Übersicht über wachsende Stadtgebiete in Wien.

Grafik: Der Standard

Gut, um die Unterkunft hat sich Korbinian Lechner bei seinem Austauschsemester in Wien vorab einfach zu wenig gekümmert. "Ich bin einem Studentenwohnheim auf der anderen Seite der Donau zugeteilt worden", erinnert sich der 34-jährige Münchner an seine erste Begegnung mit Wien. "Ich hab auf ein Kürbisfeld geblickt, war gefühlsmäßig auf dem Land." Die Verbindung mit öffentlichen Verkehrsmitteln ließ zu wünschen übrig. "Die nächtlichen Wanderungen zurück habe ich nur bedingt genossen."

Elf Jahre später ist das eine Kürbisfeld am Rande von Wien zwar noch immer da, aber der Landschaftsarchitekt, der seit 2005 in Wien lebt, hat selbst schon den Bau diverser Wohn- und Schulprojekte in Transdanubien mitbetreut. In den nächsten Jahren könnte sich die durchaus teilweise ländlich anmutende Gegend auf der anderen Seite der Donau dramatisch verändern.

Platz für die Neuen

Denn Wien wächst jährlich um 25.000 Menschen, in zehn Jahren wird sich die Stadt um die Einwohnerzahl von Graz vergrößert haben. Und vor allem in Transdanubien, also in Floridsdorf und in der Donaustadt, finden die Stadtplaner den Platz, der für die neuen Bewohner notwendig wird. Neben der Seestadt Aspern werden von der Stadt Wien gerade konkrete Wohnprojekte rund um das Gaswerk Leopoldau und in Donaufeld verfolgt (siehe Grafik).

"Die Verdichtung innerhalb der Stadt ist immer besser, aber irgendwann ist auch in Wien das Ende der Fahnenstange erreicht", sagt Lechner. Die Herausforderung sei, der wachsenden Stadt - und da ist Wien kein Einzelfall - einen Raum zum Atmen zu geben, der Mut zur Lücke. "Nur weil Raumbedarf da ist, muss man nicht alles zubetonieren."

Anrainer in Planung miteinbinden

Die Frage ist, inwieweit die Politik gewachsene Strukturen in den geplanten neuen Stadtteilen beachtet und Anrainer in die Planung mit einbindet, sagt die Architektin und Stadtforscherin Isabel Glogar. "Wird darauf nicht Rücksicht genommen, entwickeln sich Inseln." Vor allem bei der Seestadt Aspern hat die 34-Jährige "das Gefühl, dass das Projekt zwar gut vermarktet, an bestehende Strukturen aber nicht angeknüpft wird". Nur bei etwa 200 Wohneinheiten sei derzeit geplant, dass Interessengruppen partizipativ mitplanen können.

Andere Architekten kritisieren, dass Transdanubien zur Schlafstadt verkommmen könnte, wenn es nicht gelinge, Identität innerhalb der Bevölkerung sowie Infrastruktur samt Grünräumen zu schaffen. Namentlich will sich keiner äußern, in den nächsten Jahren werden schließlich Aufträge um hunderte Millionen Euro ausgeschrieben.

Vergleicht Glogar die Seiten Wiens dies- und jenseits der Donau, sagt sie: "Die Stadt ist schon jetzt zweigeteilt. Und diese Teilung wird sich durch das Bevölkerungswachstum in den nächsten Jahren verstärken." Diese Ansicht vertritt auch Lechner. "Die Menschen, die in Floridsdorf oder der Donaustadt wohnen, sagen, dass sie nach Wien hinüberfahren."

Keine Citybike-Stationen

Schon jetzt sind laut Glogar in im Norden Wiens Schritte verabsäumt worden, die Gegend mehr in die Stadt zu holen. Noch existieren nur ganz vage Pläne zum Ausbau der U-Bahn-Linie 6. Und in ganz Transdanubien gibt es keine einzige Citybike-Station. "Die soziale Infrastruktur muss gestärkt werden", sagt Glogar. Damit meint sie Einrichtungen wie Schulen, Kindergärten, Parks, Freizeiteinrichtungen und offene Räume. Der Großteil der kulturellen Einrichtungen würde sich im - wie Glogar sagt - "historischen Bereich Wiens" befinden, also diesseits der Donau. "Da muss ein Umdenken stattfinden."

Wie Wien in 50 Jahren aussehen wird, weiß keiner. Sicher ist nur, dass das Bild, das Touristen von Wien haben, eines der Innenstadtbezirke ist. "Die Stadt muss für die Bewohner aber auch das Bild in den Randbezirken mit einschließen", sagt Glogar. "Wien wird für die Bewohner definitiv ein anderes Wien werden." (David Krutzler, DER STANDARD, 31.10.2013)