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"Lieber tot als rot": Teilnehmer des "Unabhängigkeitsmarsches", Warschau, 11.11.2013

Foto: AP/Czarek Sokolowski

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Foto: REUTERS/Adam Stepien/Agencja Gazeta

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Das Regenbogen-Monument am Montagabend ...

Foto: AP Photo/Alik Keplicz

... und am Mittwoch. Mehr Bilder der Blumenschmuck-Aktion finden sich hier.

Foto: Jacek Purski

Die Ausschreitungen beim rechtsradikalen "Unabhängigkeitsmarsch" am Montag in Warschau belasten die ohnehin schon angespannten Beziehungen zwischen Polen und Russland. Obwohl sich das Warschauer Außenministerium formell für den Angriff auf die russische Botschaft entschuldigte, warfen am Mittwoch russische Nationalisten, die der Oppositionsbewegung "Anderes Russland" des Schriftstellers Eduard Limonow angehören, Rauchbomben auf Polens Botschaft in Moskau. Die Polizei nahm vier Verdächtige fest.

Jacek Purski, der für die Antirassismus-Organisation "Nie wieder" die Entwicklung beobachtet, erklärt im Gespräch mit Bert Eder die Hintergründe, spricht über die internationalen Kontakte der polnischen Rechtsextremisten und berichtet von der Reaktion der Zivilgesellschaft auf den gewalttätigen "Unabhängigkeitsmarsch".

derStandard.at: Heuer haben die größte Oppositionspartei PiS ("Recht und Gerechtigkeit") und die ihr nahestehende Zeitung "Gazeta Polska" erstmals nicht für den rechtsextremen "Unabhängigkeitsmarsch" in Warschau mobilisiert, sondern ihre eigene Veranstaltung in Krakau organisiert. Wie erklären Sie sich diesen Sinneswandel?

Jacek Purski: Sie sind klug genug, kein offenes Bündnis mit den Fußball-Hooligans einzugehen, die den Großteil der Demonstranten in Warschau gestellt haben.

derStandard.at: Wie ernst zu nehmen sind solche Distanzierungen, wenn zum Beispiel der PiS-Abgeordnete Artur Gorski wegen der Aussagen, die Wahl Barack Obamas zum US-Präsidenten sei "das Ende der Zivilisation des weißen Mannes", keine parteiinternen Konsequenzen fürchten muss?

Purski: Die Parteispitze hat sich zwar entschlossen, die Gegenveranstaltung in Krakau zu organisieren, für viele Funktionäre sind die Stimmen der Rechtsextremen aber trotzdem verlockend. "Recht und Gerechtigkeit" versucht, ein politisches Spiel zu spielen, indem sie sich formell von den Rechtsradikalen distanziert, während viele Parteimitglieder deren Ansichten teilen.

derStandard.at: Haben am Marsch auch heuer wieder Abordnungen ausländischer Rechtsparteien teilgenommen? Letztes Jahr ist ja eine Delegation der ungarischen Jobbik mitmarschiert …

Purski: Die Ungarn waren auch heuer wieder dabei, außerdem Schweden und Italiener. Bereits vor der Demo haben die Rechtsextremisten groß verkündet, dass diesmal Vertreter aller wichtigen nationalistischen Parteien Europas außer aus Deutschland und der Ukraine teilnehmen würden. Aus der Ukraine war dann aber doch eine Abordnung mit ihrer Nationalflagge dabei.

derStandard.at: Bei der Demo in Warschau kam es zu Angriffen auf von Linksaktivisten besetzte Häuser …

Purski: Ja, die offizielle Marschroute führte in einiger Entfernung an dem besetzten Haus vorbei, aber plötzlich verließen etwa 200 Rechtsextremisten die Kundgebung und versuchten, den Squat zu stürmen. Sie bewarfen das Gebäude mit Feuerwerkskörpern und Steinen und versuchten, Feuer zu legen.

derStandard.at: Auch die russische Botschaft wurde angegriffen …

Purski: Das ist besonders besorgniserregend: Das Außenministerium hat sich zwar bereits bei Russland entschuldigt, der Angriff schadet aber natürlich Polens Image in der internationalen Presse. Man erkennt hier deutlich, wie gewaltbereit diese Leute sind.

derStandard.at: Auf dem "Unabhängigkeitsmarsch" im Vorjahr verkündeten die Veranstalter "Allpolnische Jugend" und "Nationalradikale", künftig gemeinsam als "Nationale Bewegung" auftreten zu wollen. Ist damit zu rechnen, dass dieses Bündnis bei Wahlen antreten wird?

