Bild nicht mehr verfügbar.

Seinerzeit im Jahr 2008: Der scheidende Alfred Gusenbauer und der kommende Werner Faymann beim SPÖ-Bundesparteitag in Linz.

Foto: APA/ROLAND SCHLAGER

Wolfgang Radlegger: Wem graut nicht vor St. Pölten?

Foto: Standard/Cremer

Es hatte damals nicht lange gebraucht, bis er seinen Brief geschrieben hatte - der Werner Faymann an den "Onkel Hans". Endlich war er am roten Gipfel angelangt und durfte sich "geschäftsführender Bundesparteiobmann" nennen. Der Parteitag, auf dem er gewählt werden sollte, war ja nur noch reine Formalität.

Ein feines Lächeln umspann seinen Mund, wenn er sich dabei an vergangene Hoch-Zeiten erinnerte, zelebriert seit seiner Hochzeit mit dem Boulevard. Als Wiener Wohnbaustadtrat hatte er gelernt, was er als Minister für allen Verkehr zur Reife vollenden konnte. Irgendwie hatte er schon Recht, der alte Kanadier in Ebreichsdorf, wenn er von seiner goldenen Regel schwärmte. Zumindest, wenn es um Inserate ging.

Die Krone-Serie, bezahlt von den ÖBB, hatte seine Macherqualitäten, die so sehr in ihm schlummerten, endlich auch einem breiten Publikum vermittelt. Strafrechtlich war ja nichts dran, obwohl Übelwollende das behauptet hatten, und die Verletzung von Anstand steht ja nicht drin in diesem Buch des Strafbaren.

Und dann der Brief, der ihm schon alleine deshalb besonders gelungen war, weil ihn Alfred Gusenbauer mitunterschrieb. Der Brief war sein Meisterstück, schließlich wurde er dafür als "Alpen-Obama" gefeiert von jener Edel-Feder, die den gedruckten Daumen nach oben oder unten streckt. Sollten sie doch alle in ihren Zeitungsspalten verkümmern, die miesepetrigen Schreiberlinge und Herolde der Sendewellen, die kleingeistig von einem Kotau faselten. Eine schlichte Demutsgeste vor den wirklich Mächtigen zeigte ja nur, dass man fürs ersehnte Amt augenscheinlich geeignet war.

Schließlich wurde ihm dafür Heute in Österreich die Kanzler-Krone gesichert. Und "nach Europa fahren" wie er es so gerne nannte, konnte man ja immer noch später, wenn sich das Gewand des "glühenden Europäers" als passendes Outfit erweisen sollte.

Schöner wohnen

Für so ein Ziel lässt man Wege ebnen - für was sonst hat die Welt den Beruf des Wegmachers geschaffen? Man muss nur das Ziel im Auge behalten - nämlich einen längeren Mietvertrag fürs neue Quartier. Schließlich ist ein Umzug mit Aufwand verbunden, und "schöner wohnen" ist für sich alleine schon ein Ziel. Das hatte er bereits als Wiener Wohnbaustadtrat gelernt. Da muss man dann manch anderes unterordnen in der Wohnumgebung, und das verlangt eben nach "einer sicheren Hand" beim Retuschieren, Kaschieren, Kalmieren, Taktieren, Garnieren, Bagatellisieren, Fabulieren, und was man sonst noch rein sprach-handwerklich beim Über-den-Löffel-Balbieren alles können muss. Man gönnt sich ja sonst nichts außer Wohnen.

Und natürlich muss man auch wissen, wann die Zeit wofür reif ist. Und das war sie noch nicht in jenen Herbsttagen des Jahres 2010, als eigentlich das Budget fürs kommende Jahr dem Parlament vorgelegt hätte werden müssen.

Sein Gewissen beruhigte er damit, dass schon sein Religions-Katechet ihn gelehrt hatte, eine "Notlüge" sei eben, wie das Wort schon sagt, aus einer Not geboren und daher eigentlich gar nicht so schlimm. Und die Not war groß, denn östliche Landesfürsten hatten Wahlen zu schlagen, und die Landesherrlichkeit durfte doch nicht durch finstere kameralistische Zahlenwerke gestört werden.

Dafür die Verfassung zu beugen mutet doch wie ein sanftes Mailüfterl an, wird unser aller Kanzler mit sich im Reinen gewesen sein. In sein Gedächtnis eingekerbt hatte sich auch die prophetische Ansage einer Sprecherin in längst vergangenen Radio-Tagen, die weisgesagt hatte: "Dem Mutigen bangt selten, doch wem graut nicht vor St. Pölten." Oft genug hatten schwarze Schildknappen schon Zeugnis davon abgelegt, wie fürchterlich und grausam die Rache des Kuenringer-Häuptlings ausfallen konnte. Noch dazu, wo dieser ausgerechnet den roten Rathaus-Mann zu seinen Kumpanen zählte.

"Arbeiten für Österreich" hatte er das und manch anderes zur Halbzeit der Legislaturperiode genannt und dabei treuherzig versichert, man werde auch "fleißig" sein. Welch gefährliche Drohung aus berufenem Mund. Ja, Wahlen sind schon eine "besondere Zeit", sinnierte der Kanzler, wenn er sich an die Wiener Auflage dieses Spektakulums erinnerte. Wichtig ist dabei, dass man auch die "Zeichen der Zeit" versteht, wenn etwa die Kronen Zeitung just in diesem Augenblick die Abschaffung der Wehrpflicht kampagnisiert. Was kümmert's da schon, dass der eigene Minister eben diese gerade erst als "in Stein gemeißelt" beschworen hatte. Selbst schuld, wenn er den Meißel zur Unzeit zur Hand nimmt. Das fällt ohne jeden Zweifel unter die Kategorie "Eigenverantwortung" und hat so gar nichts mit Fremdbestimmung zu tun. Das zeitgemäße Kalendarium schreibt ja schließlich die Krone und kein "Minister auf Zeit".

