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Vielleicht fühlt sich so mancher Radler im Trubel der Großstadt wie ein Alien zwischen all den Lkws und Bussen. Hier kutschiert eine Mitarbeiterin von Madame Tussauds E.T. durch London.

Foto: dapd/Joel Ryan

Dunkle Herbstabende, enge Straßen, haarsträubende Unachtsamkeiten von Autofahrern und Fußgängern – in der britischen Hauptstadt leben Radfahrer gefährlich. Nachdem innerhalb von 14 Tagen sechs Londoner ums Leben kamen, tobt jetzt der Streit über geeignete Maßnahmen.

Lobbygruppen fordern mehr Radwege und bessere Ampelschaltungen, die Polizei rät zu Helmen und besserer Beleuchtung. Bürgermeister Boris Johnson, selbst begeisterter Radler, spricht von "riskantem Benehmen"  vieler Zweiradbenutzer: "Da treffen Leute Entscheidungen, die ihr Leben in Gefahr bringen."

Boom seit zehn Jahren

Radfahren erlebt seit mehr als zehn Jahren einen Boom in der Acht-Millionen-Metropole. Viele Pendler wollen der klaustrophobisch Röhrenerfahrung des stets überlasteten U-Bahn-Netzes entkommen, besonders seit den Selbstmordanschlägen vom Juli 2005, als 52 Untergrundbahn- und Buspassagiere ermordet wurden. Ihren Beitrag leistet auch die entschlossene Förderung durch die Verkehrsbehörde Transport for London (TfL) unter Bürgermeister Johnson. So ist die Zahl der Zweirad-Fahrten pro Tag binnen zehn Jahren um zwei Drittel gestiegen.

Doch weil in der boomenden Kapitale auch viele schwere Lastwagen unterwegs sind, kommt es immer häufiger zu schweren Unfällen: Im vergangenen Jahr erlitten 673 Radler schwere oder tödliche Verletzungen, ein Anstieg gegenüber 2010 um 43 Prozent. An fünf der sechs Todesfälle der letzten zwei Wochen waren Lastwagen oder Busse beteiligt. "Den Schwerverkehr zur Stoßzeit verbieten!" , schlägt deshalb der Bezirksbürgermeister von South­wark, Peter John, vor.

Unfälle nicht nur zur Stoßzeit

Freilich passieren schwere Unfälle zu allen Tageszeiten. Das Verkehrsministerium rät deshalb nicht nur allgemein zu "positivem und entschiedenem"  Verhalten im Sattel, sondern mahnt: "Fahren Sie nicht innen an Lastern oder Bussen vorbei, man kann Sie dort nicht sehen. Und halten Sie sich an die Straßenverkehrsordnung."

Einer ähnlichen Logik folgend hielt die Polizei zu Wochenbeginn Hunderte von Radfahrern an, mahnte sie zu verkehrsgerechtem Verhalten, riet zu Helmen und weithin sichtbarer Schutzkleidung. Ashok Sinha von der Lobbygruppe LCC hält dies für die falsche Strategie: Statt "die verletzlichsten Verkehrsteilnehmer"  ins Visier zu nehmen, "sollte die Polizei lieber die Gefahrenquellen in Angriff nehmen" .

Viel zu häufig blieben fatale Fehler von Autofahrern, beispielsweise das Abbiegen, ohne zu blinken, ungeahndet. Solches Fehlverhalten kennen Verkehrsbeobachter ebenso wie waghalsige Manöver von Radfahrern, die gern in dunkler Kleidung ohne Licht über rote Ampeln schießen.

TfL will in den nächsten zehn Jahren jährlich 108 Millionen Euro für Umbaumaßnahmen, Verkehrserziehung und Sicherheitskampagnen ausgeben. An Johnsons bisheriger Strategie, den knallblau bemalten sogenannten Superspuren (CSH), entzündet sich nämlich viel Kritik: Sie würden die Radfahrer in falscher Sicherheit wiegen, glauben Experten. Die Hälfte der jüngsten Todesfälle ereignete sich im Umfeld der viel befahrenen CSH 3.

Die Lobbygruppe LCC wünscht sich eine Umgestaltung zweier neuralgischer Punkte. An einem starb vergangene Woche die Finanzanalystin Venera Minachmetowa (24), die einzige Frau unter den sechs Todesopfern. (Sebastian Borger aus London, DER STANDARD, 20.11.2013)