Purski: Ich hoffe, dass sie es nicht schaffen werden, eine Partei zu gründen. Sie sind aber immer besser organisiert …

derStandard.at: Umfragen vor den Ausschreitungen am Montag sahen den rechtsextremen Block bei zwischen fünf und zwölf Prozent, bei Jungwählern sind es sogar 18 Prozent, die sich vorstellen könnten, ihnen ihre Stimme zu geben.

Purski: Das muss man sich jetzt nach dem Marsch noch einmal ansehen. Am Montag hat man gesehen, wie hasserfüllt und gewalttätig diese Leute sind, es gibt Anzeichen dafür, dass die Unterstützung für die Rechtsextremen zurückgeht. Andererseits melden die Veranstalter Rekordteilnehmerzahlen beim diesjährigen Marsch.

derStandard.at: Wie glaubwürdig sind solche Zahlen? Im Vorjahr sprachen die Veranstalter ja von 100.000 Teilnehmern, die Polizei von 30.000.

Purski: Da wurden einfach die Teilnehmer der PiS-Kundgebung und des von der "Gazeta Polska" organisierten Aufmarsches dazugerechnet. Die Rechtsradikalen selbst brachten es meinen Informationen zufolge 2012 nur auf 15.000 bis 20.000 Teilnehmer, für heuer habe ich noch keine offiziellen Zahlen gesehen, es waren aber etwa gleich viel. Als die Polizei in diesem Jahr nach eineinhalb Stunden wegen der Ausschreitungen die Veranstaltung erstmals für illegal erklärte, haben jedenfalls viele die Demo verlassen.

Trotzdem konnte die Kundgebung unbehelligt weiterziehen. Dass die Behörden nicht in der Lage waren, die Ausschreitungen zu stoppen, zeigt, wie schwach der Staat ist. Dass zahlreiche Teilnehmer verbotene Symbole zeigten und Gewalt anwendeten, hätte eigentlich reichen müssen, um die Demo aufzulösen.

derStandard.at: Die Veranstalter des Marsches haben ja heuer die Polizei aufgefordert, von der Kundgebung Abstand zu halten, weil sie selber einen Ordnerdienst organisiert hatten. Wie hat das funktioniert?

Purski: Laut Augenzeugen hat die "Garde", wie sie sie nennen, in ihren orangen Westen den Angriff auf ein besetztes Haus nicht nur nicht verhindert, sondern sogar unterstützt. Es handelt sich hier um eine paramilitärische Organisation, die die gleiche Ideologie wie die Demonstranten vertritt und sich bestens mit diesen versteht.

derStandard.at: Wie geht die polnische Zivilgesellschaft mit diesen Entwicklungen um?

Purski: Da gibt es durchaus Erfreuliches zu berichten: Die Leute schmücken zum Beispiel das Kunstwerk in der Gestalt eines Regenbogens, das am Montag angezündet wurde, statt der verbrannten Plastikblumen mit richtigen Blumen. Außerdem schenken immer weniger Polen den Behauptungen der Rechtsextremisten Glauben, dass sie zu den gewalttätigen Ausschreitungen provoziert worden wären: 2011 waren deutsche Antifaschisten schuld, obwohl deren Kundgebung bereits zuvor aufgelöst worden war, im Vorjahr argumentierten sie, die Polizei habe sie provoziert.

Heuer gab es keine solchen Vorwände, und man hört immer öfter Scherze wie "Hat euch diesmal das Regenbogendenkmal provoziert?" oder "Ist die russische Botschaft plötzlich auf euch losgegangen?". Ich hoffe, dass dies Anzeichen dafür sind, dass immer mehr Leute begreifen, dass es den Rechtsextremisten nicht um Patriotismus, sondern um Faschismus und Gewalt geht. (Bert Eder, derStandard.at, 15.11.2013)