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Dieser amerikanische Puter besticht durch seine auffällig rote Kopffärbung.

Foto: Dan Saelinger / Corbis

Karl Erlach und seine freilaufende Bioputen.

Foto: Georges Desrues

Diese Tiere haben keine abnorm aufgeblasenen Brüste wie Puten aus der Intensivzucht.

Foto: Georges Desrues

In Freilandhaltung bekommen die Tiere neben Raufutter wie Holler und Brennesseln vor allem Biogetreide.

Foto: Georges Desrues

Es ist ein alles andere als alltäglicher Anblick: Eine Herde freilaufender, fröhlich kollernder weißer Puten in den sanften Hügeln der niederösterreichischen Voralpen. "In der biologischen Landwirtschaft gilt die Putenzucht als so etwas wie die Königsdisziplin", sagt der Biobauer Karl Erlach und steigt über die Umzäunung in das Gehege, wo sich ein Teil seiner kahlköpfigen Vögel an Hollersträuchern, Kletten und Brennnesseln gütlich tut. "Meines Wissens nach sind sie außerdem die einzigen Nutztiere, die auch Brennnesseln fressen", sagt der Züchter, während er sich den scheuen Tieren vorsichtig nähert.

Dass die ökologische Aufzucht von Puten so heikel ist, liege an gleich mehreren Faktoren, erklärt er, zum einen etwa daran, dass die Großvögel extrem wetterempfindlich sind, weder Nässe noch Temperaturschwankungen vertragen, und zum anderen, weil sie sehr anfällig für Krankheiten sind, vor allem für solche, die von anderen Geflügelarten übertragen werden, weswegen der an der Boku Wien ausgebildete Bioproduzent und Verhaltensforscher für Nutztiere auch davon abrät, sie in der Nähe von Hühnern zu züchten. Wegen dieser besonderen Empfindlichkeit ist die Bioaufzucht so schwierig - und der Einsatz von Medikamenten wie beispielsweise Antibiotika in der konventionellen Aufzucht so oft derart massiv.

Rasse rückgezüchtet

Erlachs Puten gehören einer Rasse an, die sich wenig romantisch T9 nennt und die rückgezüchtet wurde, indem man unter Hochleistungsputen jene Exemplare selektierte, die weniger schnell wachsen, um daraus einen Schlag Puten zu erhalten, der robuster ist und sich in der freien Natur besser zurechtfindet. "Die konventionell gehaltenen Puten sind durchwegs Hybridarten, die stark überzüchtet sind und niemals im Freien gehalten werden könnten, weil sie zu viel Gewicht haben und kaum fähig sind, sich zu bewegen", betont Erlach. Zu schwer sind sie vor allem deswegen, weil in der industriellen Landwirtschaft aus Kostengründen danach getrachtet wird, die Dauer der Aufzucht zu verringern, und die Tiere folglich so selektiert wurden, dass sie möglichst viel Fleisch in möglichst kurzer Zeit ansetzen.

Dabei geht es vor allem um das beliebte und angeblich so gesunde - weil fettarme - weiße Brustfleisch, sodass die typische industriell gezüchtete und gehaltene Pute oft über eine riesige, schwere Brust verfügt - und über viel zu schwache Beine, um sie zu tragen. Im Vergleich zu den 22-25 Kilogramm, die ein typischer männlicher Mastzuchttruthahn wiegen kann, erreichen Erlachs Tiere ein maximales Schlachtgewicht von nur acht bis zehn Kilogramm, das sie nach circa sechs Monaten Aufzucht erlangen.

Grünfutter von der Weide

Abgesehen von zweifelhaften Zucht- und Haltungsbedingungen geben auch die in manchen konventionellen Zuchtbetrieben gängigen Fütterungspraktiken zu denken. So wurde etwa in Frankreich, um die Futterkosten zu verringern, eine Methode entwickelt, bei der den Tieren Klärschlamm verfüttert wird, der zwar offenbar noch genügend Nährstoffe, aber naturgemäß auch Chemikalien und Hormone enthält. In den südamerikanischen Ländern, etwa in Brasilien, dem Weltmarktführer in Sachen Putenfleisch, wurde die Methode perfektioniert und inzwischen zum Standard. Sollten die Tiere dort neben Futter aus Klärschlamm auch solches aus Getreide und Soja erhalten, besteht zudem die Gefahr, dass dieses aus genmanipulierten Pflanzen erzeugt wurde. "In Österreich gibt es zum Glück keine Klärschlammzufütterung, sehr wohl aber ist die Fütterung mit gentechnisch verändertem Soja beim Geflügel weitverbreitet", betont Erlach, dessen Puten außer dem Grünfutter auf der Weide nur Getreide aus seiner eigenen Produktion und jener weiterer Biobauern zugefüttert bekommen.

Dennoch steht auch die Bioproduktion der Vögel zunehmend unter massiver Kritik. So berichteten Spiegel.de und der Fernsehsender ARD erst unlängst von üblen Haltungsbedingungen in einigen deutschen Bioputenfarmen, wo dreckige, zerfledderte und verletzte Tiere zwischen toten Artgenossen gehalten werden, was die Reporter auf den inzwischen auch in der Ökolandwirtschaft überhöhten Leistungsdruck zurückführen. "Davon habe ich bisher noch nichts gehört", sagt Erlach, "aber in der deutschen Landwirtschaft ist es oft so, dass alles sehr schnell ins Intensive mit hohen Stückzahlen driftet. In Österreich sind wir - noch - nicht so weit." Hierzulande sei das Biosiegel im Vergleich zur konventionellen Haltung sehr wohl und nach wie vor eine Garantie für mehr Auslauf, für weniger Dichte im Stall und für besser kontrolliertes Futter, beteuert er.

Mehr Platz im Stall

Die Nachfragespitzen zu Thanksgiving und Weihnachten lassen Erlach indessen kalt. "Für einen Braten im Kreis der Familie eignet sich die kleinwüchsige Rasse der Minipute viel besser als die T9, schon allein, weil sie im Ganzen ins Backrohr passt. Aber Miniputen züchten wir nur gelegentlich und in diesem Jahr überhaupt nicht", sagt er.

Natürlich wäre genügend Nachfrage vorhanden, um mehr zu erzeugen, aber für ihn sei es nun mal vorrangig, möglichst viel mit eigener Arbeitsleitung zu erledigen. "Wir arbeiten in einem System, das seit 25 Jahren bewährt ist und bei dem wir das ganze Jahr über im Durchschnitt ein Tier pro Tag schlachten - und zwar eigenhändig und am Hof selbst. Das sind 365 Tiere im Jahr. Würden wir uns aufs Feiertagsgeschäft konzentrieren, müssten wir 200 Stück in wenigen Tagen schlachten", so Erlach.

Wer dennoch erleben will, wie saftig Putenfleisch aus seiner Produktion am Fuße der Rax schmeckt, muss gegen Vorbestellung entweder ganze Vögel, oder aber nur ihr Fleisch - frisch oder geräuchert - ab Hof beziehen. Außerdem gibt es einen angeschlossenen Biomostheurigen mit atemberaubender Aussicht, der zwar erst im April wieder aufsperrt, bis dahin aber für geschlossene Veranstaltungen gemietet werden kann und der zudem über ein Backrohr verfügt, das groß genug ist, um ausgewachsene Freilandputen im Ganzen zu braten - und insofern prädestiniert wirkt, um auf gut neuweltliche Art Danke für ein gutes Jahr zu sagen. (Georges Desrues, Rondo, DER STANDARD, 22.11.2013)