Aus der Welt der Superreichen in die kleinbürgerliche Heimeligkeit ihrer Schwester: Cate Blanchett zieht in Woody Allens Tragikomödie "Blue Jasmine" alle Energien an sich. 

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Wien - Woody Allens neuer Film Blue Jasmine beginnt wie ein Gag. Man stößt auf eine klare Gegenüberstellung, die Komik verspricht, aber die eigentliche Pointe ist, dass es nicht viel zu lachen gibt. Es geht um zwei Schwestern, Adoptivschwestern wohlgemerkt, die kaum unterschiedlicher sein könnten. Die Britin Sally Hawkins spielt Ginger, deren Leben sich in kleinbürgerlichen Bahnen bewegt. Sie hat zwei Söhne aus einer gescheiterten Ehe und lebt in Mission, einem Einwandererstadtteil von San Francisco, mit einem Freund namens Chili, der gern wie ein Pfau im Ruderleiberl durch die Wohnung stolziert.

Jasmine, die eigentlich Jeannette heißt, die Hauptfigur des Films, gehörte hingegen gerade noch zu jenem einen Prozent, das im Überfluss lebt. Als der Film beginnt, hat sie bereits alles verloren: ihren Mann Hal (Alec Baldwin), der sich im Gefängnis erhängt hat, nachdem seine Finanzbetrügereien aufgeflogen sind; ihren sozialen Status, der mit dem Vermögen dahingeschmolzen ist; ihre Selbstachtung, was man unter anderem daran erkennt, dass sie an öffentlichen Orten häufig zu Selbstgesprächen neigt. Mit ein paar Louis-Vuitton-Koffern und Augenringen versucht sie nun bei ihrer Schwester Ginger Quartier zu nehmen.

Jasmine wird vom australischen Weltstar Cate Blanchett verkörpert, und zwar mit einer solchen Souveränität, dass man die Lobeshymnen, die man über Allens neuen Film in den USA zu lesen bekam, auch einem gewissen Blendungseffekt zuschreiben muss. Blue Jasmine ist nach den immer seichter gewordenen Europa-Filmen des New Yorkers definitiv ein Formanstieg. Aber viel davon verdankt sich eben der zwischen exaltierten und verzweifelten Tönen changierenden Blanchett, die in diesem Part an die große Gena Rowlands erinnert, eine weitere "woman under the influence".

Geringe Chancenausbeute

Mit der Wiederbegegnung von Jasmine und Ginger kommt es zum unvermeidlichen Culture-Clash, den Allen nicht ausschließlich für Pointen nutzt. Natürlich ist der Blick der gefallenen Schwester auf die anspruchslosere, aber gutherzige Jüngere von viel Klassendünkel verstellt. Deren Männerwahl bringt Jasmine aus der Fassung. In ihren Augen nimmt sich Ginger damit alle Chancen. Dass sie sich allerdings selbst mit dem allergrößten Ekel (Alec Baldwin, mit großer Ungezwungenheit) abgegeben hat, blendet sie ganz aus.

Bis in die Nebenrolle des im Herzen butterweichen Machos Chili (Bobby Cannavale) - eine Witzfigur von Stanley Kowalski - ist diese Konstellation von Blue Jasmine Tennessee Williams' modernem Klassiker Endstation Sehnsucht entnommen. Wie Blanche, die noch altem Südstaaten-Geldadel entstammte, der bankrottging, ist auch Jasmine Opfer eines exzessiven Lebensstils.

Der Film lässt den Zuschauer in Rückblenden an dieser Vergangenheit teilhaben, eine etwas schwerfällige Form, die in jenem beiläufigen Konversationston abgespult wird, der Allens spätere Filme mitunter wie Fließbandproduktionen erscheinen lässt. Man spürt den routinierten Gagschreiber auf Tagesbasis durch, der Allen schon war, bevor er ins Filmgeschäft wechselte.

Schmucklos, uneitel wirkt der Film auch in der Bildgestaltung. Die Kamera von Javier Aguirresarobe gestattet Blanchetts Jasmine viel expressiven Raum. Die unwirkliche Aura, die über ihrer Begegnung mit dem preppyhaften Dwight (Peter Saarsgard) liegt, von dem sie sich die Rettung, einen Neustart erhofft, stellt der Film ohne große Mühen her.

Blue Jasmines größte Leistung ist vielleicht, wie unnachgiebig er die seltsame Mischkulanz aus Milieusatire und tragischer Fallgeschichte bis zum Ende durchhält. Das muss man sich erst einmal trauen. Woody Allen macht es, als wäre es das Natürlichste der Welt - zwei Schwestern, die keine Gemeinsamkeiten haben. (Dominik Kamalzadeh, DER STANDARD, 6.11.2013)