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Hannes Swoboda: Öserreich verpasst Chancen in der EU, die SPÖ muss mehr kämpfen.

Foto: APA/Herbert Pfarrhofer

"Wir haben nichts, was die Leute emotional an die Europäische Union bindet", sagt Hannes Swoboda, Chef der SP-Fraktion im Europaparlament. Es sei ein großer Fehler gewesen, auf eine gemeinsame Hymne, die Fahne als Symbol zu verzichten. Wolfgang Schüssel habe zwar mit der FPÖ-Koalition "sehr viel verdorben", sei aber ein "guter Politiker für Europa" gewesen. Swoboda hätte nichts dagegen, Schüssel die Leitung eines Komitees zu übertragen, "das sich Gedanken machen soll, wie die Union zu Eigenmitteln kommt". Die Fragen stellte Thomas Mayer.

STANDARD: Sie sind seit 1996 im EU-Parlament, also fast seit dem EU-Beitritt Österreichs, und heute Chef der sozialdemokratischen Gesamtfraktion mit 194 Abgeordneten. Was hat sich seither am meisten geändert?

Swoboda: Was einem bei einer Rückschau klar wird, ist das große Spannungsverhältnis in der Union. Es gibt Momente der Stärkung – Europa ist in der Realität heute viel mehr, als es das einmal war. Aber gleichzeitig wird auch viel mehr hinterfragt. Das war 1996 nicht so. Es ist aber natürlich kein Zufall, dass das stärkere Europa mehr hinterfragt wird als das schwächere. Was mich aber schreckt, ist, was heute an Populismus, an Nationalpopulismus bis hin zum Rassismus wieder zutage tritt.

STANDARD: Wenn Sie sagen mehr Europa, was genau meinen Sie damit, außer die EU-Erweiterung?

Swoboda: Ich meine das nicht nur quantitativ. Der jüngste EU-Vertrag von Lissabon 2009 hat Europa als Ganzes stärker gemacht, etwa in der gemeinsamen Außenpolitik, wo es nun etwa eine Zustimmung des Parlaments bei allen internationalen Verträgen gibt. Oder auch bei der gemeinsamen Budgetpolitik, in den Agrarfragen sind wir stärker geworden. Aber die Regierungen versuchen den Verlust ihres Einflusses durch stärkeren nationalen Einfluss in der Wirtschaftspolitik zu kompensieren. Es wird versucht, da die Hand draufzuhalten.

STANDARD: Wie hat sich der Stellenwert von Europa insgesamt gewandelt?

Swoboda: Europa als Gesamtes war schwächer in der Welt in den 1990er-Jahren. Es war kleiner, und es war global weniger aktiv. Man hatte jedoch eine Vision, dass Europa stark sein soll. Es gab damals aber nur einige führende Leute, die dieses Europa in der Welt repräsentiert haben.

STANDARD: Also konkret: Leute wie der deutsche Kanzler Helmut Kohl, Frankreichs Präsident François Mitterrand oder Felipe Gonzáles aus Spanien?

Swoboda: Genau. Man darf nicht vergessen: Die Symbolkraft, die in der Gründungszeit der EU ein Konrad Adenauer oder Charles de Gaulle gehabt haben, die war auf einige Personen konzentriert, aber nicht auf Europa insgesamt.

STANDARD: Könnte man es mit einer Formel so beschreiben: Vor zwanzig Jahren war die Union realpolitisch viel weniger stark als heute, die EU-Integration war hingegen positiv besetzt, die Bürger wollten das. Heute ist es fast umgekehrt. Die EU ist vergleichsweise viel bedeutender, aber die Skepsis der Bürger ist groß?

Swoboda: Es ist absolut so. Das hat zwei Gründe. Die Generation der Europapolitiker, die den Weltkrieg noch im Kopf hatten, die ist nun vorbei. Angela Merkel oder François Hollande, die können nicht mehr vom Zweiten Weltkrieg reden oder vom europäischen Krieg, sie haben das nicht erlebt. Das hat nicht mehr die Authentizität. De Gaulle, Helmut Schmidt, Mitterrand, Kohl, die konnten noch direkt von ihren Erfahrungen im Krieg erzählen.

