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Ein tiefer Zug: 70 Prozent der Raucher beginnen vor ihrem 18. Lebensjahr zu qualmen.

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Marcus Klamert: Binnenmarkt und Gesundheitsschutz.

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Die Europäische Kommission hat zuletzt einen Vorschlag zur Neufassung der Tabakprodukterichtlinie vorgelegt, welcher derzeit mit dem Europäischen Parlament und dem Rat verhandelt wird. Nach dem Richtlinienvorschlag sollen die EU-Mitgliedstaaten unter anderem den Aufdruck von Bildwarnhinweisen auf Verpackungen vorschreiben. Dazu äußern unterschiedlichste Seiten große Bedenken.

Die Zigaretten-Produzenten laufen Sturm gegen die Einschränkung ihrer Markenrechte durch, wie sie behaupten, ineffektive Bilder von Raucherlungen und verfaulten Zähnen. Konservative Kommentatoren sehen eine nicht gerechtfertigte Gefährdung eines bedeutenden Wirtschaftszweiges und der staatlichen Einnahmen aus der Tabaksteuer. Liberale Kommentatoren kritisieren die optische Belästigung von Rauchern ohne eine Chance, ihr (Sucht-)Verhalten zu ändern.

Der Regulierungsvorschlag der Kommission wurde sogar in Artikeln über das Sittendiktat in autoritären Regimen wie Iran erwähnt. Einem Großteil der Bevölkerung erscheint der Vorschlag als weiteres Beispiel für die Regulierungswut Brüssels. Die Kommission hingegen sieht dieses Projekt, mit welchem etwa auch Mentholzigaretten verboten werden sollen, als Vorzeigemaßnahme, mit dem die Relevanz der EU für das Leben aller Bürger deutlich gemacht werden soll, von denen jährlich 700.000 an den Folgen des Tabakkonsums sterben.

Wie passt das alles zusammen?

Erstens die Regulierung von Tabakprodukten, aber vor allem auch von Tabakwerbung, hat immer schon ausgetestet, wieweit die EU im Zuge der Herstellung eines Binnenmarktes auch andere Interessen wie eben etwa den Gesundheitsschutz berücksichtigen darf. Dass die Werbung für Tabakprodukte aus Medien und Veranstaltungen wie der Formel 1 verschwunden ist, ist auf das Gutheißen dieser Ausweitung der Ziele, die im Zuge der Marktregulierung verfolgt werden dürfen, durch den Europäischen Gerichtshof zurückzuführen.

Zweitens, die Zigarette ist kein Produkt wie jedes andere. Alkohol, wird oft eingewandt, sei auch gesundheitsschädlich und süchtig machend, jedoch bei weitem nicht so stark reguliert wie Zigaretten. Allerdings: Nur weil eine Gesellschaft ein Problem nicht in den Griff bekommt, kann dies keinen Freibrief für andere Gefahrenquellen bedeuten. Außerdem enthält ein Bier, im Unterschied zur Zigarette, keine toxischen Inhaltsstoffe. Würde ein neues Produkt auf den Markt gebracht, das süchtig macht und bei dessen Konsum Gifte sowohl an den Konsumenten als auch an die Umgebung abgegeben werden, kann man davon ausgehen, dass es keine Frage wäre, ob und wie große Warnhinweise man anbringt: Das Produkt würde sofort verboten werden.

Bei Zigaretten ist ein gänzliches Verbot keine realistische Option. Man kann jedoch versuchen, den Gebrauch des Produktes zu "denormalisieren" durch Werbeverbote und Schutz vor Passivrauchen (rauchfreie Lokale sind übrigens nur eine Empfehlung der EU-Kommission, was erklärt, warum andere Länder viel strengere Regelungen haben als Österreich).

Europäisches Kommunikationsproblem

Weiters kann man versuchen, vor allem jene 70 Prozent der Raucher, die vor dem 18. Lebensjahr zu rauchen beginnen, vom Einstieg in den Tabakkonsum abzuhalten. Durch die große Raucherzahl haben schon geringe Trendänderungen einen enormen Effekt. Die Kommission selbst strebt einen Rückgang des Tabakkonsums um zwei Prozent an, was 2,4 Millionen EU-Bürger beträfe.

Krebsforschungszentren und Lungenfachärzte, wenig überraschend, sind starke Befürworter jeglicher stärkerer Regulierung des Tabakkonsums, dies dringt jedoch nicht in die Öffentlichkeit durch. Das Problem der EU ist hier wieder einmal die Kommunikation ihrer Vorhaben: Ohne begleitende Information der Öffentlichkeit in den Mitgliedstaaten bleibt der Vorwurf der Überregulierung und des EU-Nanny-Staates unwidersprochen. Dabei belegen Studien in Ländern wie Kanada, die Warnbilder eingeführt haben, dass diese einen Effekt haben.

Eine Gesellschaft, die für bei Gebrauch ungefährlicher Produkte wie Auto und Fahrrad Einschränkungen vorsieht (Gurtenpflicht, Helmpflicht), sollte dies wohl auch bei einem Produkt tun, das bei "normalem" Gebrauch 50 Prozent seiner Nutzer vorzeitig tötet, ohne sich dem Vorwurf der Sittendiktatur aussetzen zu müssen. Dass Österreich hier die regulatorische "Drecksarbeit" wieder einmal einer EU überlässt, welche ihre Politik in den Mitgliedstaaten nicht "verkaufen" kann oder will, ist leider symptomatisch. (Marcus Klamert, DER STANDARD, 15.11.2013)