Alles, nur kein MoF sein: Ein MoF ist ein "Mensch ohne Freunde" und Facebook ein Ort, an dem Teenager ihre "Marktgängigkeit" trainieren. Risiken und Nebenwirkungen nicht ausgeschlossen.

Foto: Katsey

"2 clicks away"-Problematik umschreibt die simple Tatsache, dass die Jungen via Handy sehr unkompliziert an verbotene Inhalte gelangen.

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Die gute Nachricht zuerst: Der ewige Streit um die Handyrechnung ist vorüber. "Wir schreiben kaum noch SMS", erzählt Rhea Tebbich. Die 17-jährige Schülerin verwendet den Nachrichtendienst WhatsApp, um sich auszutauschen. "Das beginnt gleich in der Früh, wenn wir uns ausmachen, welchen Zug wir nehmen", erklärt sie. Und ihre Schulkollegin Donatella Novakovic , die wie Rhea in die 8. Klasse am Schulschiff in Wien-Floridsdorf geht, ergänzt: "Wir telefonieren gar nicht mehr."

An die 100 Nachrichten versenden die beiden nach eigenen Angaben pro Tag. Das ist in finanzieller Hinsicht kein Problem: um 79 Cent die App auf das Smartphone laden. "Der Rest ist kostenlos", sagt Rhea. "Für Android-Smartphones ist das Runterladen gratis", ergänzt Donatella. Sie hat kein iPhone. "Wenn du einmal eines hast, willst du immer eines", ist sich Rhea sicher. "Es ist leicht bedienbar, und iTunes funktioniert mit Android nicht."

Iphone versus Android

Gerade das ist für Erik Ritschl (16) ein Grund, das iPhone abzulehnen: "ITunes hat mich gestört, ich wollte Android. Die Philosophie von Apple gefällt mir nicht, das ist ein geschlossenes System." Das Apple-Design findet der Schüler, der die IT-Klasse in der HTL am Rennweg besucht, aber schon gut. Auch Jakob Lachmayer (15) vom BORG 3 sagt: "Ich möchte kein iPhone, auch aus Umweltschutzgründen. Die bringen immer wieder ein neues Kabel heraus, damit das alte nicht passt."

Apple gegen Android, das ist kein Mädchen-versus-Buben-Ding, da sind sich alle sicher. "Das iPhone ist nicht einfach nur ein Ding mit schönem Design", erklärt Beate Großegger vom Institut für Jugendkulturforschung, "es punktet als Technologie-Trendsetter-Marke. Es lockt mit einem Markenversprechen: nämlich, dass sich sein cooles Image auf seine Nutzer und Nutzerinnen überträgt."

Mobile Internetnutzer

Die Teenager von heute, so viel ist sicher, sind Experten in Sachen mobiler Internetnutzung. Connaisseurs gleich unterhalten sie sich über die Vor- und Nachteile diverser Marken und Betriebssysteme. An ein Leben ohne Handy können sie sich kaum noch erinnern. Die mediale Durchdringung sämtlicher Lebensbereiche ist eine Selbstverständlichkeit für sie. Warum sie das Smartphone beim Essen weglegen sollen, sehen sie nicht ein. Eine gepflegte Unterhaltung bei Tisch wird ja wohl noch erlaubt sein.

Rhea und Donatella benutzen ihr Smartphone vor allem für WhatsApp, dann erst für Facebook oder Navigations-Apps wie "quando". Auch die Kamerafunktion auf ihrem Handy benutzen sie gern und oft. Bei den Burschen steht Musikhören an erster Stelle. Auch für Erik: "Twitter lese ich nur", erzählt er – und ist damit in Österreich die Ausnahme. Die meisten Jugendlichen hier haben gar keinen Account. "Das war bei Jugendlichen nie relevant", ist Großegger überzeugt. Facebook ist bei älteren Teenagern sehr verbreitet, die Anzahl der Freundinnen in einem Social-Community-Netzwerk ist laut einer JIM-Studie (Jugend, Information, Multimedia) über den Medienumgang von Zwölf- bis 19-Jährigen von 2010 bis 2012 stark gestiegen. "Du darfst kein MoF sein", erklärt Großegger weiter. Ein MoF? Das ist ein "Mensch ohne Freunde" und Facebook ein Ort, an dem Teenager ihre "Marktgängigkeit" trainieren. "Im Web 2.0 agieren Jugendliche als Lifestyle-Reporter in eigener Sache", formuliert es die Jugendforscherin.

Facebook dient also als Bühne der Selbstvermarktung, auf der jeder und alles ständig evaluiert wird. "Leistung allein wird kaum mehr belohnt", so die Jugendforscherin. Die Erfolgsgesellschaft unterscheidet sich also von der klassischen Leistungsgesellschaft dadurch, dass man sich ständig präsentieren und verkaufen muss. Der Wettbewerbsdruck wächst, frei nach dem Motto: Wer nicht auffällt, fällt durch."

