"Ich habe einfach gemerkt, dass mir in vielen Punkten irgendwann das Katholische näher war": der römisch-katholische Priester Gerhard Höberth und seine Frau Colleen.

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STANDARD: Ein katholischer Priester lebt mit seiner Ehefrau in der gemeinsamen Wohnung im Pfarrhaus - wie oft hören Sie, dass das äußerst ungewöhnlich ist?

Gerhard Höberth: Wenn ich neue Leute kennenlerne, ernte ich schon erstaunte Blicke - und es wird nachgefragt, wie das denn sein kann. In solchen Fällen sage ich immer, dass es schon lange verheiratete Priester in der katholischen Kirche gibt. Das sind dann die „Unierten", die gehören zwar dem orthodoxen Ritus an, bekennen sich aber zum Papst.

STANDARD: Das ist in Österreich aber nicht bekannt.

Gerhard Höberth: Das stimmt. Aber diese Union gibt es schon seit mehr als 300 Jahren. Und vergessen Sie nicht die Konvertiten, also etwa anglikanische Geistliche, die um Aufnahme ansuchen können.

STANDARD: Frau Höberth, wie reagieren bei Ihnen die Leute, wenn Sie sagen, dass Sie mit einem katholischen Priester verheiratet sind und mit ihm vier mittlerweile erwachsene Kinder haben?

Colleen Höberth: Die Leute sind überrascht. Ich erkläre dann, dass wir ursprünglich evangelisch waren. Und dass wir dann vom Papst die Sondergenehmigung bekommen haben ...

Gerhard Höberth: ... aber nicht für den Übertritt, sondern dass ich als Priester arbeiten konnte.

STANDARD: Sie waren evangelischer Pfarrer. Warum der Wechsel?

Gerhard Höberth: Das war ein langer Prozess. Ich habe einfach gemerkt, dass mir in vielen Punkten irgendwann das Katholische näher war. Vor allem, weil sich die evangelische Kirche teilweise extrem in eine andere Richtung entwickelt hat - Schlagwort Modernismus, zeitgeistig. Das ist nicht meines.

Colleen Höberth: Es ist eine Entwicklung. Man ist immer auf dem Weg und versucht, die Wahrheit zu finden. Auch im christlichen Glauben. Man fragt sich: Was ist der beste Weg?

Gerhard Höberth: Ich glaube auch, dass die evangelische Kirche eine andere war, als ich begonnen habe, Theologie zu studieren. Das ist der Zug der Zeit. Eines dürfen Sie auch nicht vergessen: Es gab viele, sehr viele lange Gespräche, auch mit dem evangelischen Bischof. Der hat dann auch einmal gesagt: "Da stoßen Sie bei uns an Ihre Grenzen."

Colleen Höberth: Für mich war es schwer. Unsere vier Kinder sind evangelisch konfirmiert worden.

Gerhard Höberth: Christiane, unsere Tochter, ist inzwischen freiwillig übergetreten. Ich habe sie selbst firmen dürfen.

STANDARD: Das passiert selten.

Gerhard Höberth: Ja. Nächstes Jahr darf ich sie verheiraten.

STANDARD: Ihnen ist also die vergleichsweise starre Haltung der katholischen Kirche lieber?

Gerhard Höberth: Die katholische Kirche ist weitaus liberaler, als man sich das von außen vorstellt. Ich kenne manche Priester, die ihre Messe und manches andere ganz frei "selber stricken". Das ist bekannt, es wird geduldet. In der katholischen Kirche gibt es ja auch viele Gruppen, die fast identisch sind mit dem Protestantismus - siehe die Pfarrerinitiative um Helmut Schüller. Da begegnet mir das altvertraute Protestantische.

STANDARD: Mit Schüllers Thesen können Sie nichts anfangen?

Gerhard Höberth: Nur bedingt. Mir werden da zu viele Dinge in einen Topf geworfen. Die Frage, ob verheiratete Männer auch Priester werden sollen, hat nichts mit der Frage zu tun, ob auch Frauen geweiht werden dürfen.

STANDARD: Wie sehen Sie das?

Colleen Höberth: Der Punkt, bei dem ich mitgehen würde, ist, wenn Diakone, die verheiratet sind, auch Priester werden dürfen. Petrus war ja auch verheiratet. Ich bin US-Amerikanerin und war in vielen evangelischen Kirchen. Für mich ist das daher selbstverständlich. Dennoch respektiere ich es, dass die katholische Kirche das anders sieht.

STANDARD: Und Frauen?

Colleen Höberth: Also ich bin so froh, dass ich nicht im theologischen Bereich arbeite! Ich arbeite in einer Bank. Ich kenne aber nur wenige Frauen, die geweiht werden wollen. Es gibt andere, sehr wichtige Ämter in der Kirche, die für Frauen offenstehen. Es muss nicht das Priesteramt sein.