STANDARD: Und was ist der zweite Aspekt?

Swoboda: Das Zweite ist, dass der Regulierungsdrang immer wieder durchschlägt, auch von der Wirtschaft, die das stets bestreitet. Das hat Europa und die EU nicht populärer gemacht. An jeder neuen Regelung findet immer irgendjemand etwas Negatives. In der Summe wächst so die Skepsis.

STANDARD: Wo ist der Fehler? Wieso gelang es nicht, das ersehnte Projekt eines freien und friedlichen Europa populär zu machen?

Swoboda: Man muss aus dem Aufbau der Nationalstaaten erkennen, dass es ohne Emotionalität nicht geht. Auch die Nationalstaaten waren nicht immer da, die mussten sich erst finden. In der Union ist es auch so. Aus heutiger Sicht war es zum Beispiel ein großer Fehler, auf eine gemeinsame Hymne, auf die Fahne als Symbol zu verzichten, als der EU-Vertrag von Lissabon nachgebessert wurde. Man hätte dafür eigentlich mehr kämpfen sollen. Wir haben nichts, was die Leute emotional an die Europäische Union bindet, weil die Ursprungsbindung, das Friedensprojekt, inzwischen weggefallen ist. Das wird als selbstverständlich wahrgenommen.

STANDARD: Was könnten die neuen Bindungen sein?

Swoboda: Es ist ein Fehler, dass wir die neuen Aufgaben – wie Klimaschutz oder Energiepolitik – vernachlässigen, aus Selbstgefälligkeit. In der Weltbevölkerung macht Europa nur einen kleinen Teil der Bevölkerung aus, um die fünf, sechs Prozent. Tendenz fallend. Aber die Leute sind dennoch nicht davon überzeugt, dass wir für Lösungen ein gemeinsames starkes Europa brauchen, um unsere Interessen durchzusetzen.

STANDARD: Diese Frage hat man sich vor 17 Jahren so gar nicht gestellt.

Swoboda: Es war damals so, dass große Länder wie Brasilien oder auch China im Wachstum oder bei der Entwicklung von Technologien hintennach waren. Russland war damals im Abstieg. Heute sind diese Länder natürlich viel stärker. Bei uns hat man gesagt: Die liberale Demokratie wird überall siegen. Man hat vom Ende der Geschichte gesprochen.

STANDARD: Der US-Historiker Francis Fukuyama hat 1992 ein Buch so getitelt.

Swoboda: In Wahrheit war das ein großer Fehler, wie er später selber zugegeben hat. In Europa haben viele auch an das Ende der Geschichte geglaubt und sich auf unsere führende Rolle fixiert. Das ist aber keineswegs fix. Europa muss kämpfen, noch viel mehr als die Chinesen zum Beispiel. Das Bevölkerungswachstum und Wirtschaftswachstum ergibt sich dort fast automatisch. Wir müssen kämpfen, um eine gewisse Position zu halten.

STANDARD: Wann war der Zeitpunkt, an dem Ihnen das klar geworden ist?

Swoboda: Mir ist das so vor sechs, sieben Jahren klar geworden, vor dem letzten Wahlkampf. Wir reden über diese Zusammenhänge viel zu wenig. Nehmen Sie die Umweltpolitik. Europa produziert 13 Prozent des CO2-Ausstoßes weltweit. Wenn wir von 13 auf 11 Prozent runterkämen, hätte das kaum Auswirkungen auf die Klimaentwicklung. Nach wie vor produzieren wir pro Person viel mehr an Schadstoffen als die Chinesen. Aber in der Summe ist es anders.

STANDARD: Sie sagten auch, dass wir heute zwar mehr Europa haben, es aber mehr hinterfragt wird, inwiefern.