Rhea, Donatella, Jakob und Erik, sie alle sind auf Facebook vertreten. Erik allerdings nicht mit seinem Echtnamen. Er hat ein japanisches Pseudonym gewählt, weil er seit einem Jahr Japanisch lernt – nicht in der Schule, sondern mit einem Sprachlernprogramm im Internet. "Das ist total praktisch, das kann ich auch am Handy machen." Sage noch einer, dass die Jugendlichen im Internet nur Unsinn treiben!

TV ist total "omalike"

Natürlich spielen sie auch. Programme wie "steam", erzählt Erik, ermöglichen es, Spiele online interaktiv zu organisieren und anhand von sogenannten Freundeslisten zu sehen, was die anderen so machen. Rund zehn Stunden die Woche sei er damit beschäftigt. Probleme mit den Eltern gebe es keine, "solange es in der Schule stimmt". Auch Jakobs Mediennutzung gliedert sich in Musikhören, spielen und Filme streamen.

"Ich schau so gut wie gar nicht fern", erzählt er. Warum auch, kann er im Netz doch alles sehen, jederzeit und ohne Werbung. TV, das ist total "omalike". Die Zukunft ist Youtube. Immer mehr junge Menschen konsumieren und produzieren auf Youtube kurze Videoclips. Ein Markt, der von Erwachsenen oft belächelt wird – zu Unrecht. Mehr als 570 Millionen Mal wurden zum Beispiel die Clips von "Y-Titty", einem deutschen Trio von Mittzwanzigern aufgerufen. Aber auch Jüngere, selbst noch Teenager, mischen mit. Die "Lochis" sind zwei pickelige 14-jährige Zwillinge, die aus ihrem Leben berichten. Uninteressant? Mit 83 Millionen Aufrufen sind sie Superstars. Eine Milliarde Nutzer konsumiert jeden Monat weltweit sechs Milliarden Stunden Videos (und Werbeeinschaltungen), ein gigantischer Markt, Tendenz: weiter steigend.

Zu viele Eltern

Das Medienverhalten der Jugendlichen ist ähnlich diversifiziert wie ihre Interessenlagen. Konsumieren die Zwölfjährigen Buben die "Lochis", interessiert das die 14-jährigen Mädchen nicht die Bohne. Die schauen auf Youtube z. B. "tutorials" mit Schminktipps. Die Pluralisierung der Angebote führt zu einer Beschleunigung der Trends. Was für die 15-Jährigen gilt, stimmt für Zwölfjährigen sicher nicht. Beispiel Facebook: Das Portal ist heute bei den jüngeren Teenagern gar nicht mehr so gefragt. Zu viele Eltern und Freunde der Eltern treiben sich da herum. Das hat auch schon Mark Zuckerberg erkannt und versucht mit Angeboten wie Instagram, einer Facebook-Tochter, für Kundenbindung zu sorgen.

Ein buntes Potpourri an Angeboten also für unsere Kinder. Was ist aber mit den viel beschworenen Gefahren, dem Mobbing, dem Sexting, Internetpornografie und all den verbotenen Inhalten? Rhea, Donatella, Erik und Jakob fühlen sich gut informiert. Zum Thema Internetsicherheit werden wir in der Schule jedes Jahr mehrfach informiert. "Ich finde das fast schon übertrieben", sagt Rhea.

Überforderungsgefühl

Bei den jüngeren Teenagern ist allerdings Handlungsbedarf gegeben. "Ich bemerke ein Überforderungsgefühl bei Schülern und Eltern", sagt der Rechtsinformatiker Nikolaus Forgó zur sogenannten "2 clicks away" -Problematik und meint damit, wie schnell Jugendliche an verbotene Inhalte gelangen können. "Es ist bedenklich, wie einfach im Netz das Jugendschutzrecht und das Urheberrecht komplett ausgehebelt werden." Forgó glaubt nicht, dass die Verantwortung jedem Einzelnen überlassen werden kann." Sind also Filter das Mittel der Stunde, um ungewünschte Inhalte auszuschließen? "Sicher nicht", sagt Marion Breitschopf von der Internetfirma Mediaclan. Sie und ihr Unternehmen haben vor einigen Jahren viel Energie investiert, ein Programm zu entwickeln, die unerwünschte Inhalte für die Kinder sperrt. Vergebliche Liebesmüh, weiß sie heute, die Kids schaffen jeden Filter: "Das Einzige, was hilft, ist Reden."

Gegen Kassandrarufe

"Kinder sind, was die neuen Medien betrifft, fitter als ihre Eltern", sagt auch Forgó. Von Kassandrarufen hält er nichts. Für ihn liegt die Antwort zuerst "in einer Europäisierung, dann in einer Internationalisierung des Rechts". Und bis dahin? Drei Empfehlungen hat der Jurist: sich politisch in Sachen Netzpolitik zu artikulieren. Dann: einen gesellschaftlichen Konsens finden, der in Normen mündet. Und drittens, so simpel wie einleuchtend: von den Kindern lernen. (Tanja Paar, DER STANDARD, Family, 20.11.2013)