Im Zuge der Audimax-Besetzung solidarisierten sich Studierende und Obdachlose - mit nachhaltigen Folgen: Die "zweite Gruft" und "Vinzirast mittendrin" gingen direkt aus dieser Bewegung hervor.

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Wien - Vor recht genau vier Jahren, Zeit des Wintereinbruchs, fanden einige Obdachlose im größten Hörsaal der Universität Wien Zuflucht. Sie schlugen ihr Lager inmitten der Besetzung der "Audimaxisten" auf.

Schnell stellte sich eine beidseitige Solidarität, aber auch Zweckbeziehung ein: Die Obdachlosen hatten ein provisorisches Dach über dem Kopf. Den Studenten kamen sie gelegen, um die soziale Dimension der Besetzung zu betonen und sie aufrechtzuerhalten.

Und die Gemeinsamkeiten wurden immer deutlicher; angeprangert wurden Prekarisierung und Ausverkauf sozialer und wirtschaftlicher Verhältnisse.

"Das Audimax hatte eine Signalfunktion", sagt Helmut P. Gaisbauer vom Zentrum für Ethik und Armutsforschung an der Uni Salzburg. Die Notsituation der Obdachlosen erhielt in den altehrwürdigen Mauern der Alma Mater zusätzlichen Kontrast.

Institutionelle Veränderungen

Es wurde die "zweite Gruft" gegründet, wo auch Nicht-EU-Bürger schlafen können. Anfang dieses Jahres wurde schließlich "Vinzirast mittendrin" eröffnet, ein Sozialprojekt, in dem ehemalige Wohnungslose und Studierende unter einem Dach leben - auch dieses Projekt ging direkt aus der Audimax-Bewegung hervor. "Wenn es zu solchen institutionellen Veränderungen kommt, ist es der Beweis, dass sich etwas bewegt hat", sagt Gaisbauer.

Maximilian Steiner wohnt seit April in der Vinzirast auf der Währinger Straße. "Das Haus ist auf Gemeinschaft ausgerichtet", erzählt er. Die Studierenden sind Mitbewohner der ehemals Obdachlosen und nicht in der Rolle von Sozialarbeitern. Viele der studentischen Heimbewohner hätten aber Erfahrungen mit Obdachlosigkeit oder Sozialarbeit, sagt Steiner, der Umwelt- und Bioressourcenmanagement an der Universität für Bodenkultur studiert. Einige Studierende des "Audimaxismus" seien immer noch für das Projekt aktiv.

In der Forschung zu Obdachlosigkeit werden Sozialarbeit und Wissenschaft oft kombiniert, sagt Ursula Naue, Politikwissenschafterin an der Uni Wien. "Diese Doppelrolle eignet sich perfekt, auch wenn es nicht einfach ist, zwischen den Rollen zu wechseln."

Naue bietet in diesem Semester das Seminar "Obdachlosigkeit" an. An ihrem Institut sei es das erste in dieser Form. "In der Soziologie wird viel zu Obdachlosigkeit gearbeitet, an der Politikwissenschaft kaum."

Alles andere als marginal

Es gehe es darum, "wie der gesetzliche Rahmen aussieht, wo die politischen Praktiken stattfinden und wer die Akteure sind". Vor dem aktuellen Hintergrund der Vertreibungen von Obdachlosen aus dem Wiener Stadtpark heißt das etwa: Wer sind denn nun eigentlich die "Anrainer" des Stadtparks? Wer fühlt sich gestört? Wer solidarisiert sich?

Auch die Betroffenenperspektive soll Einzug in die Forschung von Naue finden. In Österreich gebe es viele Angebote für wohnungslose Menschen, aber es sei eine "zersplitterte Landschaft".

Wohnungslosigkeit ist ein Thema der Armutsforschung. Lange Zeit sind Obdachlose dabei als extrem marginalisierte Gruppe verstanden worden, kritisiert Gaisbauer. 2012 habe es in Österreich 36.000 Delogierungsverfahren gegeben, die meist mehr als eine Person betreffen. "Das geht mitten in die Gesellschaft hinein."

Michael Ofner machte Obdachlosigkeit zum Thema seiner Diplomarbeit in Geschichte. Die Begriffe hätten sich im Laufe der Zeit sehr stark verändert. Begriffe wie Einleger, Nichtsesshafte, Landstreicher, Bettgeher oder Vagabunden sind nicht mehr geläufig.

Im Moment sei man bemüht, den Begriff Wohnungslosigkeit, dem oft negativ besetzten Begriff der Obdachlosigkeit entgegenzustellen, sagt Ofner.

Er war selbst als Sozialarbeiter in der "zweiten Gruft" tätig. "Der Audimaxismus hat Wind in die Bewegung gebracht", erzählt er. "Man hat gesehen, dass es Leute gibt, die nicht in das bestehende Förderungsschema fallen und dass man sich hier etwas überlegen muss." (Julia Grillmayr, DER STANDARD, 21.11.2013)