Swoboda: Ich sehe, dass der Widerstand immer stärker da ist. Wahlenthaltungen werden eher größer als kleiner. Populistische Parteien nehmen zu. Selbst proeuropäische Parteien, wie die ÖVP in Österreich zum Beispiel, wanken und schwanken. Bei uns in der SPÖ ist es noch einigermaßen gutgegangen, weil der Kanzler von einem Sozialdemokraten gestellt wird. Würden wir nicht den Kanzler stellen, würde das auch bei der SPÖ anders laufen.

STANDARD: Ich verstehe kritisches Hinterfragen der EU eher als positives Zeichen. Es bedeutet doch auch, dass man etwas ernst nimmt, nicht?

Swoboda: Da haben Sie schon recht. Die Leute merken heute sicher auch, dass Europa immer mehr in ihr tägliches Leben eingreift, dass es ohne Kooperation nicht geht, vor allem in der Wirtschaft. Ich bin auch sicher, dass eine große Mehrheit nicht aus dem Euro aussteigen würde, wenn man ihnen klarmacht, was das bedeuten würde an Rückschlag. Die Leute spüren aber, dass die Möglichkeit, Dinge über regionale Wahlen mitzubestimmen, schwächer wird. Man wählt zwar eine eigene Regierung, aber die kann viel von dem, was sie früher lieferte, in der heutigen Welt nicht einlösen. Das ist bei der Beschäftigungspolitik zum Beispiel so. Also kritisiert man das, was einem diese Möglichkeit nimmt.

STANDARD: Sie treffen viele Regierungschefs in ihrer Funktion, sind in alle wichtigen Entscheidungen in Europa zumindest indirekt involviert. Warum ist es für die so schwer, aus Europa positives politisches Kapital zu schlagen? Warum zieht man sich im Zweifel auf nationale Positionen zurück?

Swoboda: Weil unsere europäischen Regierungschefs plötzlich im Team miteinander arbeiten müssten. Das fällt ihnen schwer. Zu Hause können sie sagen: Ich bin der Chef. Aber im Europäischen Rat, beim EU-Gipfel, dort ist niemand der Chef, außer Kanzlerin Merkel vielleicht, die sich da rausgemausert hat. Sie müssen also in einem Team arbeiten. Der Rat ist dafür aber nicht vorbereitet. Er agiert als Ansammlung von Leuten, die halt miteinander verhandeln, Lösungen versuchen.

STANDARD: Muss man sich das wie ein untrainiertes Fußballteam vorstellen? Sie laufen aufs Feld, spielen mal los, wissen aber nicht genau, wie?

Swoboda: So wie das österreichische Team, muss man da fast sagen. Ich sehe das absolut so. Es gibt kein Team, es gibt nicht mal einen Schiedsrichter. Die Regierungschefs laufen unkoordiniert. Manchmal treffen sie vielleicht sogar das Tor, aber dann eher zufällig als aus bewusster Strategie.

STANDARD: Wie kann man das ändern?

Swoboda: Es müsste an der Spitze eine Straffung geben. Man sollte einen einzigen Präsidenten haben – für den Europäischen Rat und die EU-Kommission, nur eine Frau oder einen Mann, die oder der die Union vertritt.

STANDARD: Angelehnt an das US-amerikanische System mit einem Präsidenten?

Swoboda: Ein Präsidialmodell, in diesem Sinn sollte man das entwickeln. Es sollte in der EU-Kommission fünf, sechs Vizepräsidenten geben, die ein großes Gebiet abdecken: Außenpolitik, Rechtspolitik, Inneres, dann in der Wirtschaftspolitik natürlich und Finanzen, Umweltpolitik und Gesundheit. Die sollten die politische Führung übernehmen. Man müsste das also anders organisieren. Ein Bürger kann sich fünf, sechs Leute merken, die Europa eine Führung geben. Die EU-Kommissare kennt man doch heute meist nur im eigenen Land, wenn überhaupt.

STANDARD: Ließe sich das mit dem derzeitigen EU-Vertrag machen?

Swoboda: Ja, wenn sich die Regierungschefs darauf einigen könnten, dass der neue EU-Kommissionspräsident, der 2014 gewählt wird, gleichzeitig auch der Präsident des Europäischen Rates ist, dann wäre das möglich. Er könnte die EU-Kommission viel straffer organisieren, wobei jedes Land durchaus seinen Kommissar behalten könnte. Viele hätten dann eben eine untergeordnete Funktion.

