Begeisterten im seit Monaten ausverkauften Gasometer: die wiedervereinigte Band rund um Black Francis, der natürlich auch "Where Is My Mind" zu Gehör brachte

Foto: Standard/Fischer

Wien - Schon das zweite Lied gab im Saal die Stimmung vor: Volksfest. Der Song hieß Gouge Away, aber das war Zufall. Es hätte jeder andere sein können. Einer von über zwei Dutzend Gassenhauern, die die US-amerikanische Band Pixies am Freitag im seit Monaten ausverkauften Wiener Gasometer in den Sall knallte. Mit jener Mischung aus Leichtigkeit, Wucht und Präzision, die in den späten 1980ern zum Revolutionsgeläut anschwoll.

Aufgetaucht war die Formation um den enigmatischen Frontmann Black Francis 1987. Nachdem im US-Underground die Zeichen damals seit Jahren auf Sturm und Drang standen, komprimierten die aus Boston kommenden Pixies diese Energie und formulierten daraus griffige Dreiminüter, die neben juveniler Kraft ein Pop-Appeal kennzeichnete, den man bis dahin nicht gehört hatte. Nicht so. Mit Collagen aus Melodien und Lärm und dem Talent, darin knappe Melodien oder gar Hymnen einzubetten, überholten sie die Welt auf dem Pannenstreifen.

Lange bevor die allwissende Müllhalde Wikipedia alle Magie des Unbekannten zerstört hat, herrschte begeisterte Verwirrung in der damals noch überschaubaren Neigungsgruppe. Wer waren diese Pixies? Das Spex mutmaßte gar, dass es sich beim Abbild des primatisch behaarten Mannes am Cover des Debüts Come on Pilgrim um den Sänger handeln musste.

Als dann die ersten Bilder auftauchten, sahen diese Götter aus wie wir alle. Vier Normalos mit gedankenlosen Frisuren und Bundfaltenhosen, in denen T-Shirts ohne Message steckten. Nachzusehen sind diese Impressionen etwa auf der Homepage www.patblashill.com des heute in Wien lebenden US-Fotografen Pat Blashill, der die Pixies damals fotografiert hat.

Fünf Alben aus fünf Jahren

Ihr Erbe umfasst fünf Alben aus fünf aktiven Jahren. Als andere dann die Ernte ihrer Saat einfuhren, waren sie längst auseinandergegangen. Die Bandchemie zerbrach die Pixies. Im Leben danach betrieb Bassistin Kim Deal die Breeders, Drummer David Lovering spielte mit Cracker und wurde Zauberer(!), und Francis unterjochten diverse Bands, in denen ihm oft Gitarrist Joey Santiago beiseitestand. 2003 kam es zur ersten Reunion in Originalbesetzung, um endlich jenen monetären Ausgleich zu schaffen, der den Pixies zustand.

Bei der laufenden Welttournee arbeitet statt Kim Deal Kim Shattuck am Bass, doch abseits schnöder Nostalgie ist das egal. Denn das Kraftzentrum dieses Wunders teilten sich immer schon Francis und Santiago. Der eine zersägt den Lärm mit seiner hohen Kopfstimme, der andere mit der Gitarre. Santiagos Melodien und Soli sind so knapp wie ein Minirock, der gar nie die Absicht hatte, irgendetwas zu bedecken. Santiago entblößt, legt offen, nagt ab. Atemlos und wirkungsvoll. Selbst als er live im Song Vamos seine Kunst für Pixies-Verhältnisse schon ausufern ließ, blieb er immer am Punkt des Punk.

Das Wissen, wann ein Song anfängt, fad zu werden, gehört zur Qualität der Pixies. Deshalb zählen einige ihrer Klassiker keine zwei Minuten. Wenn alles gesagt ist, ist alles gesagt. Ohne Pause stürzt man sich ins nächste Lied. Und selbst in den ruhigen Stücken ist die Unruhe dauerpräsent.

Diese Stimmung gipfelte live in zwei Songs: In Heaven, einer Interpretation eines Liedes aus David Lynchs Film Eraserhead. Während Francis die Vorzüge des Himmels besang, hielt Shattucks wummerndes Bassspiel das Tor zur Hölle offen. Und das ganze Häuserzeilen zum Einsturz bringende Where Is My Mind, das jeder kennt, der den Film Fight Club gesehen hat.

Über 20 Jahre nach ihrem letzten Wien-Auftritt war dieses Konzert eine würdige Bestätigung einer Rangordnung. Im Song Monkey Gone to Heaven schafft Gott es bis zur Sieben. Die Pixies aber, das hat sich gezeigt, die sind schon auf acht, wenn sie nur ihre Instrumente auspacken. (Karl Fluch, DER STANDARD, 4.11.2013)