Es stimmt also, was man sich über große Koalitionen erzählt: Manche Dinge bringt nur diese Kon­stellation zusammen. Dass eine Regierung ihren Ruf ruiniert, ehe sie überhaupt angetreten ist, lässt sich als historisch singuläre Leistung verbuchen. Da stolpern SPÖ und ÖVP demonstrativ ahnungslos in ein Budgetloch, rätseln eine Woche lang über die Dimensionen, um schließlich per Handstreich Wahlzuckerln zu entsorgen. Gründlicher lässt sich das Klischee des Politikers, der nur bis zum nächsten Urnengang denkt, nicht erfüllen.

Nach den budgetären Chaostagen brauchen sich die Koalitionäre nicht zu wundern, dass auch die nun als Fehlbetrag identifizierten 24 Milliarden Euro unter Misstrauensvorbehalt stehen. Was skeptisch stimmt: Nach neuer Rechenart ist plötzlich nicht mehr vom allgemeinen, sondern vom strukturellen Defizit die Rede. Diese Größe ist an sich sinnvoll, weil sie das dauerhafte Minus des Staates beziffert und Konjunkturschwankungen ausblendet, bildet aber nur einen Teil der aktuellen Schwierigkeiten ab. In wirtschaftlich schlechten Zeiten ist die strukturelle Lücke kleiner als jene, bei der die gesamten Einnahmen und Ausgaben gegengerechnet werden.

Das Ziel des Nulldefizits sollte nach dieser Definition deshalb leichter erreichbar sein, was die Koalition sicher nicht stört. Auch wenn die EU diesen Maßstab ebenfalls verwendet: Angesichts der an Verschleierungen reichen Vorgeschichte drängt sich der Eindruck auf, dass da ein Problem auf handlichere Dimensionen kleingerechnet wurde.

In der Sache allerdings ist es vernünftig, den Spardruck zu lindern. Sich trotz verschlechterter Wirtschaftslage auf das Nulldefizit in der Maximalvariante zu versteifen verheißt eine nur noch misslichere Lage. Das Budgetloch zeigt ja, wie sehr die lahme Konjunktur die Konsolidierung hintertreibt. Legt die Regierung jetzt eine panische Vollbremsung hin, droht eine neue Flaute – mit weiteren Lücken bei den Einnahmen und steigenden Ausgaben für Arbeitslose.

Exemplarisch zeigt sich dieser Teufelskreis im Pensionsystem. Natürlich bekommen SPÖ und ÖVP da auch die Rechnung für Sünden der Vergangenheit präsentiert, als sie Tore in die Frühpension sperrangelweit aufrissen, doch ein Gutteil des jüngst entstandenen Problems ist Folge verdüsterter Konjunkturprognosen. Die Regierung kann noch zehnmal am Pensionssystem herumdoktern – wenn die Wirtschaft permanent schwächelt, werden die Versicherungsbeiträge einbrechen, Unternehmen ältere Bedienstete hinausdrängen und Arbeitnehmer vor der drohenden Arbeitslosigkeit in die Frühpension flüchten.

Rücksichtsloses Sparen à la Blut, Schweiß und Tränen ist deshalb der falsche Weg. Her mit den berühmten Strukturreformen, die gleiche Leistung bei weniger Kosten versprechen, aber keine tiefen Einschnitte ­zulasten der konsumfreudigen unteren Einkommenschichten. Darüber hin­aus braucht es Investitionen, in erster Linie in die Bildung. Sonst raubt das kurzfristige Ziel des Nulldefizits dem Land die langfristigen Chancen.

Das Stopfmaterial für das Budgetloch sollte aus einem gesunden Mix aus Einsparungen und Steuern stammen. Dass Letztere, solange es sich nicht um Massenabgaben handelt, eine wachstumsschonende Form der Konsolidierung darstellen, haben mittlerweile auch so unsozialistische In­stitutionen wie der Internationale Währungsfonds festgestellt.(Gerald John, DER STANDARD, 15.11.2013)