Gegenseitige Wertschätzung ist in der Klex genauso wichtig wie Mathe oder Englisch.

 

Foto: Katsey

Gelernt wird überall: in der Klasse, am Gang, in kuscheligen Ecken oder eben dort, wo man sich am wohlsten fühlt. Es gibt ruhige und laute Orte. Jeder findet seinen Platz.

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Schule hat fast immer einen Geruch. Nicht immer einen angenehmen. Und eine typische, meist in Eruptionen anschwellende Geräuschkulisse. Kurzum: eine Atmosphäre, die man noch Jahre nach der eigenen Schulzeit, wiedererkennt. Wenn man das Klex in der Grazer Marschallgasse betritt, nachdem man durch den freundlichen Hof gegangen ist, melden jene Fühler des Langzeitgedächtnisses nichts Bekanntes und schon gar nichts Alarmierendes.

Es riecht nach durchlüfteten Räumen und Gängen. Man hört plaudernde Jugendliche aus offenen Türen, lachende Kinder in einer Sitzecke am Gang und den Ton einer sanft anschlagenden Klangschale aus einem Klassenzimmer, das für ein solches ziemlich gemütlich aussieht.

Die "Schulstunde", die hier nicht auf 50 Minuten beschränkt ist, sondern je nach Projekt und Fach mehr als doppelt so lange dauern kann - allerdings ohne den Zwang, während der gesamten Zeit stillzusitzen -, hat längst begonnen. Eine kleine Gruppe von Schülern steckt am Gang die Köpfe interessiert zusammen. Nicht etwa über Bravohefte oder Comics. Nein, über ihren Schulsachen. Die Lehrerin ist in der Klasse mit einem anderen Teil der Schüler. Man sieht schon auf den ersten Blick: Hier ist selbstständiges Arbeiten selbstverständlich und Lernen etwas, dem mit Neugierde, statt mit Zwang begegnet wird.

Schulpreis gewonnen

Das ist auch ein wichtiger Teil des Konzepts der Klex. Der Name Klex steht für die Neue Mittelschule (NMS) "Klusemann extern", also sozusagen für die Außenstelle der NMS und des Gymnasiums Klusemannstraße. Der Schulverband ist ganz offiziell die beste Schule Österreichs, denn heuer wurde er mit dem mit 10.000 Euro dotierten Österreichischen Schulpreis ausgezeichnet.

Als die Klusemannstraße Anfang der 1990er-Jahre startete, war sie einer der ersten Schulen, wo nach dem Modell einer NMS an kooperierenden Hauptschulen und einem Gymnasium gemeinsam unterrichtet wurde. Die Klex ist eine Ganztagsschule für Zehn- bis 14-Jährige und wurde erst 2010 eröffnet. Hier werden alle sogenannten Nebengegenstände, also etwa Biologie, Chemie, Geografie, Geschichte und Physik, verschränkt unterrichtet. Das heißt, man nähert sich jeweils einem großen Thema, von dem im Jahr zehn durchgenommen werden, in mehreren Fächern.

"Das war zum Beispiel einmal The Very Beginning", erzählt die pädagogische Leiterin des Klex, Sabine Höfert, die schon in der Klusemannstraße zur Pionierin der Neuen Mittelschule wurde. Da umkreisten die Kinder das Thema über die biologische Entstehungsgeschichte des Menschen inklusive ihrer ganz persönlichen, dann jene des Urknalls, unseres Sonnensystems und der gesamten Menschheit.

Dabei kommen auch Hilfsmittel der Erziehungslehre von Maria Montessori, wie das rund 40 Meter "schwarze Band", auf dem der Beginn der Menschheit rot gekennzeichnet wurde, zum Einsatz. Über den ganzen Gang wird es ausgerollt und die Zeit abgeschritten. "Wir sind aber keine Montessori-Schule", betont Höfert. Die Klex sei vielmehr der Versuch, die Erfahrungen aus der Klusemannstraße "verdichtet zu nutzen, einen Schritt weiter zu gehen und durchgängig reformpädagogisch zu arbeiten".

Tragfähige Beziehungen

Besonders wichtig sei dabei der Aufbau "tragfähiger Beziehungen", was dadurch unterstützt wird, dass möglichst kleine Lehrerteams, in denen jeder mehrere Fächer unterrichtet, gebildet werden. Dass ein Lehrer nur ein- oder zweimal pro Woche mit der Klasse Kontakt hat, kommt nicht vor. "Hier besteht nicht die Gefahr, dass man nur nach seinen schulischen Leistungen bewertet wird", sagt Höfert, "sondern man wird wirklich als Mensch wertgeschätzt." Und zwar samt Stärken und Schwächen.

Der Morgen beginnt bereits ganz ohne Drill. Anders als in den meisten Schulen beginnt der Unterricht nicht zu einer Zeit, da die meisten noch gar nicht aufnahmebereit sind. Stattdessen gibt es eine Phase des Ankommens zwischen 7.45 und 8.30 Uhr. "Wobei die meisten Kinder um acht da sind", erzählt Höfert. In dieser Stunde ist auch Zeit, über Sorgen zu reden oder bei Problemen in bestimmten Fächern bei den betreffenden Lehrern Hilfe zu bekommen. Die Lernziele werden bei jedem Kind individuell und gemeinsam mit dem Schüler analysiert, erarbeitet, beobachtet und gegebenenfalls nachjustiert.

Vom "Trichtermodell" als Lernform hält man hier nichts. "Individualisierung durch Fülle des Materials, wo sie entscheiden müssen, welchen Weg sie nehmen" ist das Rezept, mit dem die Selbstständigkeit der rund 200 Kinder gestärkt wird.

Vertrauen schaffen

"Selbstständigkeit braucht Vertrauen. Auch von den Eltern", erzählt Höfert, die weiß, dass auch manche Eltern dieses Vertrauen in die Eigenständigkeit der Kinder erst lernen müssen.

Wenn die Schüler nach 17.00 Uhr heimkommen, haben sie nichts mehr für die Schule zu tun. Neben dem verschränkten Unterricht haben sie Stunden mit sogenanntem Wahlangebot, wo auch mal Radio gemacht oder Theater gespielt wird, sie essen gemeinsam, gehen mit Lehrern spazieren, und auch Turnen steht täglich auf dem Programm. "Schüler haben ihren Alltag hier, nicht nur den Unterricht", erklärt Höfert die Bindung, die zwischen allen entsteht. Vielleicht hat man deswegen nicht den Eindruck, durch Klassenzimmer zu gehen, sondern durch viele gemütliche Wohnräume, in denen junge Menschen leben und lernen. (Colette M. Schmidt, DER STANDARD, Family, 28.11.2013)