Es hat sich immer schon als probat erwiesen, den politischen Chronometer nach der Kronen-Zeitrechnung zu stellen. Und so war es eben wirklich höchste Zeit, in Sachen Wehrpflicht mit der Zeit zu gehen. Schließlich hatte schon sein Vorgänger in den Ämtern parteiinternes "Gesudere" als irritierend empfunden, wenn es darum ging, staatspolitisch werktätig zu werden. Was kümmert da schon der eine oder andere lästige Zwischenruf aus den eigenen Reihen, wenn man gerade männliche Jungwähler umwirbt, die mittlerweile so selten geworden sind in den roten Bataillonen.

Kanzler der Katzen

Und eine von einem widrigen Zeitgeist geprägte Volksabstimmung zu verlieren, das war schon seinem großen Ahnherrn widerfahren, mag sich der "Kanzler der Herzen" im Nachhinein getröstet haben, den laut Krone -Eloge auch die Katzen wählen würden (oder waren's doch die Hunde?).

Der Weg zur Hölle sei mit guten Vorsätzen gepflastert, sagen die Engländer. Die Frage ist aber, wer sich auf diesem Weg befindet: diejenigen, die bei Regierungsklausuren gute Vorsätze verkünden oder jene, die daran auch noch glauben. "Wir müssen den Gürtel enger schnallen", hieß die Devise der vergangenen Jahre, als es darum ging, ein Sparpaket zu schnüren. Und Gerechtigkeit sollte walten, wenn es darum ging, die Bundes-Lastverteilung vorzunehmen. Auf die Bedürftigen sollte geschaut werden - aber nur ganz spezielle.

Denn wer sollte Zweifel daran haben, dass die früheren "Großparteien" dazu zählen, wenn sich die finanzielle Schere durch Mitgliederschwund einerseits und überbordende Werbekosten auf der anderen Seite immer weiter öffnet, gleichzeitig aber ein unfreiwilliges Transparenzbekenntnis zwingt, das Rauchglas der Parteienkassen durch das Milchglas der angeblich fromm gewordenen Denkungsart zu ersetzen?

"Wir schnorren, wo es geht, um zu helfen, wo es nimmer geht", hat die Caritas auf ihre Fahnen geschrieben. "Wir nehmen, wo es geht, um zu stopfen, wo es nimmer geht", war der extravagante rot-schwarze Fahnenspruch, als die Parteienförderung fast verdoppelt und der Einfachheit halber gleich für alle Zeiten an den Verbraucherpreisindex gekoppelt wurde.

Diese Wagenburgmentalität, die gar nicht mehr wahrnehmen lässt, was "die Menschen draußen" bei solchen Lausbubenstücken empfinden, ließe sich noch an anderen Beispielen beschreiben, die das herrschende System kennzeichnen. Das Berufsbild jenes Gauklers, der einem die "schöne neue Welt" vortäuscht, hat offensichtlich das Wollen ersetzt, "auszusprechen, was ist". Und wenn's zum Gaukler mangels Können nicht langt, genügt es ja auch, ein "Schlaucherl" zu sein.

Wählerbetrug

Nicht anders kann man die Verbreitung jener Vorwahllüge verstehen, als munter und wider besseres Wissen Steuerentlastungen samt erhöhtem Kindergeld versprochen wurden, was sich bald danach angesichts gähnender Leere in den Kassen als Schimäre erwies. Das ist aber weit mehr als bloße Realitätsverweigerung, wenn man ohnehin vorsichtig angesprochene Warnungen der Wirtschaftsforscher in den Wind schlägt, Bankenstützmilliarden einfach "vergisst", Pensionskosten ignoriert, Transaktionssteuern einplant und auch sonst "Wünsch dir was" spielt, wenn's ums Budgetieren geht. Bezeichnen wir es als das, was es ist: Wählerbetrug auf der Pawlatschenbühne von Faymann und Co.

Gegen vergleichbare Praktiken in der Wirtschaft, beispielsweise um Produktunwahrheiten zu bekämpfen, ist der Konsument gesetzlich geschützt. Doch wer schützt den Wähler? Er hat für fünf Jahre (die früher wenigstens nur vier gewesen wären) seine Rechte an der Wahlurne abgegeben. Welchen Klagsweg kann er beschreiten, wenn er sich zu Recht übertölpelt fühlt in diesem Schmierentheater? Und jene, die dafür einzustehen hätten, sie sitzen fest in ihren Sättel, von wo sie "ins Land einischaun", die Krone in der gebenden Hand, behütet von Österreich und dem Heute verpflichtet.

Wen kümmert schon das Morgen, wenn der Zahltag in so weiter Ferne liegt?

Zumindest solange sich der boulevardeske Daumen nicht nach unten dreht und die Totenglöcklein der Mediengunst das nahende Ende einläuten. Davor bewahrte unsere politischen Säulenheiligen noch immer die ärarische Schutzmantelmadonna, deren segensreiches Tun sich in Ministerinseraten offenbart. Und so werden sie weiter imaginieren, unser roter Häuptling "Sichere Hand" samt dem dilettierenden Entfesselungskünstler an seiner rechten Seite.

Der Morgen graut bereits und mir graut vor dem Morgen. (Wolfgang Radlegger, DER STANDARD, 23.11.2013)