Nach einer dreitägigen nachrichtlichen Hochschaubahnfahrt reibt sich das internationale Publikum erstaunt die Augen: Was war das denn, wie ist es in Genf bei den Atomverhandlungen mit dem Iran wirklich gelaufen? Auch wenn die Linie aller Verhandler, auch der Iraner – was alleine schon demons­triert, dass sich viel geändert hat –, nach dem Verhandlungsende dahingehend lautet, dass man "noch"  keinen Durchbruch geschafft habe, so ist das inoffizielle Narrativ doch ein ganz anderes: Wenn Frankreich nicht ­gewesen wäre, hätten die restlichen P5+1, also die Uno-Vetomächte USA, Großbritannien, Russland, China plus Deutschland, einem Deal mit Teheran zugestimmt. P4+1+Iran gegen Frankreich: die neue Formel aus Genf.

Es ist durchaus möglich, dass diese Darstellung stark übertrieben ist: Die Türen, hinter denen die Atomgespräche laufen, sind ungewöhnlich dicht. Aber aus einem Satz im Statement von US-Außenminister John Kerry vor seiner Abreise sprach eindeutig ein gewisser Frust: In den nächsten Tagen werde man anderswo hoffentlich begreifen, dass das, was in Genf versucht wurde, vernünftig gewesen sei und wirklich etwas gebracht hätte. Das richtet sich klar an die israelische ­Adresse und an die der Golfaraber, als deren Interessenvertreter Paris fungierte. Am Sonntag reiste Kerry in die Vereinigten Arabischen Emirate, und auch in Jerusalem wird eine US-Delegation Überzeugungsarbeit zu leisten versuchen – umgekehrt wird das israelische Gegenlobbying beim US-Kongress verstärkt.

Die harte französische Linie in den Atomverhandlungen ist nicht neu: Das aus Paris kommende Argument war immer, dass größtmögliche Härte gegen den Iran der einzige Weg sei, einen Militärschlag unnötig zu machen. Wenn man die jetzige iranische Kompromissbereitschaft betrachtet, könnte man das als valable Strategie bezeichnen. Aber flexibel ist sie offenbar nicht.

Nicht einmal in Israel selbst bleibt die totale Ablehnung des in Genf möglichen Deals, der die – reversible – Lockerung von einigen Sanktionen vorsah, unhinterfragt: Vor allem scheint unterzugehen, dass es sich um nicht mehr als die Vereinbarung von Eröffnungszügen für ein langes Verhandlungsmatch handelt. Es ist richtig, dass sie Weichen für den Verlauf von Verhandlungen stellen, und zwischen Realisten und Maximalisten klaffen nun einmal tiefe Abgründe, was die Frage betrifft, was der Ausgang sein müsste. Aus historischer Perspektive ist daran zu erinnern, dass der Iran 2005 Forderungen stellte, die heute beinahe lachhaft anmuten. Auch damals wollten die Verhandler alles – und gingen mit nichts weg.

Was nicht heißen soll, dass die Fragen der Hardliner nicht berechtigt ­wären: Aber der Schwerwasserreaktor Arak, um dessen Plutoniumproduk­tionspotenzial es jetzt geht, ist noch nicht einmal fertig. Die Frage ist, was eher dazu führt, ihn zu stoppen: kein Deal jedenfalls sicher nicht.

Ob die Chance, die sich in Genf auftat, verspielt oder maximiert wurde, bleibt zu sehen: Auch Letzteres ist durchaus möglich. Das nächste Treffen findet nicht mehr auf Ministerebene statt: Das könnte ein Zeichen der Mutlosigkeit sein oder aber auch die Konsequenz aus dem PR-Desaster, das einsetzte, als alle Außenminister nach Genf zu eilen begannen, um auf einem sich abzeichnenden Gruppenfoto aufzuscheinen – alle außer dem Franzosen, der kam, um es zu verhindern. (DER STANDARD, 11.11.2013)