Gerhard Höberth: Ich habe in der Erzdiözese Wien mehrere Frauen in der Hierarchie weit über mir stehen. Beim Priesteramt geht es um die Frage der Weihe, um die Vertretung Christi, nicht um Macht. Das Priesterverständnis der katholischen und orthodoxen Kirche leitet sich von den zwölf Aposteln ab.

STANDARD: Ist Ihr Weg eine Möglichkeit, katholischer Priester zu werden und den Zölibat zu umgehen?

Gerhard Höberth: Das ist eine Ausnahmesituation. Man kann nicht mit dem Hintergedanken, katholischer Priester werden zu wollen, zuerst evangelische Theologie studieren. Das funktioniert nicht. Es war nicht geplant. Wir waren auch schon verheiratet, als ich mit dem Studium der evangelischen Theologie begonnen habe. Ursprünglich habe ich Germanistik und Theaterwissenschaften studiert. Meine Frau war so nett, mich in dieser Zeit durchzufüttern.

Colleen Höberth: Das hat Spaß gemacht und war völlig in Ordnung.

STANDARD: Besuchen Sie die Gottesdienste Ihres Mannes?

Colleen Höberth: Ja. Mein Mann ist in verschiedenen Pfarren tätig. In der Früh frage ich ihn, wo er gerade ist, und dann komme ich hin.

Gerhard Höberth: Wir stehen ja vor einem großen Reformprozess in der Erzdiözese. Im 15. Bezirk ist nur mehr etwas mehr als ein Fünftel der Bevölkerung katholisch. Daher müssen die Pfarren zusammengelegt werden. Wir haben ja eigentlich keinen Priestermangel, sondern einen Gläubigenmangel - diesen aber nicht durch viele Austritte, sondern durch die demografische Veränderung der Bevölkerung.

STANDARD: Warum zieht es die Leute nicht in die Kirche? Gibt es dort die falschen Antworten?

Gerhard Höberth: Es haben sich die Gesellschaft und die Bedürfnisse der Menschen geändert. In meinem Bezirk ist der Islam das hervorstechende Bekenntnis. Religion ist massiv da, nur ist es nicht die christliche. Dort sehe ich all das, was wir immer mehr ablegen: Religion, Familie und stramme Wertehaltung. Wir interessieren uns nicht mehr dafür. Uns ist nur mehr das Leben im Jetzt und Hier wichtig.

STANDARD: Also sind die Menschen schuld, nicht die Kirche.

Gerhard Höberth: Es hat mit der weithin veränderten Lebenseinstellung zu tun. Ich will jetzt nicht von den Missbrauchsfällen, von Versäumnissen ablenken, von Selbstherrlichkeit, die es in der Kirche gibt ...

Colleen Höberth: Was ist mit all den positiven Beispielen, die es auch gibt? Die modernen Gottesdienste.

Gerhard Höberth: Das stimmt schon, aber das sind eher Events.

Colleen Höberth: Nicht nur!

Gerhard Höberth: Mehrheitlich.

Colleen Höberth: Was ist mit den Gruppen, wo Christiane hingeht?

Gerhard Höberth: Das ist etwas anderes! Aber wahrscheinlich werden Sie das als ultrakonservativ bezeichnen. Du meinst die Legionäre Christi oder Loretto?

Colleen Höberth: Ja. Wichtig ist für mich, dass die Predigt stimmt, die Aussage passt, die Leute es wirklich leben und glauben. Das Wie ist dann eine ganz andere Frage.

Gerhard Höberth: Ein positives Beispiel ist Heiligenkreuz. Konservativ, aber es boomt.

Colleen Höberth: Passt konservativ?

STANDARD: Reaktionär?

Colleen Höberth: Das ist ein mit Problemen behaftetes Wort. Mit geht es darum, ob es biblisch ist.

Gerhard Höberth: So wie die Gesellschaft immer fragmentierter wird, so ist es auch in der Kirche. Es gibt immer mehr unterschiedliche Gruppierungen. Das ist eine große Herausforderung an die Einheit, welche die katholische Kirche sehr betont.

STANDARD: Kreuz in der Klasse, Streit um die Kirchensteuer - führt die Kirche ein Rückzugsgefecht?

Gerhard Höberth: Sie verabschiedet sich von Selbstverständlichkeiten, die es gegeben hat. Wenn die Mehrheit der Kinder nicht christlich ist, warum soll dann ein Kreuz aufgehängt werden? Das verstehe ich vollkommen. Die Kirche muss sich neu einrichten. Daher gibt es die Strukturreform, die gerade in der Erzdiözese läuft. Wir sind jetzt ja schon eine Minderheit, wenn man nur die praktizierenden Christen ansieht. In ganz Wien sind unter 50 Prozent der Bewohner noch offiziell katholisch.

