"Ist das das Venezuela, das ihr für eure Kinder wollt?", fragt Präsident Nicolás Maduro in einer Fernsehansprache am Samstag, in der er auf die hohen Preise im Land schimpft. Er fragt das nur einen Tag nachdem er das Militär in eine Supermarktkette geschickt hat und deren Manager festnehmen ließ. Gleichzeitig zwang das Staatsoberhaupt sie, die Preise in ihren Läden drastisch zu senken.
Maduro kämpft gegen die hohe Inflation im Land, sie liegt mittlerweile bei fast 50 Prozent. Für ihn sind daran gierige Unternehmer schuld, die das Land und seine Menschen auspressen. In dieser Logik ist sein Vorgehen also durchaus konsequent. Bleibt nur das Problem, dass wenige Fachleute seine Logik teilen.
Dank Maduro konnte am Wochenende günstig eingekauft werden. Foto: epa/gutierrez
"Die Wirtschaftspolitik Venezuelas ist vollkommen verfehlt", sagt etwa David Rees vom Analyse-Institut Capital Economics zu derStandard.at. Venezuela mache genau das Gegenteil dessen, was es eigentlich machen sollte. "Einerseits wird das Angebot an Gütern beschnitten, andererseits die Nachfrage massiv erhöht", so Rees. Inflation sei die einzig logische Konsequenz.
Venezuela kämpft derzeit nicht nur mit steigenden Preisen, sondern auch mit einer Währung, die massiv an Wert verliert. Offiziell tut sie das natürlich nicht, der fixe Wechselkurs zum Dollar beträgt 6,3 Bolívar. Am Schwarzmarkt liegt der Preis für einen Dollar mittlerweile bei über 62 Bolívar. Für ein Land, das bei der Versorgung mit vielen Gütern des täglichen Bedarfs von Importen abhängt, ist das ein großes Problem.
Der venezolanische Präsident Nicolás Maduro. Foto: reuters/rawlin
Das wirtschaftspolitische Desaster, das Chávez hinterlassen hat und das Maduro jetzt fortführt, könnte das Land bald in eine Krise schlittern lassen. Jüngst hat auch IWF-Chefin Christine Lagarde vor einer Wirtschaftskrise in Venezuela gewarnt. Weil Erdöl 95 Prozent der Exporte ausmacht, hängt das Schicksal des Landes am Ölpreis.
Sinkt er, wie er das jetzt tut, gehen Venezuela die Dollars aus, die Währung wertet ab und Importe werden unleistbar. David Rees schätzt die Gefahr für eine solche Zahlungsbilanzkrise als hoch ein. "Wenn die Ölpreise über einen längeren Zeitraum fallen, dann ist die Krise unvermeidlich." Und Capital Economics prognostiziert für die nächste Zeit genau das, also einen sinkenden Ölpreis.
Nicolás Maduro kämpft derzeit aber nicht nur gegen die hohe Inflation und eine mögliche Krise. Seinen Kampf führt er auch an anderen Fronten, zumindest rhetorisch. Einmal gegen Washington, dann wieder gegen die Unternehmer und den Kapitalismus. Nun hat er sogar einen "Wirtschaftskrieg" ausgerufen, die Aktion in den Supermärkten soll nur der Anfang gewesen sein.
Dieser Fernseher war günstig, den Käufer freut's. Foto: ap/cubillos
Was Maduro derzeit macht, ist schlicht konsequent. "Er führt den Populismus seines großen Übervaters Chávez fort", sagt Stefan Rinke, Historiker an der Freien Universität Berlin. "Die, die einen Fernseher gebraucht haben, haben sich bestimmt gefreut", meint er augenzwinkernd. "Im Ernst, er versucht lediglich, die Mehrheit der Venezolaner hinter sich zu bringen, hat aber einfach nicht dasselbe Charisma wie der alte Herr."
Auch Rinke sieht Venezuelas Wirtschaft auf dem Holzweg. "Die Politik vergisst, die Unternehmer mitzunehmen", sagt Rinke. Dabei hat er auch lobende Worte für Chávez und seinen Nachfolger parat. Lange sei Venezuela von einer wirtschaftlichen Elite dominiert gewesen. Chávez habe damit Schluss gemacht und einen dringend notwendigen Umverteilungsprozess eingeleitet. Einzig an der Art und Weise, wie das passiert, stößt Rinke sich.
"So wie man das macht, ist das hanebüchen", sagt der Deutsche. "Es wird ein Konfrontationskurs ohne Kompromiss gefahren, Privatunternehmer werden als Teufel gesehen, der dem Imperialismus gehorcht." Wäre das Land anders geführt worden, hätte man mit den großen Ölreserven viel mehr Menschen aus der Armut bringen können. "Der Chavismus hätte mehr erreichen müssen."
Das Schicksal Venezuelas hängt am Öl. Foto: epa/gutierrez
Auch Rinke sieht in der Abhängigkeit von Öl und der Wirtschaftsfeindlichkeit der politischen Elite das große Problem Venezuelas. Dabei ist Ersteres auch das Ergebnis der Letzteren. Wer - wie im September gesehen - aus Lust und Laune Klopapier-Hersteller verstaatlicht oder seine Armee ausschickt, um die Preise in den Supermärkten herunterzusetzen, braucht sich auch über fehlende private Investitionen und quasi nicht existierende Exporte nicht zu wundern.
Auch das Demokratieverständnis der Führung lässt zu wünschen übrig. Erst am Dienstag verlor eine Oppositionspolitikerin ihren Sitz im Parlament. Die Behörden werfen ihr Korruption vor. Dass das genau zu einer Zeit passiert, in der Präsident Maduro im Parlament darum wirbt, per Dekret regieren zu können, sieht unschön aus. Bereits Chávez regierte in seiner 14-jährigen Amtszeit viermal per Dekret und verabschiedete fast 200 Gesetze ohne Zustimmung des Parlaments.
Zumindest die wirtschaftlich verfahrene Situation könnte sich aber schnell und einfach ändern, glaubt man dem Ökonomen David Rees. "Die Regierung muss zusehen, der Krise vorzubeugen. Die Geldpolitik gehört auf den Kopf gestellt, der Staat muss weniger ausgeben, das Land für ausländische Investitionen geöffnet werden." Die Politik könnte dadurch die hohe Inflation in den Griff bekommen und das Land auf wirtschaftlich gesündere Beine stellen. "Aber seien wir uns ehrlich, das wird alles nicht passieren", sagt Rees. "Es wird wohl eine Krise brauchen, damit ein Umdenken beginnt." (Andreas Sator, derStandard.at, 14.11.2013)