Bis zum 15. Lebensjahr sind Unfälle in Österreich die häufigste Todesursache.

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Als Mutter oder Vater macht man sich so seine Gedanken. Wie viel Sicherheit brauchen Kinder eigentlich, und wie kann man sie am besten vor Gefahren beschützen? Die absolute Sicherheit gibt es nicht, das ist klar. Aber wie gehen Eltern damit um, wenn es einmal zum Unfall kommt? Werden die Kinder danach in Watte gepackt? Und ist das überhaupt sinnvoll?

"Einen Unfall hatten wir schon zu Hause", erzählt Andrea Müller*, Mutter von zwei Mädchen. "Meine ältere Tochter hat mit einem Jahr eine Flasche mit acetonfreiem Nagellackentferner hinuntergeschmissen. Der Deckel hat einen Sprung bekommen und sie hat davon getrunken." Damals sind die Eltern sofort mit der Tochter ins Spital gefahren. "Es war zum Glück nichts, aber die Vorwürfe, die man sich macht... Danach haben wir wirklich alles kindersicher verstaut".

Häufigste Todesursache bis 15

Unfälle passieren einfach, das wissen wir. Ab dem 1. Lebensjahr sind sie das größte Gesundheitsrisiko von Kindern und Jugendlichen. Bis zum 15. Lebensjahr sind sie gar die häufigste Todesursache. Zu diesem Ergebnis kam kürzlich die KiGGS-Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland, die repräsentativ für die Unter-18-Jährigen des Nachbarlandes ist.

Insgesamt 159.000 Unfälle gab es in Österreich im Jahr 2011 in der Altersgruppe der Null- bis 14-Jährigen, so die Unfallstatistik des Kuratoriums für Verkehrssicherheit (KFV). Knapp die Hälfte davon passieren im Haushalt oder in der Freizeit. Die restlichen Unfälle ereignen sich zu jeweils einem Viertel entweder in der Schule oder beim Sport. Nur zwei Prozent passieren im Straßenverkehr.

Leben ohne Versicherung

Was viele nicht wissen: Kleinkinder sind nicht unfallversichert. Die staatliche Unfallversicherung (AUVA) kommt frühestens im letzten Kindergartenjahr vor dem Schuleintritt zum Tragen. Versichert sind aber nur Unfälle, die in der Schule bzw. im Kindergarten oder am Hin- bzw. Heimweg passieren. Problematisch wird es also, wenn zu Hause oder in der Freizeit etwas passiert. Wegen dieser Lücke sei der Abschluss einer privaten Unfallversicherung eine Überlegung wert, meint Andrea Morawetz, Pressesprecherin des Vereins für Konsumenteninformation: „Die gesetzliche Unfallversicherung übernimmt zwar die medizinische Erstversorgung bei Freizeitunfällen. Problematisch wird es aber, wenn es etwa länger dauernde Folgeschäden gibt und das Kind unter Umständen nicht arbeiten kann."

Verkehrssicherheit

Den Eltern bereitet aber vor allem die Verkehrssicherheit Kopfzerbrechen. Therese Kellner*, Mutter einer fünf Monate alten Tochter: "Sicherheit im Straßenverkehr ist ein wichtiges Thema. Ich mache mir jetzt schon Gedanken darüber, wie das später sein könnte." Aus gutem Grund: In Österreich verletzten sich knapp 3.000 Kinder 2012 im Straßenverkehr, acht Kinder sogar tödlich. Sobald Kinder aktiv am Verkehrsgeschehen teilnehmen (also ab etwa sechs Jahren als Fußgänger), steigt das Unfallrisiko. Jedes dritte im Straßenverkehr verletzte Kind kommt als Beifahrer zu Schaden, fast jedes fünfte beim Überqueren einer Kreuzung.

Doch wie reagieren Eltern auf solche Zahlen, lassen sie sich davon verunsichern? "Ich fange erst gar nicht an, darüber nachzudenken, sonst würde ich nicht mehr aufhören und da wird man wahnsinnig", sagt die zweifache Mutter Andrea Müller*. Doch auch wenn sich die Eltern selbst von Unfallstatistiken, Medienberichten oder Werbung nicht verunsichern lassen, kann das bei Kindern sehr wohl der Fall sein. "Meine fünfeinhalbjährige Tochter macht sich viele Gedanken darüber", erzählt Andrea Müller. "Die Themen Tod und Sterben beschäftigen sie."

Mehr Verkehr, weniger Zivilcourage?

Viele Eltern treffen Sicherheitsmaßnahmen in Bezug auf den Schulweg. „Als Kinder sind wir alleine in die Schule gegangen, heute würde das bei meinen Kindern nicht in Frage kommen", sagt Andrea Müller. Auch Elisabeth Neubauer*, Mutter einer Achtjährigen, begleitet ihre Tochter stets selbst in die Schule. "Den Weg alleine in die Schule traue ich ihr erst mit zwölf Jahren zu. Ich muss sicher sein, dass sie mit dem Straßenverkehr umgehen kann und bei etwaigen Anpöbeleien auf der Straße weiß, was sie tun soll." In diesem Alter werde sie ihre Tochter auch einmal alleine zu Hause lassen. "Mir ist bewusst, dass ich also vor 30 Jahren als Kind in ihrem Alter mehr Freiraum hatte", sagt sie. "Aber der Straßenverkehr in Wien hat zugenommen, gleichzeitig erkenne ich sinkende Zivilcourage."

Dass es auch anders sein kann, zeigt das Beispiel von Iris Wallner*, Mutter eines sechsjährigen Buben und einer zweijährigen Tochter: "Da wir auf dem Land leben, fallen hier viele Dinge für uns weg. Der Weg zum Kindergarten und zur Schule ist so lang, dass wir unseren Großen mit dem Auto hinbringen müssen, er muss also nicht alleine unterwegs sein." Im Alltag hätten die Kinder viel Freiheit. Sie könnten selbst die Haustür aufmachen und hinausgehen, es sei nicht immer jemand dabei, der aufpasse. Vereinbart sei aber ein Bewegungsradius in Rufweite. "Meine Erfahrung ist, dass Kinder, wenn sie diese Freiheit haben, sich auch schrittweise an 'Gefahren' annähern. Als unser Großer Radfahren lernte, wollte er gar nicht weiter wegfahren vom Haus. Erst als er merkte, dass er es gut kann, wurde sein Radius größer. Wir sind dann gemeinsam diese Strecke abgefahren, haben Problemstellen besprochen und jetzt darf er mit dem Rad auch problemlos alleine weiter weg vom Haus." (Sonja Tautermann, derStandard.at, 29.10.2013)

*Name von der Redaktion geändert