Geschichten, wie der Fall moderner Sklavenhaltung in London, wo drei Frauen über Jahrzehnte gefangengehalten wurden, ereignen sich an jedem anderen Ort der Welt – auch in Österreich. Jeder andere Ort wäre sogar wahrscheinlicher gewesen, wenn die Einschätzung der Walk Free Foundation stimmt: Denn das Vereinigte Königreich liegt gemeinsam mit Island und Irland am hinteren Ende des kürzlich von der NGO veröffentlichten globalen Sklaverei-Index.

Für das Register hat die Walk Free Foundation heuer erstmals 162 Länder nach der Verbreitung von Sklaverei gereiht. Das Land, dessen Gesellschaft am stärksten vom Konzept der Leibeigenschaft durchdrungen ist, ist laut der Liste Mauretanien – das nordafrikanische Land verbot die Sklaverei als weltweit letzter Staat offziell erst 1980. Dahinter folgen Haiti, mit Pakistan, Indien und Nepal drei Staaten des indischen Subkontinents und auf Platz sechs Moldawien, das erste europäische Land.

Österreich ist hinter dem Vereinigten Königreich, Island, Irland und Neuseeland mit acht anderen europäischen Ländern ex aequo auf Platz 150 der 162 untersuchten Staaten gelistet. Laut Walk Free führen 1.000 bis 1.200 Menschen in Österreich ein Leben in massiver Abhängigkeit.

Wie ist Sklaverei definiert?

Die Walk Free Foundation definiert den Begriff der Sklaverei genauso wie der Völkerbund in der "1926 Slavery Convention": "Sklaverei ist der Status oder der Zustand einer Person, der ein Teil des oder das ganze Recht auf Selbstbestimmung genommen wurde." Der Sklavenhandel beinhaltet laut dem in Genf unterzeichneten Völkerrechtsvertrag "alle Akte der Gefangennahme, des Transports, des Erwerbs oder Veräußerung einer Person mit der Absicht, sie zu versklaven, zum Tausch oder zum Weiterverkauf zur Verfügung zu stellen."

Wie viele Menschen leben weltweit in Sklaverei?

Zu den 1.000 bis 1.200 für Österreich angenommenen Menschen kommen laut Schätzung global rund weitere 28 bis 31 Millionen Sklaven. 13,3 bis 14,7 Millionen Menschen, also fast die Hälfte, werden in Indien als Leibeigene gehalten. Auf den Plätzen folgen China mit 2,8 bis 3,1 Millionen und Pakistan mit 2 bis 2,2 Millionen Menschen. In den zehn Staaten mit den meisten Sklaven – dazu zählen auch Nigeria, Äthiopien, Russland, Thailand, die Demokratische Republik Kongo, Myanmar und Bangladesch – spielen sich 76 Prozent der globalen Sklavereifälle ab.

Welche Motive gibt es für Sklaverei?

In fast jeder Ausprägung der Sklaverei nehmen ökonomische Gründe und die Ressource Arbeit eine prägende Rolle ein. Vor allem in Indien ist die Schuldknechtsschaft weit verbreitet, bei der die Betroffenen solange unfrei bleiben, bis sie ihre Schuld abgearbeitet haben – wann und unter welchen Bedingungen dieser Zeitpunkt gekommen ist, obliegt der Willkür des "Gläubigers".

Oft spielen bei der Versklavung auch externe Komponenten wie sexuelle Ausbeutung, (para-)militärische Macht oder ideologische Dogmen mit – der aktuelle Fall in Großbritannieren soll etwa einen (pseudo-)religiösen Hintergrund haben. Besondere Tragik erlangt das System Sklaverei, wenn Minderjährige betroffen sind und als Kindersoldaten, -arbeiter oder -prostitutierte missbraucht werden.

Was unterscheidet "moderne Sklaverei" von einer "traditionellen" Version?

In gewisser Weise sind moderne Sklaven "freier" als jene in früheren Jahrhunderten. Sie werden zumeist nicht physisch besessen und in Ketten gelegt, sondern in weniger offensichtliche, oft psychische Abhängigkeiten getrieben. Während die "Profiteure" den Sklaven früher überlebensnotwendige Bedürfnisse wie Unterkunft, Nahrung und medizinische Basisversorgung gesichert haben, müssen die Betroffenen in ihrer jetzigen "Freiheit" selbst dafür sorgen.

Mit der Globalisierung des Kapitalsystems wuchs sich auch die Sklaverei zu einem weltweit gültigen Prinzip aus. Über Subunternehmer profitieren oft auch bekannte Großkonzerne und Marken vom Menschenhandel und der Nötigung der Zwangsarbeiter in Landwirtschaft und industrieller Produktion.

Die Abgrenzung zwischen traditioneller und moderner Sklaverei ist aber nicht trennscharf. Ein Indikator dafür ist die Stellung der afrikanischen Länder im globalen Sklaverei-Index: 20 der 25 Staaten mit der weltweit höchsten Verbreitung befinden sich in Afrika, wo die vor Jahrhunderten eingeführten legalisierten Sklavereisysteme noch heute nachwirken. Direkte historische Linien zur antiken Sklaverei, wie sie aus dem Römischen Imperium oder Griechenland überliefert sind, lassen sich hingegen nicht mehr ziehen.

Mit welchen anderen gesellschaftlichen Phänomenen geht Sklaverei einher?

Wo Sklaverei stark verbreitet ist, lassen sich häufig weitere negative Indikatoren beobachten. Die Länder im Schlussfeld des Sklaverei-Index überschneiden sich signifikant mit jenen Ländern, die im Human Development Index (HDI) im Schlussfeld liegen. Der HDI misst unter anderem Faktoren wie Lebenserwartung, Schulbildung und das Bruttonationaleinkommen pro Einwohner. Auch Korruption und fehlender Zugang der Bevölkerung zu Finanzdienstleistungen ist in von Sklaverei geprägten Ländern weit verbreitet.

Die Überschneidungen hängen aber nicht unbedingt kausal zusammen, das heißt, Sklaverei zieht etwa nicht automatisch Korruption nach sich: So zählt Griechenland zu den "Musterschülern" im Sklaverei-Index, liegt bei der Korruption aber nur knapp vor dem europäischen Schlusslicht Albanien. (Daten: Florian Gossy, Text: Michael Matzenberger, derStandard.at, 25.11.2013)