Gleiten statt schleppen: Zum Bau dieser Anlage in Pekings Kaiserpalast wurden tonnenschwere Marmorblöcke nach Peking gekarrt - auf Schlitten und einem dünnen Wassereisfilm.

Foto: Chui Hu

Peking/Wien - Im Reich der Mitte war man seit jeher innovativ: Das Schießpulver stammt ebenso aus China wie das Papier. Und auch Speichenräder sind den Chinesen bereits seit rund 3000 Jahren bekannt. Nun rekonstruierten Forscher eine weitere Innovation, die zwar in gewisser Weise einen Rückfall hinter die Erfindung des Rades darstellt, aber im 16. Jahrhundert unserer Zeitrechnung wesentlich zum Bau der Verbotenen Stadt in Peking beitrug, also des Kaiserpalasts, der mehrere Jahrhunderte lang für die Bevölkerung gesperrt war.

Das Team um den chinesischen Ingenieurwissenschaftler Jiang Li entdeckte ein Dokument aus der Bauphase, in dem über den Transport eines 123 Tonnen schweren Marmorblocks im Winter 1557 berichtet wird. Die Arbeiter bewältigten die 70 Kilometer lange Strecke vom Steinbruch bis nach Peking mit einer besonderen Technik: Sie schütteten Wasser auf eisigen Untergrund und ließen Schlitten darüber gleiten. Um genügend Wasser zu haben, gruben sie alle 500 Meter einen Brunnen.

Das Forschertrio verglich in der aktuellen Ausgabe des Fachblatts "PNAS" verschiedene Möglichkeiten, die aus der Antike bekannt sind, um einen über 100 Tonnen schweren Marmorblock zu transportieren. Dann ermittelten sie anhand des jeweiligen Reibungskoeffizienten den geschätzten Bedarf an Männern, die den Schlitten zogen: Für einen Schlitten auf trockenem Untergrund wären es 1537 Männer gewesen, für einen Schlitten auf einem Wasserfilm mit einem Holzuntergrund immer noch 358 Männer. In einer ähnlichen Größenordnung liegt der Transport auf hartem Eis. Das Bewässern des Eises führte indes zu einem Gleitfilm, der vermutlich nur 46 Männer für den Transport erforderlich machte.

Eine große Rolle bei der Entscheidung für diese Transportmethode spielte auch die Witterung: Damals lag in Peking die Durchschnittstemperatur im Jänner bei etwa minus 3,7 Grad Celsius. Bei dieser Temperatur gefriert Wasser nicht vollständig innerhalb von zwei Minuten. Diese Zeit reichte, um den Schlitten über die bewässerte Stelle zu ziehen und auf dem Wasserfilm gleiten zu lassen.

Jiang Li und seine Kollegen nennen noch weitere Gründe für den Schlittentransport: Die Obergrenze für einen Wagentransport betrug damals etwa 95 Tonnen. Die Eisfläche sei zudem viel glatter als der holprige Transport auf einem Wagen, bei dem der Stein beschädigt werden konnte.

Die Methode wird in China gelegentlich noch heute angewendet: In der Provinz Heilongjiang wurde im Jänner und Februar 2013 ein 1200 Tonnen schweres Gebäude einer Eisenbahnstation auf einer künstlichen Eisbahn transportiert. (tasch/APA, DER STANDARD, 5.11.2013)