STANDARD: Charles de Gaulle hat gesagt, Europa ist kein Kastanienreis, man könne die Nationen nicht so einfach zu einem Brei verrühren. Das stimmt doch auch, wie man sieht. Die Vereinigten Staaten von Europa wird es so bald nicht geben. Wir werden die Regierungschefs als Player wohl noch lange haben, denken Sie nicht?

Swoboda: Sicher, es ist irreal zu glauben, man könnte die Nationen abschaffen. Daher bin ich auch kein Föderalist, der das von heute auf morgen überspringen wollte. Aber in der Führungsstruktur der Union müssen wir andere Wege gehen. Die Niederländer schlagen vor, dass man die Zahl der Kommissare reduziert. Das halte ich gar nicht für günstig. Ich kann mir keinen Zustand vorstellen, in dem Frankreich und Deutschland keinen EU-Kommissar haben. Dann gehen die noch stärker ins zwischenstaatliche Handeln hinein. Und für die kleinen Staaten ist der Kommissar eine Ansprechperson in Brüssel, das muss man respektieren, auch wenn mir das als EU-Parlamentarier vielleicht nicht so gefällt. Daher bin ich für Straffung der Aufgaben, neue Strukturen, ohne zu reduzieren.

STANDARD: Die beste europäische Fußballmannschaft ist Bayern München. Die haben den besten Trainer, Pep Guardiola, eine Einsermannschaft mit elf Spielern. Mit dem großen Kader könnten sie aber sicher drei Spitzenmannschaften stellen. Sollte die EU es so angehen?

Swoboda: Ja. Bei Bayern spielt sogar ein Österreicher afrikanisch-asiatischer Abstammung mit. Auch Bayern wird im Fußball nicht nur durch bayrische Menschen vertreten, und der Cheftrainer ist noch dazu ein Spanier.

STANDARD: Wenn der Grieche wäre!

Swoboda: Das ist ein guter Vergleich. Man kann Bayern vertreten, ohne ein Urbayer zu sein. Die Hymne für den FC Bayern hat Lorin Maazel eingespielt. Wir haben nichts Vergleichbares, was die Leute emotional an die Europäische Union bindet. Die Multinationalität ist in Verbindung zu bringen mit einer starken regionalen Identität. Europa könnte aus verschiedenen Identitäten aufgebaut sein. Aber wenn wir Europäer gegen andere spielen, dann müssen wir gemeinsam spielen.

STANDARD: Die Begeisterung für den Fußball lebt vom Kampf, und man muss vor allem Tore schießen. Welche Tore muss die EU schießen, um die Bürger zu begeistern?

Swoboda: Nehmen Sie die NSA-Affäre. Wenn wir Europäer gemeinsam den Amerikaner sagen würden, dass wir das nicht akzeptieren, und zum Beispiel bei der Übertragung von Bankdaten entsprechend handeln, dann würde das gut ankommen. Europa muss sich nicht alles gefallen lassen, muss gemeinsam aufstehen. Wenn Europa bei den Solarpaneelen gegen China vorgeht, muss es das gemeinsam tun. Es kann nicht sein, dass einer vorausgeht und der andere in Europa ihm in den Rücken fällt und sagt: „Nein, doch nicht." Wir müssen auf dasselbe Tor zielen. Der Gemeinschaftsgeist, der fehlt uns Europäern.

STANDARD: Reden Regierungschefs so über die Dinge, wie wir beide das jetzt tun?

Swoboda: Meine Erfahrung ist, wenn man sich mit ihnen im kleineren Kreis trifft oder bei den Vorbereitungstreffen auf Parteichefebene, dann reden sie so. Aber wenn sie sich dann im Kreis des Europäischen Rates treffen, dann läuft das anders. Da gibt es dann Regierungschefs, die auf den Koalitionspartner Rücksicht nehmen müssen. Mancher Regierungschef hat zu Hause vier Koalitionspartner. Der muss sich natürlich beim EU-Gipfel eher zurückhalten. Das ist das Problem. Kaum ein Regierungschef hat die Autorität zu sagen: Egal was ich zu Hause für Hemmschuhe habe, ich handle jetzt auf europäischer Ebene.

