"Es gibt hunderttausende Castingshows. Das ist das eigentliche Problem an diesem Format. Es sind zu viele", sagt Alice Tumler.

Foto: Cremer

Tochter Tia war bei einer Generalprobe von "Die große Chance": "Sie hat das natürlich super gefunden. Sie hat mitgetanzt."

 

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derStandard.at: Mutter aus Martinique, Vater "slowenisch-südtirolerischer" Herkunft, aufgewachsen in Tirol, studiert in London, jetzt in Frankreich lebend. Wo fühlen Sie sich zu Hause?

Tumler: Nur zur Klarstellung, weil das öfters kommt: Martinique ist Teil Frankreichs, und meine Mutter war dort nicht lange, sie ist eigentlich im Pariser Raum aufgewachsen. Ich lebe schon lange in Frankreich, meine Eltern hier in Österreich. Ich selbst fühle mich in beiden Ländern zu Hause.

derStandard.at: Braucht es eine Heimat?

Tumler: Ja, doch. Das Konzept, was Heimat bedeutet, verändert sich aber über die Jahre. Als ich jung war, war das natürlich Tirol. Aber jetzt ist Heimat ein Zurückkommen - zurück zu den Eltern etwa. Ich persönlich habe nie diesen Bezug zum Boden, dieses Bodenständige gehabt. Ich bin in zwei verschiedenen Kulturen aufgewachsen. Ich ziehe furchtbar gern um. Jetzt mit meiner Tochter war es mir wichtig, dass sie den Bezug zu Österreich hat - und nicht verliert. Auch wenn wir hier nicht leben.

derStandard.at: Ihre Tochter Tia ist jetzt zweieinhalb Jahre alt. Da ist das unstete Leben noch egal.

Tumler: Später wird es sicher komplizierter. Da müssen wir dann schauen, wie wir das machen.

derStandard.at: Haben Sie sich schon entschieden, wo das Kind aufwachsen wird?

Tumler: Nein, dafür ist noch genug Zeit. Meine Schwester ist in Frankreich und Österreich in die Schule gegangen, ich habe mein Studium so ziemlich überall gemacht - also, es geht. Ich bin fix davon überzeugt, dass sich Kinder da schnell orientieren. Der familiäre Rahmen ist das Entscheidende, nicht, ob man immer an einem Ort klebt.

derStandard.at: Gehen Franzosen und Österreicher unterschiedlich mit ihren Kindern um?

Tumler: Ein großer Unterschied ist sicher, dass viel mehr französische Frauen berufstätig sind. Länger in Karenz zu gehen, so ein System gibt es in Frankreich nicht. Die meisten gehen nach drei bis sechs Monaten wieder arbeiten. Daher ist auch das Alter der Kinder, die in Kindergärten oder Ähnlichem sind, bedeutend jünger. In Österreich ist das schon anders. Viele meiner Freunde sind ein, zwei Jahre daheim. Oft hängt der Vater noch Zeit dran.

derStandard.at: Was ist Ihnen sympathischer?

Tumler: Ich mache es eher auf die österreichische Art. Aber ganz ehrlich: Nur zu Hause zu sein, das könnte ich nicht. Ich liebe meine Tochter über alles, aber ich glaube schon, dass es wichtig ist, sich selbst dabei nicht zu vergessen. Wenn ich zu Hause bin, bin ich Hausfrau und Mutter, aber dazwischen arbeite ich.

derStandard.at: Sie sind auch in einer privilegierten Situation.

Tumler: Natürlich. Über die Jahre war es auch ein wichtiger Grund für mich, den Job im Fernsehen zu machen, um möglichst frei sein zu können. Vor drei Jahren habe ich in der Schweiz für Arte eine große Live-Sendung co-moderiert. Die Schweizer Hauptmoderatorin hatte vier Kinder. Sie arbeitet eine Woche Vollzeit im Monat, sonst ist sie zu Hause. Und das Einkommen stimmt. Das ist doch ideal, oder?

derStandard.at: Auffallend ist, dass bei Ihrem Lebensgefährten Francis in Interviews sofort die Frage auftaucht, ob er Opfer von Rassismus …

Tumler: Ja! Oft ist das sogar die erste Frage. Das finde ich schon seltsam. Ich glaube, sie ist "leicht", weil er halt dunkelhäutig ist.

derStandard.at: Ist es bezeichnend, dass das in Österreich gleich gefragt wird?

