Vail - Die Heldinnengeschichte ist geradezu aufgelegt: Skistar Lindsey Vonn, bei der WM im Februar 2013 in Schladming schwer gestürzt, kehrt ein Jahr später in Sotschi triumphal zurück und erklimmt den Olymp. Die Geschichte kann sich immer noch ausgehen, sogar angereichert um eine weitere Facette in Form eines Zwischentiefs, doch gegenwärtig wackelt sie. Bei ihrem Sturz im Abfahrtstraining in Copper Mountain, Colorado, zog sich die 29-jährige US-Amerikanerin einen Kreuzbandeinriss im rechten Knie zu.
Es handelt sich um jenes Band, das im Februar beim Sturz im WM-Super-G auf der Planai gerissen war und dann in Vail operiert wurde. Dazu erlitt Vonn damals einen Außenbandriss und eine Fraktur des Schienbeinkopfes im rechten Knie. Schon im Februar 2007 war besagtes Kreuzband einmal eingerissen.
Damals wollte Vonn schon nach vier Wochen wieder Ski fahren, am Ende beschloss sie auf Anraten der Ärzte, es nicht zu überstürzen mit der Rückkehr. In der folgenden Saison gewann sie erstmals den Gesamtweltcup.
Vonn benötige jetzt "ein paar Tage Ruhe", sagte ihr Sprecher Lewis Kay, dann werde sie mit "aggressiver Physiotherapie" beginnen. Und "wenn sie sieht, wie die Behandlung anschlägt, wird sie festlegen, wann sie wieder Rennen fahren kann". Das ist recht vorsichtig formuliert. Das Rätselraten um Vonns Gesundheit geht also weiter. Tom Hackett, Chirurg an der Klinik des Kniespezialisten Richard Steadman in Vail, sagte der Denver Post, dass Vonn unter Umständen sogar schon in der kommenden Woche wieder Ski fahren könne. Man müsse Tag für Tag abwarten.
Das Gesicht der Spiele
James Gladstone, Chirurg an der School of Medicine am Mount Sinai Hospital in New York, sagte in USA Today: "Von außen betrachtet, können wir nicht wissen, womit wir es gerade zu tun haben." Ein leichter Riss habe womöglich kaum ernsthafte Konsequenzen, ein paar Wochen Pause, und alles könne wieder gut sein. Falls der Riss aber tiefer gehe, sei die Teilnahme an Olympia in Gefahr.
Von 29. November bis 1. Dezember sind in Beaver Creek, Colorado, dem WM-Schauplatz 2015, Abfahrt, Super-G und Riesenslalom angesetzt. Wenn Vonn diese Rennen versäumt, ist das nicht weiter schlimm, auch wenn es ihre Chance auf den fünften Gewinn des Gesamtweltcups erheblich schmälerte. In den USA ist der Skiweltcup keine große Nummer - ganz im Gegensatz zu den Olympischen Spielen, die im Februar 2014 in Sotschi gegeben werden. Für den TV-Sender NBC, der die US-Rechte an Olympia besitzt, ist sie das "Gesicht der Spiele". Schließlich ist sie, die mit Golfsuperstar Tiger Woods liiert ist, dazu prädestiniert, die Heldin zu mimen, die sich vom Krankenbett erhebt, um Olympiasiegerin zu werden. Das ist wesentlich griffiger, als es ihre zwei WM-Titel sind oder ihre 59 Weltcupsiege, gefeiert in allen Disziplinen. Nur noch drei Stück fehlen ihr auf den einschlägigen Weltrekord von Annemarie Moser-Pröll.
Auch eine Reihe zahlungskräftiger Sponsoren setzt auf Vonn, ihre Einnahmen aus der Werbung werden auf 2,5 Millionen Dollar geschätzt. Sollte sie, die bei den Spielen 2010 in Vancouver Abfahrtsgold gewonnen hat, nicht starten können, wäre das ganz bitter für Vonn, die ehrgeizige Sportskanone. Und ein PR-Desaster wäre es auch. (bez, sid, DER STANDARD, 22.11.2013)