Nach zwei Jahren Verhandlungen mit der Opposition gibt die konservativ-religiöse Regierungspartei von Premier Tayyip Erdogan nun tatsächlich auf: Die Parlamentskommission, die mit der Ausarbeitung einer neuen Verfassung beauftragt war, werde aufgelöst, kündigte Ahmet Iyiyama, ein Rechtsexperte der regierenden AKP, am Mittwoch in Ankara gegenüber der Nachrichtenagentur AFP an. Die Oppositionsparteien im türkischen Parlament wehren sich allerdings gegen diesen Schritt.

Hinter dem Widerstand der sozialdemokratischen CHP, der Rechtsnationalisten der MHP und der Kurdenpartei BDP steht auch politisches Kalkül. Eine Auflösung der Verfassungskommission würde allen Parteien Verantwortung für das Scheitern des wichtigsten innenpolitischen Vorhabens der Türkei geben; ein Rückzug nur der AKP ließe die Regierungspartei als Schuldige erscheinen.

Parlamentspräsident Cemil Çiçek hatte am Montag seinen Rücktritt vom Vorsitz der Verfassungskommission erklärt und glaubte, damit auch automatisch das Ende des Ausschusses herbeizuführen. Die Opposition beharrte aber auf einer Fortsetzung der Arbeiten.

Auf 60 Artikel hat sich die Kommission bisher einigen können, was etwa die Hälfte des neuen Verfassungstextes sein soll. Mehrere Fristen, die der kompromissorientierte Çiçek im Lauf des Jahres gesetzt hatte, sind aber mittlerweile verstrichen. In den vergangenen vier Monaten soll es überhaupt keine Annäherung mehr unter den Parteien gegeben haben. Es sei klar, dass die Kommission zu keinen weiteren Ergebnissen kommen werde, hatte Mustafa Sentop, ein Jusprofessor und Abgeordneter der AKP, in den vergangenen Tagen festgestellt.

Eine neue, liberalere Verfassung, die das immer noch geltende Grundgesetz der Militärjunta von 1982 ablöst, war das große Versprechen der Regierungspartei. Erdogans AKP hatte damit bei den Parlamentswahlen 2011 ihren dritten Sieg in Folge errungen. Auch die EU sieht eine neue Verfassung als die bedeutendste Aufgabe ihres Beitrittskandidaten an. Dabei geht es vor allem um mehr Rechte für die Minderheiten in der Türkei und um größere politische Freiheit.

Viele Streitthemen

Die vier Parteien, die über die künftigen Verfassungsartikel verhandelten, blockierten sich bald: CHP und MHP wollten etwa einen Passus, der den Status von Abgeordneten regelt, die zum Zeitpunkt ihrer Wahl in Untersuchungshaft sind; die AKP war dagegen. Die BDP wollte eine Autonomie für die Gebiete mit kurdischer Mehrheit, womit aber keine der anderen Parteien leben konnte. Vor allem Erdogans Beharren auf einer Präsidialverfassung oder zumindest auf größeren Rechten des Staatschefs stieß auf strikte Ablehnung der Opposition.

Erdogan will sich 2014 zum Präsidenten wählen lassen.

Gescheitert: Parlamentspräsident Cemil Çiçek. Foto: EPA/Soos

(Markus Bernath aus Istanbul, DER STANDARD, 21.11.2013)