Am 29. Oktober 1888 legte Kaiser Wilhelm II. den Schlussstein für den ersten Bauabschnitt. Für den Bau verloren einst tausende Arbeiter ihre Wohnungen.

Backsteinbauten, so weit das Auge reicht: Wer zum ersten Mal die Hamburger Speicherstadt besucht, ist im Normalfall schwer ergriffen von der Architektur, vor allem aber von der schieren Größe der Blöcke mit meist fünf bis sieben, manchmal auch bis zu zehn "Böden", wie die Etagen hier genannt werden. Am 29. Oktober 1888 wurde die Speicherstadt von Kaiser Wilhelm II. feierlich eröffnet. Er legte damals, also vor genau 125 Jahren, den Schlussstein für den ersten Bauabschnitt.

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Die Geschichte der Speicherstadt beginnt freilich noch ein wenig früher. 1871, mit der Gründung des Deutschen Reiches, wurde Hamburg Bundesstaat. Zehn Jahre später wurde ein Zollanschlussabkommen geschlossen, das die Aufnahme der "freien und Hansestadt" in den Deutschen Zollverein besiegelte. Die Kaufleute pochten jedoch auf ihr Privileg, Importe weiterhin zollfrei umschlagen, lagern und veredeln zu können. Ein Kompromiss wurde gefunden – in Form eines Freihafengebiets, das vom Anschluss an den Zollverein ausgenommen war. Die Lager der Kaufleute, die damals noch über die ganze Stadt verteilt waren, mussten nun aber innerhalb dieses Freihafengebiets angesiedelt werden.

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Und weil Hamburg schon 1888 dem Deutschen Zollverein beitreten sollte, musste alles – nicht nur für damalige Verhältnisse – sehr schnell gehen. Ein ganzer Stadtteil wurde innerhalb weniger Jahre hochgezogen – und zwar dort, wo sich hunderte Wohnhäuser für Hafenarbeiter befanden: auf den Brookinseln südlich der Altstadt. Rund 16.000, nach manchen Quellen auch bis zu 18.000 Menschen, wurden gezwungenermaßen abgesiedelt, ihre großteils noch aus dem 17. und 18. Jahrhundert stammenden Wohnhäuser abgerissen. Unterstützung bei der Suche nach einer neuen Bleibe erhielten sie nur sehr wenig. Im Speicherstadtmuseum, das 1995 gegründet wurde und sich seit 2011 im Block L befindet, weist man selbstkritisch darauf hin.

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1883 wurde mit der Errichtung der ersten Speicher begonnen. Die Bauleitung hatten der Oberingenieur der Hamburger Baudeputation, Franz Andreas Meyer, sowie Wasserbaudirektor Christian Nehls und Baudirektor Carl Johann Christian Zimmermann. Ihnen zur Seite stand ein Team aus mehreren Dutzend Architekten und Ingenieuren. Architektonisch folgte man der "Hannoverschen Schule" mit ihren neugotischen Gestaltungselementen.

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1898, zehn Jahre nach des Kaisers Schlusssteinlegung beim ersten Abschnitt, war das Bauprojekt zu zwei Dritteln fertiggestellt. Die Speicherstadt war damals der modernste Lagerhauskomplex der Welt und quasi Duty-free-Paradies für Kaufleute. Die weiteren Bauarbeiten im östlichen Teil konnten noch vor Beginn des Ersten Weltkriegs 1914 beendet werden. Nicht mehr gebaut wurden allerdings die Blöcke Y und Z.

Bauherr war die Hamburger Freihafen-Lagerhaus-Gesellschaft (HFLG), eine Aktiengesellschaft. Die Stadt stellte den Grund zur Verfügung, finanziert wurde der Bau von der Norddeutschen Bank um insgesamt neun Millionen Reichsmark. Die Dividenden der HFLG flossen in einen Ankaufsfonds der Stadt, mit dem diese der Bank sukzessive die Anteile an der Speicherstadt abkaufte. Ab 1927 war die Stadt Hamburg Alleinaktionär.

Im Zweiten Weltkrieg wurde rund die Hälfte der Bausubstanz durch alliierte Bombenangriffe zerstört, später aber unter Verantwortung des Architekten Werner Kallmorgen in weiten Teilen originalgetreu wiederaufgebaut.

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Aus der HFLG ging die Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA) hervor, die heute in der Speicherstadt 300.000 Quadratmeter an Lagerflächen verwaltet. 150.000 davon wurden bereits grundsaniert. Die Mietpreise liegen zwischen 15 und 22 Euro pro Quadratmeter.

Seit 1991 steht die Speicherstadt unter Denkmalschutz. Neben Museen wie dem bereits erwähnten Speicherstadtmuseum und dem Maritimen Museum (Bild), dem Zollmuseum und dem Gewürzmuseum und anderen Attraktionen wie der Modellbahnanlage "Miniaturwunderland" sind heute ...

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... mehr als 50 Teppichhändler in den Lagerobjekten mit oft bis zu zehn Böden eingemietet. In der Blütezeit sollen es mehr als 200 gewesen sein. Die an den Hausgiebeln montierten Seilwinden eignen sich auch heute noch perfekt für ihre Zwecke.

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Dass die Speicherstadt heute allerdings nicht mehr am südlichen Rand der Hamburger Innenstadt liegt, sondern in deren Mitte gerückt ist, hat mit einem anderen Großbauprojekt zu tun: Unmittelbar südlich der voluminösen Backsteinbauten wird seit nunmehr auch schon zwölf Jahren an der "HafenCity" gebaut. Deren Wahrzeichen, die von Jahr zu Jahr teurer werdende "Elbphilharmonie" (auf dem rechten Bild im Hintergrund zu sehen), steht auf dem völlig entkernten ehemaligen "Kaispeicher A" der Speicherstadt. So mancher Hamburger witzelt schon, dass sie auch in 125 Jahren nicht fertig werden wird.  (Martin Putschögl, derStandard.at, 29.10.2013)

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