STANDARD: Diese Sachzwänge führen zu Mittelmaß in Europa?

Swoboda: Ja.

STANDARD: Sie sind als Fraktionschef mit 194 SP-Abgeordneten aus 28 EU-Staaten auf dem Höhepunkt des Erfolgs im Leben eines Parlamentariers. Sie treten nicht mehr bei den EU-Wahlen 2014 an, wieso hören Sie auf, wenn es sozusagen am schönsten ist?

Swoboda: Genau aus dem Grund. Man sollte generell in der Politik vermeiden, dass man hinausgedrängt wird. Ich bin auch schon 67. Es gibt auch andere Dinge im Leben, an denen man arbeiten kann, ohne dass man so stark angehängt ist wie ich derzeit als Fraktionschef. Es gibt Interessen, die ich total vernachlässige, das Malen, das Bücherlesen. Das bedeutet ja nicht, dass man politisch dann nicht aktiv bleibt. Aber eine Sache wie Fraktionschef, das können Sie nur ganz oder gar nicht machen.

STANDARD: Ungewöhnlich für einen Politiker. Wird Ihnen das nicht fehlen, gerade jetzt, wo Sie was bewegen können?

Swoboda: Wenn ich vor zehn Jahren Fraktionschef geworden, ich zehn Jahre jünger wäre, wär das was anderes. Aber das gibt mir nun in den letzten Monaten auch eine große Unabhängigkeit, ich muss nicht aufpassen, dass man mich nicht wählen könnte. Diese Unabhängigkeit genieße ich sehr.

STANDARD: Das ist ja genau das, was viele Bürger sich eben wünschen aus Frust über die etablierten Parteien: freie politische Menschen. Werden Sie aufgefordert zu bleiben?

Swoboda: Es geht immer weiter, es gibt immer einen Nachfolger. Fraktionsvorsitzender zu sein hat auch einen Nachteil gegenüber normalen Abgeordneten, weil man sich mit nichts mehr wirklich intensiv beschäftigen kann. Man muss über alles etwas wissen, und die Erfahrung hilft einem dabei. Aber das Problem von Spitzenpolitikern ist schon, dass sie für nichts mehr wirklich Zeit haben.

STANDARD: Was sind Ihre Schlüsse für Österreich aus 17 Jahren persönlicher EU-Erfahrung?

Swoboda: Es hat immer wieder gute Ansätze zu Europa gegeben, aber die sind immer wieder durch die Innenpolitik zerstört worden. Wolfgang Schüssel zum Beispiel war ein guter Politiker für Europa, aber durch die Koalition mit der FPÖ hat er sich sehr viel verdorben. Ich habe dieser Tage dran gedacht, als wir in der Fraktion geredet haben über die Einsetzung eines Komitees, das sich Gedanken machen soll, wie die Union zu Eigenmitteln kommt. Einer, der das immer vertreten hat, war Schüssel. Ich habe gesagt, ich hätte nichts dagegen, ihn zu bitten, das zu leiten, auch wenn er nicht mein politischer Freund ist. In dieser Frage war er immer weit voraus.

STANDARD: Schüssel war aus einer Generation von Wegbereitern des EU-Beitritts, wie Franz Vranitzky, Erhard Busek oder Alois Mock.

Swoboda: Ja. Heute gibt es aber Dinge mit Ungarn, die mir bei Schüssel nicht so gefallen, aber sei's drum. Das zweite große Problem in Österreich ist, dass wir eine völlig ausgedünnte politische Elite haben, generell. Die Personaldecke ist so dünn. Niemand kümmert sich drum. Wir brauchen Leute, die europapolitisch geschult sind. Wir müssten sagen, jeder Junge, der in der Politik einen Posten kriegt, der gehört einmal für ein halbes Jahr nach Europa geschickt, er soll im europäischen Parlament oder in einer Institution oder sonst wo mitarbeiten. In der Wirtschaft ist das inzwischen fast selbstverständlich, aber in der Politik nicht.

