Zugegeben: Ganz aktuell ist dieses Foto nicht. Als Uschi Obermaier von Peter Lindbergh fotografiert wurde, war sie Anfang fünfzig. Heute ist sie 67.

Foto: Peter Lindbergh

Uschi Obermaier arbeitet als Schmuckdesignerin hauptsächlich mit Silber.

Foto: Riemann Verlag
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Einige Stücke aus ihrer aktuellen Kreation "Zodiac".

Foto: Riemann Verlag

Uschi Obermaier mit ihrem 1983 verunglückten Freund Dieter Bockhorn.

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Eine Aufnahme im Marihuana-Feld während der gemeinsamen Weltreise.

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Ein aktuelles Porträt Obermaiers.

Foto: dpa/Morris Mac Matzen

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Foto: Stefan Armbruster

Uschi Obermaier ist eine der Ikonen der 1968er-Bewegung. Sie war Fotomodel, Schauspielerin und mit Mick Jagger, Keith Richards und Jimi Hendrix liiert. Heute lebt sie im Topanga Canyon, einem Stückchen Wildnis zwischen Santa Monica und Malibu, in dem sich die Blumenkinder in den 1960er-Jahren ansiedelten. Doch die Hippies sind längst verdrängt, und wohlhabende Künstler haben ihre Häuser zu herrschaftlichen Villen ausgebaut.

Auch Uschi Obermaiers Haus ist luxuriös und ganz im Stil "Edel-Hippie meets Rock 'n' Roll" gehalten: Lampen von Fortuny, schwere rote Samtvorhänge, und vor dem Kamin steht eine Chaiselongue von Le Corbusier. In der Kommune 1 im Berlin der 1960er-Jahre lebte man anders: "Manchmal war das eine total freudlose Gruppe", erinnert sie sich. Vor einem Monat feierte Obermaier ihren 67. Geburtstag. Ihre Stimme ist rauchig und tief, und irgendwie versprüht sie noch immer den Charme der Sexuellen Revolution, der sie berühmt machte. Um ihren Hals baumeln Silberketten mit schweren Anhängern. Als Schmuckdesignerin ist sie nur einem kleinen Kreis von Eingeweihten bekannt.

STANDARD: Ist das die Rassel einer Klapperschlange, die da veredelt an Ihrer Kette hängt?

Obermaier: Als ich in den Topanga Canyon gezogen bin, habe ich einige Klapperschlangen umgebracht. Die Menschheit tötet ja immer gleich alles, vor dem sie Angst hat. Bis ich mir irgendwann dachte, ich kann die doch nicht alle umbringen, die waren ja schon von mir hier. Jetzt hab ich mich mit den Klapperschlangen arrangiert und verjage sie mit dem Wasserschlauch, oder ich fange sie mit einer Schlangenzange und setze sie woanders aus. Es gibt deswegen keine Klapperschlangen mehr in meiner Schmuckkollektion.

STANDARD: Mit Schmuckdesign begannen Sie 1983, als sich Ihr Leben schlagartig veränderte: Ihr damaliger Freund Dieter Bockhorn verunglückte tödlich bei einem Motorradunfall in Baja California, wo Sie beide lebten.

Obermaier: Das war eine sehr schwierige Zeit. Ich stand plötzlich alleine da. Mir stand das Wasser bis zum Hals, und ich bin dann zurück in die USA und habe ein paar Monate bei Freunden gelebt. Freunde sind mein Lebenselixier. Dort lernte ich bei einer Silberschmiedin das Handwerk. Sie stellte mir ihr Studio zur Verfügung, und ich arbeitete an einer kleinen Silberschmuckkollektion.

STANDARD: Ihre Schmuckstücke verkauften Sie zuerst nur an Bekannte?

Obermaier: Ja, und die waren begeistert. Als ich nach Los Angeles zog, ging ich in den teuersten Laden, "Maxfield", und zeigte ihnen meine Kollektion. Das Geschäft ist durch seine exzentrische Auswahl an Kleidern, Schuhen und Schmuck bekannt. Die gesamte Film- und Musikszene kauft dort ein. Und ich hatte Glück, denn sie nahmen meine Kollektion in ihr Sortiment auf.

STANDARD: Machen Sie bis heute nur Einzelstücke?

Obermaier: In Deutschland findet man eine spezielle Kollektion auf schmuck.de: "Zodiac" von Uschi Obermaier. Das ist meine erste Serie. Ich stellte die Originalstücke her, die dann produziert wurden. Aber ansonsten entwerfe ich nur Einzelstücke.

STANDARD: Was für Materialien verwenden Sie?

