Über den Tourismusverkehr in Weimar heißt es, manche Touristengruppen, zum Beispiel die japanischen, bestehen darauf, nach der Ankunft sofort das Goethehaus zu besuchen. Andere, wie zum Beispiel die amerikanischen, wollen stante pede den nächsten Bus nach Buchenwald nehmen. Offen bleibt die Frage, ob diese beiden Interessentengruppen auch den Weg zum anderen Ort finden werden. Die Antwort ist wohl ein resigniertes Nein.
Vor mehr als 60 Jahren kehrte der Literaturwissenschafter Richard Alewyn aus dem Exil nach Deutschland zurück und sprach eine Warnung aus, die berühmt wurde und noch immer gültig ist. Er sagte: "Zwischen uns und Weimar liegt Buchenwald." Was meinte er damit? Was ist Weimar, was ist Buchenwald?
Weimar war Ansätze, Versuche, großartige Denkversuche und schillernde Sprachbrillanz, nie wieder so. Weimar war Aufklärung und Gottvertrauen in einem, Dichtung und Philosophie auf höchster Ebene; Entwicklung statt Revolution, wie es auch die gescheiterte Republik versprach, die sich nach dieser Glanzperiode des Humanismus und ihrer Stadt benannte. Es ist eine grundwassertiefe Kulturvergangenheit, wie Nike Wagner es einmal nannte, die die Stadt noch heute mit geistiger Energie, man möchte sagen: mit geistiger Elektrizität versorgt. Weimar, das war, das ist Lebensbejahung durch Dichtung, Kunst, Kultur.
Und Buchenwald? War Lebensvernichtung und Lebensverneinung. - Ist aber doch vorbei, meinen die einen. Imre Kertész, der frühere Häftling von Auschwitz und Buchenwald, sagte über den Anfang seiner schriftstellerischen Tätigkeit: "Von der Literatur und von dem Geist, den Ideen, die mit diesem Begriff verbunden sind, trennte mich eine unübertretbare Grenzlinie, und diese Grenzlinie trug den Namen Auschwitz. Wenn jemand über Auschwitz schreibt, muss ihm klar sein, dass Auschwitz die Literatur - wenigstens in einem gewissen Sinn - aufhebt." Der Nobelpreisträger für Literatur in seiner Nobelpreisrede von 2002 sagt hier, das, was er schreibt, mache die Literatur ungültig. Der Widerspruch liegt auf der Hand. "In einem gewissen Sinn." In welchem Sinne? Zum Beispiel im Sinne von der Verharmlosung Buchenwalds zugunsten der Verherrlichung Weimars? Weimar sagt: Wir sind ein Kulturvolk. Buchenwald sagt: Wir waren Menschenfresser.
Ich bin einer dieser Einzelfälle
Der Impuls, Buchenwald zu verharmlosen, sozusagen in seine Schranken zu weisen, fand schon in DDR-Zeiten statt. Da gab es den Mythos der Befreiung des KZs durch seine tapferen kommunistischen Häftlinge, der im Geschichtsbewusstsein der Zeitgenossen den Platz einnahm, der eigentlich der Wahrnehmung des großen Verbrechens und seines Widerspruchs zum humanistischen Ideal hätte dienen sollen. Es gab den beliebten Film und das Buch Nackt unter Wölfen, in dem die Genossen ein jüdisches Kind retten. (Nicht zur Sprache kommt, dass jede Rettung ein anderes Opfer kostete, denn die Quote musste ja erfüllt werden.) Im Westen gab es später auch einen solchen "feel-good movie", den italienischen La vita è bella (Das Leben ist schön), mit ähnlicher Tendenz, wo ein Vater sein Kind im KZ versteckt und rettet, während er selbst sich den Mördern ausliefert. Auch er ein großer Erfolg bei den Zuschauern, trotz vieler Unglaubwürdigkeiten. Solche Filme und Bücher dienten der einschläfernden Beruhigung des Publikums. Die Rettung des einen hilft über den Tod der anderen hinweg. Sie symbolisiert die Vernichtung der vielen, um sie gleichzeitig zu verwischen.
