Unterrichtspraktikantin Veronika Graf will keine strenge Lehrerin im "Löwenkäfig" sein. Sie steht seit diesem Semester zum ersten Mal in Deutsch und Physik an der Tafel.

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Wien - Die Glocke hat bereits den Beginn der Stunde eingeläutet - die Schüler der zweiten Klasse des Gymnasiums Albertgasse interessiert das recht wenig: Es wird gerauft, getratscht und gekichert.

"You can't have us in quiet mode" steht als Graffiti an der Rückwand des Klassenzimmers der 2C. Der Geräuschpegel in der Klasse entspricht dem Slogan an der Wand.

Veronika Graf ist Unterrichtspraktikantin für Deutsch und Physik. Pro Fach betreut sie heuer ein Jahr lang eine Klasse. Insgesamt steht sie sechs Stunden an der Tafel, vier davon in der 2C als Deutschlehrerin.

Mit der geplanten Umstellung des Lehramts auf das Bologna-System wird es das Unterrichtspraktikum so nicht mehr geben: Eine Induktionsphase neben dem Master soll es ab 2019 ersetzen.

Für Graf ist dies ein "extremer Verlust", da man sich nicht mehr auf wenige Stunden konzentrieren könne. Derzeit investiert sie drei Stunden Vorbereitung in eine Unterrichtseinheit. Wenn man "quasi eine volle Lehrverpflichtung" habe, wäre dies nicht mehr möglich und "überfordernd" , kritisiert die Uniabgängerin.

Seit zwei Monaten unterrichtet die 26-Jährige und muss sich "jedes Mal aufs Neue die Führung erkämpfen". Auch wenn es teilweise "wie im Löwenkäfig" zugehe, will Graf "keine strenge Lehrerin sein". Steht sie allein in der Klasse, "denken die Schüler, sie hätten Narrenfreiheit". Ist ihr Betreuungslehrer Walter Radics dabei, funktioniere es besser.

Korrektur in Grün

Die Zweitklässler sollen ihre Hausübungen verbessern. Zum Überarbeiten der grün korrigierten Aufgaben wechseln die Schüler in den Informatiksaal. Dort herrscht erneut Unruhe.

"Frau Professor, ich finde meinen USB-Stick nicht", meldet sich ein Schüler. Graf beschwichtigt ihn, doch seine Aufmerksamkeit gilt einzig dem verlorenen Utensil. "Ich hatte anfangs das Gefühl, mehr mit einzelnen Schülern zu reden als mit der gesamten Klasse", erinnert sich Radics. Auf Fragen einzugehen sei zwar gut, dabei dürfe man aber die anderen nicht vergessen.

Graf erklärt an der Tafel die Aufgabenstellung. Das bekommen nur wenige mit: Einige probieren, wie groß Buchstaben in Word werden können, oder verschönern den Bildschirmhintergrund. Langsam beruhigt sich die Klasse, während Graf geduldig an den einzelnen Tischen wiederholt, was zu tun ist.

Der USB-Stick ist immer noch verschollen: Die Unterrichtspraktikantin blickt suchend um sich. Einige Schüler überarbeiten ihre Texte, andere bleiben unruhig.

Die Energie der Schüler war der Grund, warum Graf Lehrerin werden wollte: "Das ist sehr belebend und auch abwechslungsreich." Schon seit der Volksschule stand ihr Traumberuf fest.

Ihr Begleitlehrer Radics wollte ursprünglich als Jongleur zum Zirkus. Dieser Wunsch war schwer zu realisieren, also entschied er sich für die Schule, die einer Manege "nicht unähnlich" sei. Inzwischen wechselte er in die Rolle des zahmen Raubtierdompteurs.

Reden und berieseln lassen

Schon er erlebte einen Umbruch im System der Lehrerausbildung. In seinem "Probejahr" in den 1980er-Jahren betreute er noch verschiedene Klassen - je sechs bis zwölf Wochen lang. "Da man aus jeder Situation wieder rauskam, wurden Fehler nicht wiederholt", sagt er.

Graf kann sich auf wenige Klassen konzentrieren, aber auch das ist herausfordernd. Denn das Umsetzen von Gelerntem in Lehrinhalt fällt ihr zwar nicht schwer, mit der "komplexen Situation einer Stunde" umzugehen lernt man nicht aus Büchern allein. Um zurechtzukommen, teilt Graf ihren Unterrichtsplan akribisch in Zeiteinheiten und Lehrinhalt ein. "Anfangs habe ich alles aufgeschrieben", sagt sie. Etwa, dass am Ende der Stunde die Sessel auf die Tische gestellt werden sollen.

"Man kann von der Uni nicht erwarten, dass man lernt, wie man unterrichtet", räumt die Studienabsolventin ein. Die Grundlagen und Methoden zur Unterrichtsgestaltung würden auf der Uni aber gut vermittelt werden. Sie freut sich auch wieder auf die Seminare der pädagogischen Hochschule, da sie hier wieder in der "Schülerposition" sei und "sich in der letzten Reihe berieseln lassen kann".

"Ihr könnt die Texte ausdrucken, wenn ihr fertig seid", lenkt Graf die Aufmerksamkeit der Klasse auf sich. "Dürfen wir dann spielen?", wird aus der letzten Reihe dazwischengerufen. In dem Moment läutet die Glocke und beendet die Stunde. Als die Schüler den Saal abrupt verlassen, taucht auch der verlorene USB-Stick wieder auf: Er lag auf dem Boden. (Oona Kroisleitner und Selina Thaler, DER STANDARD, 21.11.2013)