Obermaier: Hauptsächlich Silber und Steine, die ich gerne mag, etwa Granatstein. Im Moment arbeite ich auch mit Dinosaurierknochen.

STANDARD: Dinosaurierknochen?

Obermaier: Ja, einmal im Jahr findet an der Grenze von Kalifornien und Arizona ein sehr interessanter Markt statt. Da kommen die "Bergleute" und verkaufen Mixturen und Extrakte, Steine, Geschichten und seltsame Dinge. Als ich einen versteinerten Dinosaurierknochen sah, war ich fasziniert. Dass man so etwas überhaupt in die Hände bekommt! Die Stücke, die ich kaufte, kommen aus Utah und Montana. Man kann mit versteinerten Dinosaurierknochen sehr gut bearbeiten, schneiden und polieren. Die Farben sind einzigartig.

STANDARD: Wenn man Ihre Fotos aus den 1960er- und 1970er-Jahren anschaut, fasziniert einen der Schmuck, den Sie, Keith Richards, Mick Jagger und Jimi Hendrix trugen. Sind das heute Referenzen, auf die Sie bei Ihrer Schmuckkollektion zurückgreifen?

Obermaier: Nein. Aber all der Schmuck, den ich in meinem Leben gesehen habe, auch auf meinen vielen Reisen, ist in meinem Kopf gespeichert.

STANDARD: Sie hatten eine Beziehung zu Keith Richards, dem Gitarristen der Rolling Stones. Trotzdem zogen Sie bald ein Leben in einem kleinen Bus mit dem Hamburger Dieter Bockhorn, dem König der Reeperbahn, vor.

Obermaier: Es war super, mit den Stones auf Tour zu gehen. Das war Highlife! Keith war wunderbar. Aber bei den Stones ging es immer nur um die Musik. Wir reisten so viel rum, wir wussten oft gar nicht, an welchem Ort wir überhaupt sind. Das war ein Leben in einer Blase. Als ich modelte, war das ähnlich. Ich wusste schnell, das ist nichts für mich. Nachts haben wir gefeiert, tagsüber geschlafen. Alles gab's im Überfluss: auch Drogen. Da hat es viele Leichen am Wegesrand gegeben. Das hat mir Angst gemacht. Ich wollte das Leben auskosten. Mit Bockhorn konnte ich das tun, bei Bockhorn stand ich an erster Stelle.

STANDARD: Sie waren damals eines der bestbezahlten Fotomodelle und arbeiteten mit Größen wie Helmut Newton.

Obermaier: Ach ja. Du wirst verwöhnt, du bist in den schönsten Luxushotels. Du wirst herumchauffiert. Und draußen rauscht das Leben an einem vorbei. Als Model und mit den Stones war ich an vielen Orten auf der ganzen Welt, aber gesehen habe ich nichts davon. Mich interessierte es mehr, mit Bockhorn in unserem Bus langsam Asien, Amerika und Mexiko zu bereisen. Ich wollte andere Menschen und ihre Kulturen kennenzulernen.

STANDARD: War es auch eine Flucht aus Deutschland?

Obermaier: München in den 1950er-Jahren war der reinste Horror. Ich bin im Scherbenviertel aufgewachsen. Das hat mir die Luft zum Atmen abgeschnürt. Über nichts wurde wirklich gesprochen. Ich war froh, als ich von dort abhauen und in die Kommune ziehen konnte. In der Kommune waren zwar alle emotional ein bisschen verstümmelt, und das Experiment, alle in einem Raum zu leben, war mit Angst besetzt, aber alles war besser, als mit unseren Eltern leben zu müssen. Diese ganzen Lügen! Das wollten wir nicht. Wir machten etwas Neues, und wenn man etwas Neues macht, dann macht man viele Fehler und schießt erst einmal übers Ziel hinaus.

STANDARD: Ihr tolles Äußeres, gepaart mit Ihrem hemmungslosen Benehmen, hatte starke Wirkung - nicht nur in Deutschland.

Obermaier: Mein Schmollmund allein war schon eine Provokation. Die wilden Haare, die Kleidung, meine hedonistische Lebenseinstellung. Man kann sich das heute nicht vorstellen: Einen Minirock zu tragen, das war rebellisch. Die Frauen in der Straßenbahn haben uns mit ihren Regenschirmen verjagt und uns "Hure" hinterhergeschrien. Das war ein Spießrutenlaufen durch München. Damals erkannten sich Gleichgesinnte an der Kleidung. Heute ist das nicht mehr so, heute ist alles nur noch Fashion.

