Eine vom Verlust geprägte Region: "The Crime Scene".

Foto: Stephan Wyckoff / TBA21

Wien - Es geht um Verlust, sagt Amar Kanwar, um das Zerrinnen ganz unterschiedlicher Dinge, darunter die Beziehung zu Menschen, zur Politik, aber auch zur Gerechtigkeit. Insbesondere Letzteres ist ein intensives Motiv in der Multimedia-Installation The Sovereign Forest, die nun in der TBA21 im Augarten zu sehen ist: Thema sind die Enteignungen und Vertreibungen im ostindischen Bundesstaat Odisha (bis 2011 Orissa) im Zuge der Ansiedlung von Bergbau- und Industrieanlagen. Der Konflikt zwischen ländlicher Bevölkerung, Regierung und Unternehmen begann 1999.

Erstmals war The Sovereign Forest im Vorjahr bei der Documenta 13 zu sehen. Und es scheint, dass die Filme des 1964 in Delhi geborenen Filmemachers (ursprünglich hatte er Geschichte studiert, wollte aber, wie er es flapsig ausdrückte, nicht auf der Uni versauern) nun auf keiner der Kasseler Großausstellungen mehr fehlen dürfen: 2002 in A Night of Prophecy ging es um den indisch-pakistanischen Grenzkonflikt, 2007 in The Ligthning Testimonies um sexuelle Gewalt gegen Frauen.

Kanwar, dem Dokupoeten, geht es um eine andere Form des Sehens. Denn die Art, wie man die Dinge betrachtet, habe Einfluss darauf, wie man sie versteht. Das wesentlichste Mittel seiner Sehschule ist dabei die Verlangsamung, die insbesondere im Hauptteil von The Sovereign Forest, dem 45-minütigen The Crime Scene wirksam wird. Tatort ist die Natur. Kanwar reiht, unterlegt mit dem Säuseln des Windes, ein bewegtes Bild ans andere - Quelle, Baum, wiegendes Gras, Vögelchen - und führt uns den Raum des Verlusts vor. Die Melancholie dieses Epilogs verstärken die Bäume im Augarten, die sich schemenhaft durchs Atelierfenster abzeichnen und die Filmleinwand rahmen.

Auch in seinen Filmen nutzt Kanwar das Schattenspiel, verleiht seinen Narrativen dadurch etwas Universelles. Was dennoch stört, ist die Präsentation im Loop, die eine gewisse Indifferenz gegenüber der Erzählform und der spezifischen Dramaturgie dieses Films erkennen lässt.

Kanwar zeigt aber auch die 266 angebauten Reissorten der Region, eine Vielfalt, die unter dem Druck großer Unternehmen (Stichwort Monsanto) verlorengeht. Dabei bleiben auch Menschen auf der Strecke. Den Toten ist eines von Kanwars kleinen Büchlein gewidmet.

Der Künstler versteht seine Arbeit als einen sehr deutlichen Vorschlag, jenen für eine neue Form der Institution, die Kunst und Politik verquickt. Als The Sovereign Forest in Odisha erstmals gezeigt wurde, reagierte die lokale Bevölkerung sehr stark; die Ausstellung wurde zu einer Sammelstelle für Bilder und Materialien. Im Raum der Evidenzen sind einige dieser Papiere zu sehen, neben Besitzurkunden und Landkarten sind auch Kinderzeichnungen darunter.

Kanwar sammelt Fakten und Bilder, schafft so ein poetisches Archiv, das anklagt. "Mit meiner Arbeit trete ich dafür ein, dass in einem Strafprozess neben forensischem Material auch Poesie als Beweis anerkannt wird." Man könnte dieses Tun auch als das Schaffen eines kollektiven Gedächtnisses beschreiben. Und das ist in der Tat etwas, das Wandel und Veränderung anregt. (Anne Katrin Feßler, Langfassung, DER STANDARD, 23./24.11.2013)