Eine halbe Stunde lang widerstand die Unterpräfektur von Morlaix dem Angriff der Arbeiter. Dann rammte ein Bagger das Metallportal, und die Rotmützen drangen auf das Gelände des Gebäudes, das die staatliche Zentralgewalt in der bretonischen Provinz verkörpert. Auf dem Vorplatz entzündeten sie ein großes Feuer, angeleitet von dem Firmenchef Daniel Sauvaget.

Ein etablierter Unternehmer, der zum Sturm auf die lokale Präfektur bläst: Das ist im Stammland von Asterix momentan Alltag. Seit Tagen planen die "bonnets rouges"  (Rotmützen) dort den Aufstand gegen den französischen Staat. In Quimper demonstrierten 20.000 zum Teil mit roher Gewalt gegen eine ab 1. Jänner 2014 geplante Schwerverkehrsabgabe. Seither verwüsteten sie mehrere Mautstellen für die Erhebung dieser Écotaxe. Sauvagets Geflügelmastbetrieb, schon wegen gestrichener EU-Exporthilfen schwer unter Druck, steht mit der Lkw-Steuer endgültig vor dem Aus. 335 Arbeitern droht die Entlassung.

Geschwindigkeitsradars, ebenfalls Symbole des verhassten Fiskus, fallen wie Dominosteine. "Wir verlangen, dass der Staat die Mautstellen in der ganzen Bretagne sofort aufhebt" , tönt Christian Troadec, linker Bürgermeister von Carhaix. "Wenn er taub und blind bleibt, werden sich Spannungen und Zwischenfälle häufen."

Das ist keine leere Drohung. Rotmützen hatten vor mehr als 300 Jahren eine erste Steuerrevolte vom Zaun gebrochen. Sie wurde blutig niedergeschlagen, was den Widerstandswillen der Bretonen gegen Paris nur verstärkte.

Als Charles de Gaulle das Land vor 50 Jahren mit Autobahnen überzog, musste er die Bretagne vom "péage"  (Maut) ausnehmen. In den neuen Mautstellen sehen viele Bretonen den hinterhältigen Versuch von Paris, die Bretagne endlich unter die Knute des generellen Autobahnzolls zu zwingen.

Die Regierung in Paris hat die Écotaxe suspendiert, um Zeit zu gewinnen. Ganz darauf verzichten kann sie aber nicht: Das wäre ein zu schwerer Gesichtsverlust für den bereits geschwächten Präsident François Hollande. Innenminister Manuel Valls lässt mittlerweile alle Mautstellen und Geschwindigkeitskontrollen rund um die Uhr überwachen. Rotmützen spotten über das absurde Bild, dass sich "hinter jedem Radar ein Flic versteckt" . Jede Nacht setzen sie weitere Radars außer Gefecht.

Auch Handwerker

Und die Proteste weiten sich auf andere Regionen aus. Um Lyon, Marseille und Paris, aber auch in Süd- und Ostfrankreich werden Radarfallen und Mautstellen mit brennenden Autoreifen in Brand gesteckt. Vereinzelt kommt es zu Lkw-Blockaden. Am Mittwoch legten Bäcker, Installateure und andere Handwerker die Arbeit nieder, weil sie den Steuerdruck nicht mehr ertragen wollen.

Seit Hollandes Wahl 2012 ist die Gesamtsteuerbelastung in Frankreich um weitere zwei Prozentpunkte auf horrende 46,5 Prozent geklettert. Abgesehen vom Sozialstaatsmodell Dänemark hat Frankreich damit die höchste Steuerquote der Welt. Die Écotaxe war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Am 30. November organisieren die Rotmützen eine neue Großkundgebung.

"Stimmung explosiv"

"Die Stimmung ist sehr gespannt, sie ist explosiv" , meint Thierry Lepaon, Generalsekretär der wichtigsten Gewerkschaft, CGT. Bisher waren die Proteste von Bauern, Gewerbetreibenden und Unternehmern ausgegangen, die zum konservativen Lager zählen. Doch jetzt schließt sich ihnen auch ein Teil der Linken an.

Sieben Gewerkschaften rufen für nächste Woche ebenfalls zu Demonstrationen auf. Denn die Steuerrevolte wird auch zum Ausdruck einer Sozialkrise. Die Arbeitslosigkeit steigt auf mehr als elf Prozent. "Betroffen ist nicht nur die Bretagne. In ganz Frankreich gibt es jeden Tag zehn Sozialpläne und tausend Arbeitslose mehr", rechnet Lepaon vor.

Hollande hat bisher kein Gegenmittel gefunden. Weitere Steuererhöhungen wären politischer Selbstmord. Für mutige Strukturreformen wiederum ist es in der gespannten Lage viel zu spät. Hollande ist immer unpopulärer. Wo er auch auftritt, wird er ausgebuht – zuletzt sogar bei den patriotischen Gedenkfeiern zum Ende des Ersten Weltkrieges. (Stefan Brändle aus Paris /DER STANDARD, 15.11.2013)