STANDARD: Die Jungen muss ich da in Schutz nehmen, die haben schon Interesse. Aber sie sind tief frustriert von den etablierten Parteien. Sehen Sie das nicht so?

Swoboda: Ja. Mich wundert ja nur, dass man nach jeder verlorenen Wahl kurz drüber redet, aber dann geht das wieder verloren. Es gibt keine Strategie, wie man die Parteien personell auffrischt, sei es durch junge Leute oder durch unkonventionelle. Das ist früher viel mehr passiert. So bin ich in die Politik gekommen.

STANDARD: Verliert Österreich an Stellenwert in der EU, knapp 20 Jahre nach dem Beitritt?

Swoboda: Wir sind stark im Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit, bei der Sozialpartnerschaft. Da sind wir ein bisschen drinnen auf EU-Ebene. Die Bedeutung von Kultur, das Gesundheitssystem, wir hätten als Land so viele wertvolle Beiträge zu leisten, aber das wird viel zu wenig genützt. Da könnten wir uns viel besser einbringen als zum Beispiel Deutschland, weil es als großes Land immer in Gefahr ist, als von oben herab empfunden zu werden. Es wäre viel mehr möglich. Das würde ich auch unter echtem Patriotismus verstehen – das  zu vermitteln, worauf man stolz sein kann im eigenen Land.

STANDARD: Warum tut sich die SPÖ so schwer?

Swoboda: Die SPÖ hat sich von einer europakritischen Partei, in der die Spitze unter Franz Vranitzky anders gehandelt hat, zu Europa hinbewegt. Das muss man auch Werner Faymann lassen, dass er das jetzt fortgesetzt hat.

STANDARD: Nach einem Rückfall. Vranitzky hat die Gewerkschaften 1994 und die SPÖ von der Notwendigkeit des EU-Beitritts überzeugt, dann waren da Ihre Frau, EU-Staatssekretärin Brigitte Ederer, Ferdinand Lacina ...

Swoboda: Unter Viktor Klima war es dann schon wieder skeptischer. Dieser Nachvollzug ist langsam geschehen, aber nicht wirklich grundlegend. Es trifft uns, dass man die jungen Leute nicht heranzieht und rausschickt nach Europa. Der Kader ist zu schwach, um daraus eine zukünftige Struktur zu bilden. Ein paar Leute reichen dafür nicht aus.

STANDARD: Worin liegen die Chancen der Sozialdemokratie?

Swoboda: Sie hätte neue Chancen, wenn sie die wirklich nützt. Man müsste sofort anfangen, sich überlegen, was man will. Wir müssen uns ganz klar zu Europa, zur EU bekennen, und müssen dazu sagen, dass wir eine andere Union wollen, ein Europa, das flexibel ist, aber klare Aussagen hat in Bezug auf soziale Kompetenzen. Wir dürfen auch nicht nur für die Armen sprechen, wir müssen die Mittelklasse ansprechen, den Mittelstand. Wenn die Mitte nicht mitzieht, ist die soziale Komponente nicht durchsetzbar.

STANDARD: Wie werden Sie sich einbringen?

Swoboda: Ich bin in den kommenden Monaten fast permanent auf Reisen, fahre in fast jedes Mitgliedsland. Der Wahlkampf wird sich auf die letzten vier Wochen vor dem Wahltermin konzentrieren. Wir müssen die eigenen Leute motivieren, ihnen sagen: Macht eine Kampagne, einen echten Wahlkampf. Um Europa muss man kämpfen. Das ist die einzige Chance, den Rechtspopulisten etwas entgegenzusetzen. Wenn die sagen, sie sind gegen die EU, und wir halten nur dagegen, indem wir sagen, dass wir für die EU sind, dann wäre das zu wenig. Da müssen unsere Leute kämpfen. (Thomas Mayer, DER STANDARD, Langfassung, 23./24.11.2013)