Natürlich behandelt Umberto Eco in seinem Buch über legendäre Gegenden und Städte auch die von Nymphen und Satyrn (links) bewohnten Landstriche sowie Orte wie den Parnass (rechts), der von Musen bevölkert wird.

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Agartha. Terra Australis und Christianopolis. Alamut und das Schlaraffenland. Thule, Mu und Xanadu. Allesamt legendäre Orte und Städte. Ihre Porträts beschreibt Umberto Eco nun in 15 Kapiteln. Er will, wie er gleich zu Anfang schreibt, von Ländern und Örtlichkeiten erzählen, an die Hirngespinste, Utopien und Illusionen geknüpft seien, weil Menschen tatsächlich an ihre faktische Existenz glaubten. Schwächt dies dann aber sofort ab. Um auch auf Atlantis eingehen zu können, auf Shambhala und Shangri La. Oder auch um umständlich Dokumente daraufhin abzuklopfen, wo denn nun das Land der Königin von Saba lag.

Und der zweite Schlenker, der dann endgültig jeder Liberalität Tür und Tor öffnet, ist: Es kommen auch Orte vor, um die sich Mythologisches rankt, das englische Glastonbury, das mit dem Mythos des Grals assoziiert wurde, ebenso wie Girsors oder Rennes-le-Château, die in jüngerer Zeit ob raffinierter Vermarktung zu so etwas wie legendären Orten wurden.

Der Band des Italieners ist ein rasanter, oft Schwindel erregend scharfer Galopp durch die Kultur-, Kunst- und Mythengeschichte der Menschheit. Nahezu ohne Rücksicht zu nehmen auf ein Publikum, das weder über eine so ausgreifende Privatbibliothek wie der langjährige Ordinarius und Bestsellerautor verfügt, noch über seine Kenntnisse.

Schon weit über den Wissenshorizont jeglicher Leserschaft zielt er gleich im ersten Kapitel, das die Erde als Scheibe und die Antipoden behandelt. Was aber hat dies mit seiner Eingrenzung zu tun? Und will man wirklich alles derart en détail erfahren über das wogende Auf und Ab der Debatten die Scheiben- und Kugelform der Erde betreffend, von Thales über Anaximander, zu Laktanz, zu Isidor von Sevilla, zum byzantinischen Geografen Kosmas Indikopleustes, zum Bibelkommentator Beatus von Liébana?

Was Eco in diesem Zusammenhang pikanterweise nicht verrät, aus dem Erdvorstellungsbuch Lands Beyond von L. Sprague de Camp und Willy Ley zitierend, ist, dass er in den frühen 1960er-Jahren im Verlag Bompiani dessen italienische Übersetzung redigierte. Seine Beschäftigung mit diesem Thema dauert somit ein halbes Jahrhundert an. Und ebenso lange dürfte er fürs Zusammenführen der vielen bunten Bilder und Illustrationen benötigt haben, die sein Buch opulent schmücken.

Besonders schön sind große Ausschnitte aus Handschriften und Miniaturen des späten Mittelalters. Genauso berückend sind die vielen kuriosen Karten, auf die sich Eco bezieht, nicht selten viele Seiten zuvor oder erst mehrere Doppelseiten später, manchmal, um die Verwirrung seines Texts noch zu steigern, gar nicht.

Eco schüttet nämlich hier wieder einmal ein Staunen machendes Füllhorn an pittoresken Bezügen, Quellen, Zitaten und Personennamen aus, wie er dies bereits mit Die unendliche Liste vorexerzierte und mit seinen ebenfalls illuster illustrierten Kulturgeschichten über die Schönheit und die Hässlichkeit.

Ermüdend ist nach kurzem allerdings der spannungslose Aufbau eines jeden Kapitels: ein unterschiedlich langer, oft großflächig mäandernder Essay, auf den dann sich über Seiten erstreckende Auszüge aus gängigen wie apokryphen Büchern, Quellen, Aufzeichnungen folgen. Ermüdend ist dies auch deshalb, weil hier nur die Herzen akademisch randständiger Spezialisten höher schlagen dürften. Vieles ist schlichtweg enervierend, zeitraubend und von staubiger Langeweile.

Was am Ende als Eindruck dieses pseudoenzyklopädischen Kaleidoskops zurückbleibt, sind Verdruss, weil so viele Ketten an Details geknüpft werden, glitzernd vor herrlicher Anmut, Unerheblichkeit und berückender Zweckfreiheit - und Überdruss. Weil Umberto Eco so wie auch ein Peter Sloterdijk oder ein Dietmar Dath inzwischen zu reinen Schreib-Maschinen verkommen ist, der in rasendem Tempo Bücher ausstößt, die umgehend veröffentlicht werden. Dabei verdanken sich diese dicken Bände allerdings ausschließlich einem immer besser ausgemendelten und final perfektionierten System der Ordnungs- und Zitierprinzipien - und kaum mehr Neugier oder Kreativität. Sie verschaffen nur geringen Gewinn, bei Ecos Buch ist dieser überwiegend visuell, von anregendem Vergnügen zu schweigen. (Alexander Kluy, Album DER STANDARD, 9./10.11.2013)