Jhule – Der Weg zu Sabita Ghising ist lang und steinig. Die Straße von Nepals Hauptstadt Kathmandu in die östlich gelegene Bergstadt Bhimeshwar ist rund 125 Kilometer lang. Danach muss man nur noch 30 Kilometer bis zum 2500-Einwohner-Dorf Jhule zurücklegen. Doch der unasphaltierte Hauptverkehrsweg mit großen Gesteinsbrocken in der Erde lässt selbst für robuste Jeeps nur Schritttempo zu. Über einen schmalen Gehweg gelangt man nach sechs Stunden Reise zu Ghisings Hof. Richtung Nordosten reicht an klaren Tagen die Sicht bis zu dem vereisten Himalayagipfel des mächtigen Gauri Sankar. Das Gebiet scheint uneinnehmbar, vielleicht die große Chance für die Landwirte im Hochtal. 90 Prozent der Einwohner Jhules leben von Landwirtschaft. Monsanto und andere Großkonzerne resignieren wohl angesichts der kargen Infrastruktur, obwohl es in der Bergregion auf fast 1500 Höhenmetern einen sehr fruchtbaren Boden gibt.

Vom Bergdorf Jhule ist der Himalaya zu sehen.
Foto: derstandard.at/Julia Schilly

Mehr Ertrag vom gleichen Land

Sabita Ghising besitzt 18 Ziegen, zwei Wasserbüffel und ein großes Ingwerfeld. Vor zwei Jahren begann die 45-Jährige als Erste im Dorf, ihren Nachbarn Honig anzubieten. Mit selbstgebasteltem Kopfschutz, aber ohne Handschuhe präsentiert sie bedächtig einen Bienenstock. "Wichtig ist es, sich sehr langsam zu bewegen", sagt sie. Durch das Angebot stieg die Nachfrage, mittlerweile pilgern sogar Menschen aus Bhimeshwar zur Imkerin.

Sabita Ghising verdient gutes Geld mit ihren Bienen.
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Dreimal im Jahr erntet Ghising. Sie hat elf Boxen auf ihrem Grundstück, jeder Stock bringt zehn Kilogramm Honig pro Jahr. Damit kann sie insgesamt 55.000 nepalesische Rupien verdienen. Umgerechnet erscheinen diese 406 Euro wenig. Doch ein Nepalese verdient im Durchschnitt nur 289 Euro im Jahr. Ghising berichtet, dass sie durch ihre Bienen alle Schulden bei Großgrundbesitzern abbezahlen konnte. Ihr Ehemann kann das erste Mal, seit sie verheiratet sind, das ganze Jahr zu Hause arbeiten und muss nicht mehr im Ausland auf Baustellen anheuern. Das Geld sichert auch eine gute Bildung für die Kinder. Die Söhne, zwölf und 18 Jahre alt, gehen in Kathmandu zur Schule. Nicht selbstverständlich für sogenannte Dalits, sie gelten als "Unberührbare", stehen außerhalb des Kastenwesens und werden diskriminiert.

Das Verdienst durch die Landwirtschaft reicht aus, dass der Ehemann nicht mehr zusätzlich auf Baustellen arbeiten muss.
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Gesellschaft im Umbruch

Im Dorf sind noch die Nachwehen des zehnjährigen Bürgerkriegs zu spüren, der mehr als 13.000 Menschen das Leben gekostet hatte und erst 2006 endete. Es mangelt noch immer an ausreichenden Bewässerungssystemen und landwirtschaftlicher Weiterentwicklung. Die Menschen hungern, obwohl sie auf ihrem Boden mehr Nahrung produzieren könnten.

Mithilfe der NGO Rural Reconstruction Nepal (RRN) begannen die Bäuerinnen ihr Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen. Durch Schulungen spezialisierte sich jede Frau auf einen Bereich: Chili, Viehhaltung, Kiwis, Paradeiser oder Senffelder. Grundlage ist, dass umweltschonend und nachhaltig angebaut wird. "Früher konnten wir nicht einmal unseren eigenen Bedarf decken. Jetzt können wir das ganze Jahr von unserem Land essen", erzählt Ghising.

Irgendwann enden die Straßen. Die Bauernhöfe im Dorf sind nur durch ein dichtes Netz an Wegen verbunden.
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Unterstützung kommt auch aus Österreich: Von der Dreikönigsaktion (DKA), einem Hilfswerk der katholischen Jungschar. "Niemand bekommt direkt Geld in die Hand gedrückt. Es ist den Menschen zuzutrauen, dass sie selbst wissen, was gut für ihre Entwicklung ist", sagt Andrea Kadensky, DKA-Projektleiterin für Nepal. Oft fehle einfach das Wissen, nicht nur zu überleben, sondern vom Boden gut zu leben.

Die Frauen haben sich organisiert und spezialisieren sich auf unterschiedliche landwirtschaftliche Bereiche.
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Durch mehr Einkommen steigt die soziale Stellung im Dorf, was oft auch das strenge Korsett des immer noch vorhandenen Kastenwesens lockert. Pro Jahr werden 30.000 Euro in das RNN-Projekt investiert, damit wird 6000 Menschen in drei Gemeinden geholfen. "Armut heißt vor allem, keine Wahl zu haben", sagt Kadensky. Und die Frauen in Jhule entscheiden immer öfter selbst, was sie essen und wo ihre Kinder zur Schule gehen. (Julia Schilly, DER STANDARD, 3.12.2013)