Schreibt über eine Welt, in der es keinen Platz für das Misslingen gibt: Christoph W. Bauer.

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In Christoph W. Bauers neuem Prosaband, der unter dem Titel In einer Bar unter dem Meer neunzehn lose miteinander verknüpfte Erzählungen versammelt, gib es einen Mann, der sein Gesicht verloren oder, besser gesagt, im Büro vergessen hat. Murr, so sein Name, rennt also ins "Rent A Face", wo er sich dann weder für das Modell "Arzt mit Potenz" noch für den "Juristen von Format" oder den "Vintage-Banker" wirklich erwärmen kann. Es wird dann, obwohl es den "Akademiker mit Niveau" gerade in Aktion gäbe, das Modell Ernest Hemingway.

Natürlich gilt es, die Mietvisage samt dazupassender Kleidung gleich in einem Café auszuprobieren. Die Kellnerin scheint angetan und deutet an, nach Dienstschluss in eine Bar zu gehen. Dort allerdings wird Ernest nicht auf die Kellnerin, sondern auf seine Frau treffen, die offenbar doch nicht eine Freundin in Zürich besucht.

In einer anderen Erzählung fühlt sich das Leben einer Antiquitätenhändlerin, die weiß, dass Beschädigungen Beschädigungen bleiben, wie ein "aufgelassenes Goldgräbernest" an (Kalifornien). Einem sind die enormen Kopfhörer, die man ihm zum 40er schenkte, am Kopf angewachsen (Schusstechnik). Ein Lehrer bemüht sich, mit Kollateralschäden an der eigenen Seele allerdings, die ministeriellen Bemühungen umzusetzen und sorgt für "minimalkompetente Genügendschüler" (Eine Melange im Nirgendwo). Und dann ist da eine Gruppe von Männern, die aus verpassten Chancen Perspektiven zu basteln versuchen (Der Fall Branzer) und die Frau, die aus einer Beziehung ohne Gegenwart in eine ohne Zukunft flüchtet (Windburgen).

Eleganz, Lässigkeit, Melancholie sind Worte, die einem bei der Lektüre dieser Erzählungen in den Sinn kommen. Und sprachliche Genauigkeit. Manchmal führt Präzision zu einem unterkühlten literarischen Ton. Nicht so bei Bauer, durch dessen vor dunklem Hintergrund schillernde Erzählungen unterirdische Lavaströme fließen. Dazu lässt der Autor seinen Figuren, viele von ihnen sind um die 40 Jahre alt, ihre Geheimnisse. Sein Blick auf die Schwächen dieser in Lebenssackgassen geratenen Durchschnittsmenschen, die mit Internet- oder Eifersucht, Übergewicht oder einer falsch gesteuerten Privatdrohne kämpfen, ist nie herzlos.

Auch oder gerade weil Murr, Wallsdorf, Laura, Mona und wie sie alle heißen dem Scheitern so nahe sind. Eine solche Weltsicht kann in Zeiten, die keinen Platz mehr fürs Misslingen lassen, einsam machen. Oder radikal. Daher sind Christoph W. Bauers Figuren auch keine Beautiful Losers. Dafür ist es in ihrem Leben zu spät, es geht schon um zu viel.

Seit seinem 1999 publizierten Gedichtband wege verzweigt arbeitet der 1968 in Kärnten geborene Christoph W. Bauer, der um die eigene Person wenig Aufhebens macht, unbeirrbar an einem Werk, dessen beeindruckende Konturen erst langsam sichtbar werden. Einige Jahre verdiente der heute in Innsbruck lebende Autor das fürs Schreiben nötige Lösegeld mit Snowboard-Service in einem Skiverleih. Der ehemalige "Überlebensberuf" übrigens spielt in Bauers Werk kaum eine Rolle. Vielmehr interessiert ihn die Poesie alter Meister wie Petrarca oder Ovid, auf dessen "Metamorphosenexpress" Bauer in supersonic. logbuch einer reise ins verschwinden aufsprang. "trecks, tricks und tropen" hieß es in diesem 2006 erschienenen Lyrikband, in dem Bauer der Allgewalt des Todes - die auch im vorliegenden Erzählband ein Rolle spielt - "am handwerk des scheiterns geschulte zeilen" entgegenstellt.

Im Gedichtband mein lieben mein hassen mein mittendrin du (2011) schließt Bauer dann Catulls Carmina mit Punkmusik kurz. Dass er auch Prosa zu schreiben versteht, bewies Bauer mit seinem Prosadebüt Aufstummen (2004), in dem es um das Lesen und Ausschweigen geht, sowie im Roman Im Alphabet der Häuser. Roman einer Stadt (2007).

Eine nicht allzu große Stadt ist es auch, durch die sich die Figuren in In einer Bar unter dem Meer bewegen und sich in verschiedenen Erzählungen über den Weg laufen. Subtil lässt Bauer, indem sich die Wege seiner Figuren immer wieder kreuzen, verschiedene Einsamkeiten sanft aneinanderstoßen. Zudem spielen die zu Kapellen verengten "Kathedralen der Kindheit" und das "Was wäre wenn" von Beinahebegebenheiten in diesen Erzählungen immer wieder eine Rolle - so wie die Hoffnung auf ein Wir.

Ob er es noch weit habe, fragt eine Frau in Traunstein, der zehnten Erzählung des Bandes, einen Mann. "Ich fürchte, ja" antwortet er. Vorher hat er Augustinus zitiert: "Und nirgends ein Ort, wir gehen fort, wir kommen her, und nirgends ein Ort." Es ist dies eine von zwei Ich-Erzählungen des Buches, alle anderen sind in der distanzierenden Er- oder Sie-Form gehalten. Und es ist wahrscheinlich kein Zufall, dass auch in der ersten Erzählung des Buches ein Kunstgeschichte-Dozent "Ich" sagt. Er sieht sich nach einer durchzechten, mit einer fast fremden Frau verbrachten Nacht im Badezimmerspiegel an und memoriert einen Alberti-Vers: "Ich war ein Trottel, und was ich sah, hat mich zu zwei Trotteln gemacht."

Anschließend wird er sich in seiner Vorlesung an der Uni um Kopf und Kragen reden. "Arm, fröhlich und Sklave" schmettert er den Studenten, denen er wie sich selbst servile Gesinnung und Kriechertum unterstellt, ein Nietzsche-Wort entgegen. Und die titelgebende Bar? Sie zieht sich leitmotivisch durch das Buch. Es könnte die Bar jenes Kapitäns sein, der sich - wie einst der vielherumgetriebene Odysseus - bei Jules Verne den Namen "Niemand" gab. Oder wie es bei Ingeborg Bachmann, der das Buch sein Motto verdankt, heißt: "Und glaub ich noch ans Meer, so hoffe ich auf Land." (Stefan Gmünder, Album, DER STANDARD, 16./17.11.2013)