STANDARD: Wenn Sie Ihren Mann in der Messe besuchen, sitzen Sie dann mit lauter Pensionisten da?

Colleen Höberth: Ja, aber es gibt auch immer wieder einzelne junge Leute und Jungfamilien.

Gerhard Höberth: Kommen Sie Sonntagabend nach Rudolfsheim! Da werden Sie sehen, dass 70 Prozent der Leute unter 40 Jahre sind. 80 Prozent von ihnen sind aber keinen „autochthonen" Österreicher. Das ist die Rettung: die Migranten. Sie sind unsere Hoffnung.

STANDARD: Ist es nicht manchmal schwer, zur Kirche zu stehen? Ich nenne die Missbrauchsfälle und den Umgang mit ihnen oder den Limburger Bischof, der Millionen für seinen Bischofssitz ausgibt.

Gerhard Höberth: Es ist nicht immer einfach. Aber ich stehe in erster Linie zu Christus und zum Evangelium. All diese schlimmen Dinge, an denen ich leide, können mir die Freude am inneren geistlichen Wesen der Kirche nicht verderben. Es gibt aber Dinge, da gibt es keine Entschuldigung.

Colleen Höberth: Die Missbrauchsfälle sind unentschuldbar.

Gerhard Höberth: Das stimmt. Wobei ich schon auch der Meinung bin, dass da auch bisschen eine Doppelmoral herrscht, wenn ich daran denke, was da etwa im Heim am Wilhelminenberg geschehen ist. Aber ich gebe zu: Die Kirche hat da einen höheren Anspruch, dem sie dann nicht genügt.

Colleen Höberth: Eben. Ein Priester mit dieser Verantwortung, das geht nicht. Nein, da kann man nichts verteidigen. Aber so Leute wie den Limburger Bischof gibt es auch in anderen Kirchen. Fehlverhalten gibt es in jeder Kirche. Was soll ich sagen? Ich habe trotzdem meine Gewissheit, dass ich von Gott geliebt werde. Die wird dadurch nicht erschüttert.

STANDARD: Wird es durch den neuen Papst einen Kurswechsel geben?

Gerhard Höberth: Daran, dass er ins Gästehaus gezogen ist, würde ich noch nichts festmachen. Die Wohnung dort soll nur unwesentlich kleiner sein. Aber insgesamt gibt es sehr hoffnungsvolle Zeichen. Allerdings: Überraschung! Der Papst ist katholisch. Das heißt, es gibt Dinge, die sich wohl nicht ändern werden, solange die römisch-katholische Kirche römisch-katholisch ist. Aber ein erfrischender, neuer Zugang tut gut.

Colleen Höberth: Das Einzige, was ich mitbekommen habe, war eben, dass er im Gästehaus geblieben ist. Aber er scheint sehr aufgeschlossen zu sein.

STANDARD: Wie sieht es mit Ihren Kindern aus? Haben die auch ihren Glauben gefunden?

Gerhard Höberth: Es ist ganz unterschiedlich.

Colleen Höberth: Die drei anderen sind momentan damit nicht aktiv beschäftigt. Aber wenn ich an mich denke, ich habe viele Jahre auch ganz anders, ohne Glauben, gelebt, bis ich eine völlige Neuorientierung erlebt habe.

STANDARD: Wenn sie nicht glauben, ist das kein Problem?

Colleen Höberth: Was heißt Problem? Ich wünsche es ihnen. Nur weil sie nicht am Sonntag in die Kirche gehen, heißt das ja nicht, dass sie sich nicht mit dem Thema auseinandersetzen.

Gerhard Höberth: Sie sind erwachsen. Es ist ihr Leben. Wir sind glücklich und zufrieden mit dem bisherigen Weg unserer Kinder.

STANDARD: Rein hypothetisch gefragt: Sollten Sie zwei sich nicht mehr verstehen, was ist dann?

Gerhard Höberth: Bei einem offiziell verheirateten Priester hat das natürlich Auswirkungen auf das Pfarrleben. Ich habe ja in der evangelischen Kirche schon gesehen, wie sich teilweise auch die Gemeinde spaltet. Die eine Hälfte hilft zur Frau ...

Colleen Höberth: ... die andere zum Mann. Bei Geistlichen ist das besonders tragisch. Rosenkriege und so.

Gerhard Höberth: Ich glaube, es verunmöglicht nicht, weiter im Amt zu bleiben. Eine neue Frau zu ehelichen geht natürlich nicht. Auch wenn meine Frau vor mir stirbt, darf ich das nicht. Da gilt die Priesterweihe als Ehehindernis. Da ist Schluss.

Colleen Höberth: Ha! Das war's: Take her or leave it!

(Peter Mayr, DER STANDARD, 2.11.2013)