Tumler: Es kommt auch oft die Frage, welches Land rassistischer ist: Frankreich oder Österreich? Aber das kann man nicht vergleichen. Frankreich ist von der Geschichte her viel multikultureller. Dort ist man es viel mehr gewöhnt, im Alltag mit Menschen mit anderer Hautfarbe zu tun zu haben. In Österreich ist das nicht so - da sind auch die Vorurteile viel größer. Nur: Das Ergebnis ist leider oft das gleiche.

derStandard.at: Entschuldigen Sie damit nicht die Leute ein bisschen?

Tumler: So ist das nicht gemeint. In Frankreich und in Österreich gibt es andere Formen des Rassismus. Ich bekomme die Frage oft nur deshalb serviert, weil Österreich weniger multikulturell ist. Da muss sich etwas ändern. Ein Beispiel: Ich habe vor Jahren einen Artikel gelesen, der hieß: "United Colours of Austria". Da war ich schon ziemlich irritiert, weil alle abgebildeten Personen ausgeschaut haben wie der 08/15-Österreicher.

derStandard.at: Für den Schritt, "Die große Chance" zu moderieren, haben Sie sich kürzlich in der Sendung "Willkommen Österreich" durch den Kakao ziehen lassen müssen. Ärgert das?

Tumler: Mich doch nicht! Die Sendung! Ich bin erst seit dieser Staffel dabei und glaube, dass es da eine längere Geschichte gibt. Die kenne ich aber nicht.

derStandard.at: Worin liegt eigentlich diese Chance? Auf ein paar Minuten TV-Zeit?

Tumler: Es geht um 100.000 Euro. Aber entscheidender ist, dass die Leute gesehen werden. Für einen jungen Künstler ist das eine sehr große Bühne.

derStandard.at: Warum hat vergangenes Jahr dann ein Hund gewonnen?

Tumler: Das weiß ich nicht. Wie gesagt, letztes Jahr war ich noch nicht dabei.

derStandard.at: Verstehen Sie auch, dass manche solche Sendungen schlecht finden?

Tumler: Es gibt hunderttausende Castingshows. Das ist das eigentliche Problem an diesem Format. Es sind zu viele. In Österreich ist es Gott sei Dank anders. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen handhabt das auch anders. Bei den Privatsendern geht es oft nur darum, jemanden vorzuführen oder dass die Zuschauer Blut lecken.

derStandard.at: Sie kommen von Arte, von Kultursendungen, ist "Die große Chance" auch Kultur?

Tumler: Es ist eine andere Art von Kultur. Unterhaltung hat hier auch ihren Platz. Und wenn es gut gemacht ist, ist es sehr schön.

derStandard.at: Das Staffelfinale am Freitag: Wie geht’s weiter? "Die große Chance" nächstes Jahr?

Tumler: Wie es weitergeht, steht noch in den Sternen.

derStandard.at: Darf Ihre Tochter eigentlich schon fernsehen?

Tumler: Ich setze sie nicht systematisch vor den Fernsehapparat. Aber wenn wir viel unterwegs sind, darf sie schon manchmal das Kinderprogramm schauen.

derStandard.at: Ihre Tochter hat auch bei einer Generalprobe zugesehen …

Tumler: … und hat das natürlich super gefunden. Sie hat mitgetanzt.

derStandard.at: Wenn sie älter ist und als Kind bei der "Großen Chance" mitmachen will, darf sie das?

Tumler: Als Kind? Da bin ich eigentlich dagegen. Das haben auch meine Eltern schon so gehalten. Ich finde, Kinder sollen normal aufwachsen. Ich finde es vor allem nicht gut, wenn sie von ihren Eltern ins Rampenlicht gedrängt werden. Dann kann der Bezug zur Normalität verlorengehen. Wenn es normal ist, dass einen jeder kennt, und man ständig hört, wie toll man ist, finde ich das komisch.

derStandard: Es gibt ja Kinder, die in der Sendung auftreten.

Tumler: Stimmt. Ich halte es dann für in Ordnung, wenn es vom Kind selbst ausgeht. Wie es bei der jetzigen Show ja der Fall war. Der kleine Johannes aus Klagenfurt hat jede Minute im Studio genossen. Es war wegen der "Großen Chance" die vergangenen drei Wochen nicht in der Schule, aber seine Eltern haben dafür gesorgt, dass er all seine Hausaufgaben auch in Wien geschrieben hat. (Peter Mayr, derStandard.at, 08.11.2013)