Das Personalgeschiebe - wer wird wo Minister - hat begonnen, und das kommt in der Öffentlichkeit nicht besonders gut an. Inhalte sollten doch bei den Koalitionsverhandlungen im Vordergrund stehen, oder? Schon, aber um Parteichef (und in der Folge auch Kanzler oder Vizekanzler) bleiben und halbwegs agieren zu können, muss man zuerst Minister haben, die a) mit den verschiedenen Machtzentren der Partei - Bünde, Gewerkschaft, Länder - abgestimmt sind, und die b) auch manchmal tun, was man sagt. Das ist überall so, nicht nur in Österreichs politischem System. Sogar nordkoreanische "geliebte Führer" müssen ein wenig auf Strömungen innerhalb der Führungseliten Rücksicht nehmen.

Deshalb sind Personalüberlegungen legitim. Notwendig wäre es allerdings, wenn bei dem ganzen innerparteilichen und regierungsinternen Marktgefeilsche doch eine Idee von einem überwölbenden Regierungsziel im Hintergrund stünde. Dieses Ziel ist relativ einfach zu definieren: Der ziemlich erfolgreiche Staat Österreich muss seine wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit erhalten und verbessern, damit der ziemlich einzigartige heimische Sozialstaat/Wohlstand erhalten werden kann, damit beim nächsten Mal nicht die ziemlich verantwortungslose und inkompetente FPÖ stärkste Partei wird.

Von da her ergeben sich (auch) personelle Notwendigkeiten. Das Unglück bei der jetzigen Familienaufstellung ist, dass offenbar nicht daran gedacht wird, erstklassige Kräfte von außerhalb des bisherigen Personenkreises einzusetzen. Das gilt vor allem für den alles entscheidenden Wirtschafts- und Finanzbereich. Hier droht akute Gefahr durch die Hypo Alpe Adria (deren Katastrophe, man kann es nicht oft genug sagen, von genau jenem Rechtspopulismus herbeigeführt wurde, den so viele Leute so toll finden). Hier wird ein Finanzminister mit Härte, Verhandlungskompetenz und einer gewissen Fachkenntnis benötigt. Wenn ein mögliches Budgetdesaster durch die Hypo bewältigt ist, geht es darum, eine Steuerreform auf die Beine zu stellen, die einerseits die Mittelschicht entlastet, andererseits nicht Leistungswillen abwürgt. Jeder entscheide für sich, ob Michael Spindelegger, der überlegt, Finanzminister zu werden, diesem Anforderungsprofil - Kompetenz in einer dramatischen Sanierungssituation und Reformgeschick - entspricht.

Das zweite entscheidende Ressort ist das Sozialministerium. Rudolf Hundstorfer hat darauf eine Jobgarantie (wenn er nicht - unwahrscheinlicherweise - gleich nach Wien wechselt). Er ist zweifelsfrei kompetent, allerdings ein klassischer Vertreter der "Regt's euch net auf, bei den Pensionen muss man nichts machen"-Schule. Kann er von dieser Haltung abgehen?

Eine Querschnittsmaterie für Finanz-, Wirtschafts- und Sozialministerium ist das Verhältnis zwischen Teuerung, Stagnation der Lohneinkommen und hoher Steuer- und Abgabenbelastung, zusammengefasst in dem weitverbreiteten Gefühl in der Bevölkerung: "Wir können uns das Leben immer weniger leisten." Luft bei Steuern und Abgaben kann u. a. durch Kürzung sinnloser Förderungen erreicht werden; der rasant steigenden Zahl von kleinen Selbstständigen müsste durch Bürokratieabbau das Arbeiten erleichtert werden. Da müsste ein neuer Wirtschaftsminister mehr tun als Reinhold Mitterlehner bisher.

Unsere Wettbewerbsfähigkeit hängt u. a. davon ab, dass a) künftig Jugendliche in den Arbeitsprozess kommen, die lesen, schreiben und rechnen können (etwa 20 Prozent der 15-Jährigen können das derzeit nicht), und b) unsere Universitäten in den internationalen Rankings besser vertreten sind. Karlheinz Töchterle hat bei Letzterem wenig bewegt, Gabriele Heinisch-Hosek, im Gespräch fürs Unterrichtsressort, hat wenigstens als Beamtenministerin gezeigt, dass sie gewillt ist, sich nicht alles von der Lehrergewerkschaft gefallen zu lassen. Jedenfalls benötigen mindestens die Schulen wohl eine große Reformerpersönlichkeit.

Die Verbitterung der Bevölkerung über die Politik an sich geht zu einem großen Teil auf die Nachlässigkeit zurück, mit der die Justiz anfangs (jetzt ist es besser) die Glücksritterpartie (Grasser als Synonym) geschont hat. Aber auch hier muss das Vertrauen wiedergewonnen werden. Die Gerüchte, man könnte Maria Fekter oder den Verteidigungsminister Gerald Klug in dieses demokratiepolitisch heikle und intellektuell anspruchsvolle Ressort entsenden, sind hoffentlich nur Spielmaterial. Der vor kurzem pensionierte Chef der Korruptionsstaatsanwaltschaft, Walter Geyer, wäre da eine Möglichkeit, allerdings war er einmal bei den Grünen.

Vielleicht kommt es zu wenigstens ein bis zwei personellen Besetzungen, die diesen wichtigsten Zielvorgaben angemessen sind. (Hans Rauscher, derStandard.at, 27.10.2013)