STANDARD: Im Internet findet man Sie auch unter dem Namen Chrissi Malberg. War das Ihr Kommunenname?

Obermaier: Ach wo! Ich spielte in ein paar Filmen mit. Dafür legte ich mir diesen Künstlernamen zu. Uschi Obermaier fand ich plötzlich zu bayrisch.

STANDARD: Carlo Ponti, einer der bedeutendsten italienischen Filmproduzenten und Ehemann von Sophia Loren, bot Ihnen einen Zehnjahresvertrag an. Ihr erster Film wäre mit dem Regisseur Michelangelo Antonioni an der Seite von Jack Nicholson gewesen. Wieso lehnten Sie ab?

Obermaier: Der Jack Nicholson, der baggert ja alle an. Ich hatte ihn einmal auf einer Party kennengelernt. Er wollte mich, nicht Maria Schneider als Partnerin für den Film Beruf: Reporter. Aber einen Zehnjahresvertrag? Das wäre eine Zwangsjacke gewesen. Da wäre ich mir eingesperrt vorgekommen. Gegen Zwänge habe ich mich immer gewehrt.

STANDARD: Als Schauspielerin waren Sie recht erfolgreich. Bereuen Sie Ihre Entscheidung?

Obermaier: Ich bekam viele gute Angebote, aber die Schauspielerei war nicht mein Ding. In dem Moment, wo ich eine Filmkamera sehe, erstarre ich. Wie das Karnickel vor der Flinte. Wenn die mir sagten, ich soll eine Türe öffnen, wusste ich nicht mehr, wie man eine Türe aufmacht. Ich habe mir immer nur gedacht: Hoffentlich schaue ich gut aus.

STANDARD: Sind Sie so eitel?

Ja schon! Mir wurde damals nur gesagt: "So, jetzt stell dich hin und jetzt mach!" Vielleicht hätt ich das Handwerk der Schauspielerei lernen können. Aber leichtgefallen wär es mir nie. Ich fühlte mich nicht wohl dabei, und ich wollte nie etwas machen, wobei ich mich nicht wohlfühle. Aber wenn es hätte sein sollen, dann wäre es halt so gewesen.

STANDARD: Sie glauben an so etwas wie Schicksal?

Obermaier: Ganz bestimmt. Aber ich weiß, wo meine Begabungen liegen. Zeichnen und Schmuckdesignen fällt mir leicht.

STANDARD: 2007 kam ein Film über Ihr Leben in die Kinos: "Eight Miles High". Welche Rolle spielen Drogen heute in Ihrem Leben?

Obermaier: Ich mag Marihuana. Es beruhigt mich. Ich verwende es zur Entspannung. So wie andere abends gern ihr Glaserl Wein trinken, rauche ich meine Pfeife.

STANDARD: Da gab es andere Zeiten in Ihrem Leben. Als Sie mit Keith Richards liiert waren, gab es zum Frühstück Apfelsaft, eine Line Heroin und einen Joint.

Obermaier: Das war ganz toll. Nur heute könnte ich mir das nimmer leisten: Die Regeneration dauert so viel länger (lacht)! Damals wussten wir nicht einmal, wie gefährlich dieses Zeug ist. Wir waren die Wegbereiter! Als junge Frau glaubte ich, ich wäre unverwundbar. Das waren dann die bitteren Erfahrungen, wenn Leute starben oder man sah, wie manche nicht von ihren Acid-Trips zurückkamen. Das hat mich sehr erschreckt.

STANDARD: Für Keith Richards waren Sie ein wichtiger Mensch.

Obermaier: Ja, der hat mich schon gut gekannt. In seinem Buch Life schrieb er über mich, dass ich nicht zu zähmen bin. "She is the best bad girl." Das waren seine Worte.

STANDARD: Sie waren ein Sexsymbol, ein Groupie, jemand der seine Freiheit einfach lebte. Trotzdem hatten Sie immer langjährige Liebesbeziehungen. Das klingt wie ein Widerspruch.

Obermaier: Als ich jung war, habe ich viel ausprobiert. Wir wollten uns befreien von dieser Enge in Deutschland. Abgesehen davon haben die Hormone gewütet, und wir haben uns erlaubt, diesen Gefühlen nachzugehen. Klar bin ich mit Leuten ins Bett gegangen, von denen ich nicht einmal wusste, wie sie heißen. Ich bin eine sehr loyale Person, und ich wäre auch treu gewesen. Aber das war zu der Zeit nicht angesagt. Und viele der Männer dachten sich damals noch: "Wir dürfen alles, und unsere Freundinnen sollen zu Hause sitzen." Dagegen habe ich mich gewehrt, und ich hab denen gesagt: "Du, das lass ich mir nicht gefallen. Ich hab genauso viel Spaß, wenn ich mit wem anderen schlaf!"

