässe kein Problem. Aber schon auf den Schotterwegen spürten wir, wie Feuchtigkeit sich von oben durch die Schuhe ihren Weg bahnte. Die schönen, gatschigen Feldwege ließen wir daher lieber aus: Auch wenn es nach Weichei-ismus klingt: Dass in der Laufroutenkarte der Therme die Beschaffenheit der Wege angeführt war, war da hilfreich.

Foto: Thomas Rottenberg

Die Laufrouten rund um die Lodge sind auch ohne Karte deppensicher angelegt: Drei farbig markiere Touren, die alle beim kleinen Streichelzoogehege vor der Therme beginnen - und wieder hier enden,...

Foto: Thomas Rottenberg

... wobei das Wort "Streichelzoo" irreführend ist: Gänse streichelt man eher nicht. Das tut man als Kind - genau einmal. - Dann hat man es gelernt. Andererseits: Einem Ort, der sich "St. Martin" nennt, würde ohne Gänse  eindeutig etwas fehlen.

Foto: Thomas Rottenberg

Woran erkennt man, dass die Kleiderauswahl gepasst hat? Unter anderem daran, dass man nach der Runde zwar verschwitzt ist, aber trotzdem nicht sofort erfriert, wenn nach dem Lauf noch ein bisserl gedehnt wird. Trotzdem gilt: So rasch wie möglich raus aus den nassen Sachen...   

Foto: Thomas Rottenberg

... und ab ins Warme.

Foto: Thomas Rottenberg

Im warmen Wasser planschend dem kalten beim Ausdemhimmelfallen zuzusehen, ist vermutlich eine der angenehmsten Arten, der Winterdepression vorzubeugen.

Obwohl: Laufen - oder jede andere Art körperlicher Bewegung an der frischen Luft - wirkt auch schon Wunder: Auch ohne Thermenschnickschnack ist der Herbst mit seinem "idealen Thermenwetter"  meine liebste Lauf-Zeit.

Foto: Thomas Rottenberg

Auch wenn die Miene dieses nicht ganz unbekannten Mannes bei unserer Rückkehr von der Laufrunde recht unverhohlen gefragt hatte, ob wir noch ganz bei Trost seien: Es war halb neun Uhr morgens als wir nass, dreckig und happy zurück ins Hotel gekommen waren - und Robert Palfrader gerade am Weg zum Frühstück.

Foto: Thomas Rottenberg

Doch während wir den Rest des Tages einfach nur faul herumliegen konnten, mussten Palfrader und Nicholas Ofczarek arbeiten - und das bei "idealem Thermenwetter": Es war der 22. Drehtag der neuen "Bösterreich"-Staffel.

Und ... Aber halt. Denn das ist eine andere Geschichte, mehr dazu hier auf derStandard.at/Etat: Was Sie über "BÖsterreich" wissen müssen (Thomas Rottenberg, derStandard.at, 28.11.2013)

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Foto: Thomas Rottenberg