Im Sommer 2013 entdeckten Wissenschafter auf dem flachen Meeresgrund vor Labrador Rotalgenstrukturen mit einer Dicke von bis zu 20 Zentimetern. Mit jährlichen Wachstumsraten von weniger als einem fünftel Millimeter sind diese Strukturen wahrscheinlich über 1.000 Jahre alt.

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Ein Querschnitten durch die Rotalge offenbart jährliche Wachstumsbänder, mit deren Hilfe die Forscher die arktische Eisentwicklung der vergangenen Jahrhunderte rekonstruieren konnten.

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Ein Team von internationalen Forschern hat erstmals die Entwicklung des Meereises in der Arktis bis ins Mittelalter zurück verfolgt. Dabei fanden die Wissenschafter von der Universität Göttingen unter anderem heraus, dass die Eisdecke seit Mitte des 19. Jahrhunderts kontinuierlich schmilzt. Geholfen haben ihnen dabei Rotalgen, die die Klimageschichte der letzten Jahrhunderte gleichsam konservierten. Bislang reichten die Daten von Satelliten über die Arktis nur bis in die späten 1970er-Jahre zurück.

Die Gruppe aus deutschen, US-amerikanischen und kanadischen Wissenschaftern entdeckte nun bei Tauchgängen in der Arktis auf dem flachen Meeresgrund Rotalgen, die dort seit 650 Jahren wachsen und dabei jährlich baumringartige Strukturen bilden, anhand derer sich die Entwicklung der darüber liegenden Eisschicht verfolgen lässt. Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift "PNAS" veröffentlicht.

Uralte marine Organismen

"Die Kalk bildende Rotalgenart Clathromorphum compactum gehört zu den ältesten marinen Organismen, die wir kennen", erläutert  Andreas Kronz vom Geowissenschaftlichen Zentrum der Universität Göttingen. Das Wachstum dieser Algen wird stark von der Lichtmenge beeinflusst, die auf dem Meeresgrund ankommt. Und die wiederum hängt ganz eng mit der Dauer der jährlichen Eisdecke auf dem Meer zusammen. Gemeinsam mit Jochen Halfar von der University of Toronto analysierte Kronz den Stoffwechsel der Rotalge in Göttingen mit einer Elektronenstrahl-Mikrosonde. Deren mikrometergenaue Auflösung lässt Rückschlüsse auf den Zusammenhang zwischen Stoffwechsel, Licht und Wassertemperaturschwankungen zu.

Beide Faktoren zusammen ermöglichen den Wissenschaftern nun erstmals, genaue Aussagen über Veränderungen des arktischen Meereises bis ins späte Mittelalter zurück zu treffen. "Während der Kleinen Eiszeit, die von Beginn des 15. bis ins 19. Jahrhundert dauerte, war die jährliche Phase, in der das Meer von Eis bedeckt war, mehrere hundert Jahre sehr ausgedehnt", so Kronz. "Seit dem Ende der Kleinen Eiszeit um 1850 herum zeigt das Archiv der Rotalge einen kontinuierlichen Rückgang der Eisschicht, der bis heute andauert. Dieser Rückgang ist stärker, als wir jemals zuvor in der 650 Jahre langen Rotalgen-Zeit beobachten konnten." (red, derStandard.at, 23.11.2013)