STANDARD: Sie waren das Poster-Girl der 68er-Revolution, auch die erste Frau, die nackt auf einem Cover zu sehen war.

Obermaier: Als ich aufwuchs, war alles so verschämt. Schauen Sie sich die verklemmten Playboy-Fotos aus dieser Zeit an! Nackt dazustehen war für mich ein Ausdruck von Freiheit und Ehrlichkeit. Heute hat sich das Rad zurückgedreht. Die Mädels sind ganz schön prüde! Mich muss man nicht überreden, damit ich die Hüllen fallen lasse. Wenn mir jemand sagt: "Eigentlich schaust du schöner aus, wenn du nackt bist." Da geht's bei mir "wutsch" - und die Kleider sind weg. Ich habe mich mit 50 von Peter Lindbergh nackt fotografieren lassen, und mit sechzig war ich nackt auf dem Cover vom Stern. Damit hab ich kein Problem.

STANDARD: Ihr letztes Buch "Das wilde Leben", das 2007 erschien, hielt sich in Deutschland fünf Wochen auf Platz drei der Bestsellerliste. Vor einigen Wochen kam ein neues Buch von Ihnen heraus, mit dem schönen Titel "Expect nothing". Sie haben leicht reden, bei alledem, was Sie schon erlebt haben.

Obermaier: Das werden wohl einige sagen. Und auch: "Was, schon wieder ein Buch? Die hat doch schon mal ein Buch geschrieben." Stimmt. Das war ein Buch über mein Leben bis in die 1970er-Jahre. Bis zu dem tödlichen Motorradunfall meines Lebensgefährten Bockhorns. Mein neues Buch handelt von meinem Leben heute. Vieles geht bis in meine Kindheit zurück. Vor ein paar Jahren ging es mir plötzlich so schlecht, dass ich in Therapie gehen und mich mit Themen auseinandersetzen musste, die nie aufgearbeitet wurden. Und zwar Themen, die viele Frauen etwas angehen.

STANDARD: Zum Beispiel?

Obermaier: Zum Beispiel das Thema Selbstwert. Ich bin mir als Kind sehr verlassen vorgekommen, weil mein Vater einfach abgehauen ist. Heute habe ich damit Frieden geschlossen und ihm viele seine Fehler verziehen. Er war 19 Jahre alt, als ich auf die Welt kam. Was kann man schon von einem 19-Jährigen erwarten? So jung hätte ich auch keine Verantwortung übernehmen können. Aber mein Vater hat mich wirklich im Stich gelassen. Vielleicht kann ich auch deshalb nur Fernbeziehungen eingehen. Das ist die einzige Art der Beziehung, die bei mir funktioniert. Ich vertraue Männern nicht. Das ist ein schreckliches Gefühl. Alle meine Beziehungspartner haben sich darüber beschwert.

STANDARD: Wie geht es Ihnen heute?

Obermaier: Ich bin sehr glücklich. Ich brauche keinen Mann, um mich vollkommen zu fühlen. Ich würde gerne einen Partner haben und mein Leben teilen, aber es ist nicht unbedingt notwendig.

STANDARD: In einem Nachtklub in Wien, wo das Thema die 1960er-, 1970er-Jahre sind, verkleiden sich junge Frauen als Uschi Obermaier. Gefällt Ihnen das?

Obermaier: Ich fühle mich sehr geschmeichelt, dass ich eine Fangemeinde habe. Die kommen zum Teil sogar manchmal hier unten im Topanga an und läuten an meinem Tor.

STANDARD: Haben Sie Ratschläge für diese Mädchen?

Obermaier: Klar! Geh nach deinem Herzen und lass dir keine Angst machen. Setz dir hohe Ziele, und erwarte dir nichts. Erwartungen machen unfrei.

STANDARD: Sie sind eine tolle Frau. Gibt es eine Frau, die Sie toll finden?

Obermaier: Wenn ich in den Spiegel schaue, überlege ich mir oft: Soll ich mir das machen oder jenes machen lassen? Aber ich möchte nicht wie die Frauen hier in Los Angeles ausschauen, die wie mit Masken herumlaufen. Dann schaue ich mir Charlotte Rampling an, und sie ist mir ein gutes Beispiel: Sie ist nicht schöner geworden, aber sie hat Persönlichkeit und Authentizität. (Cordula Reyer, Rondo Exklusiv, DER STANDARD, 13.11.2013)