Ein berühmtes jüdisches Sprichwort lautet: "Wer ein Leben rettet, rettet die ganze Welt." Es ist ein schöner Satz, ein poetischer Satz, er lässt sich genießen, doch mit dem Massenmord ist er unvereinbar. Als die Amerikaner das Lager Buchenwald befreiten, gab es um die 900 verhungernde, vor allem jüdische Kinder, in Baracken zusammengepfercht. Sicher haben viele tapfere Menschen allerorts gefährdete Kinder gerettet, und sie verdienen es, dass wir sie ehren und feiern, aber eine Welt, in der ein Kind am Leben bleibt und 999 Kinder mit voller Absicht ermordet werden, eine solche Welt ist nicht "gerettet" in dem spirituellen Sinn unseres Spruchs. Ich selbst bin einer dieser Einzelfälle, die nichts widerlegen. Einmal war ich stolz auf meine Klugheit und den Triumph des Überlebens: Später schien es mir, als hätte ich durch eine lächerliche Lüge die Vergasung geschwänzt wie eine unliebsame Schulklasse, während meine Altersgenossinnen aus Theresienstadt im Sommer 1944 in Birkenau erstickten.
Der wohl am meisten verehrte Versuch, das humanistische Versprechen Weimar zu erfüllen, ist Goethes Glanzstück Iphigenie auf Tauris. In den Augen seiner Bewunderer hat der Dichter die griechische Vorlage des Euripides erhöht, idealisiert und in die aufgeklärte Neuzeit übernommen. Seine Kritiker hingegen meinen, er habe es verwässert, wenn auch in makellosem klassischem Deutsch. Das Stück handelt, wie Sie wissen, von Menschenopfern. Ein Mann, der seine Mutter erschlagen hat, leidet an den Gewissensbissen (in die sich die Furien des Altertums verwandelt haben) und wird davon befreit durch eine Priesterin, die ihrer Aufgabe, Ritualmorde zu begehen, erfolgreich jahrelang ausweicht. Die Analogie drängt sich auf und damit auch der Grund, warum gerade dieses Drama nach dem Zweiten Weltkrieg einerseits eine Ikone des deutschen Literaturkanons wurde und andererseits mit seinem unverbesserlichen Optimismus die KZ-Überlebenden, und nicht nur sie, zur Weißglut bringen kann.
Erich Heller, der amerikanische Germanist und Kafka-Forscher, fragte lakonisch in Bezug auf Iphigenies Heilung des traumatisierten Orestes: "Wie heilt man einen Muttermord?" Ich teile die Iphigenie-Skepsis. Die Schlussszene des Dramas, wo die Wahrheit und die höheren Ideale siegen, erinnert mich, amerikanische Überlebende des Holocaust, die ich bin, an die Schlussszene von jenem Höhepunkt des amerikanischen Edelkitsches, dem Film Casablanca. Da lässt Humphrey Bogart als Rick Blaine seine geliebte Ingrid Bergman alias Ilsa Lund mit dem tschechischen Untergrundführer László nach Amerika fliegen, nachdem dieser durch das Absingen der Marseillaise die abtrünnigen Franzosen wieder zu Patrioten gemacht und damit praktisch den Zweiten Weltkrieg gewonnen hat. Bogart ist ganz der König Thoas der letzten Szene. Beide, Rick und Thoas, entsagen der Geliebten und bleiben um der guten Sache willen mit ihrem guten Gewissen in ihrem Junggesellendasein zurück. Der Vergleich scheint zynisch, aber er ist durchführbar.
Natürlich wusste man auch in Goethes Weimar, dass die Wirklichkeit und die Wahrheit zweierlei sind, Letztere ein Ideal, Erstere Armut und Zwang, und dass sich die ästhetische Erziehung manchmal in der elenden Wirklichkeit verheddert. Im März 1779 war der Dichter ausgerechnet zur Rekrutenaushebung, also einer Zwangsmaßnahme, in die Ortschaft Apolda gekommen, wo er sich jedoch vor allem dem Manuskript von Iphigenie auf Tauris widmete. Die Wirklichkeit, einschließlich des Elends der Bevölkerung, widerte ihn an. Er schrieb an Charlotte von Stein: "Hier ist ein bös Nest und lärmig, und ich bin aus aller Stimmung. Kinder und Hunde, alles lärmt durcheinander ... Hier will das Drama gar nicht fort, es ist verflucht, der König von Tauris soll reden, als wenn kein Strumpfwürker in Apolde hungerte."
Ist das die Sympathie eines Mitglieds der herrschenden Klasse oder eher die Irritation des Schriftstellers wegen der Ablenkung? Der König von Tauris redete letztlich, wie er sollte, also gerührt und human und aufopfernd, und die hungernden Arbeiter, die lärmenden Kinder blieben in ihrem "bösen Nest" zurück, die Zwangsrekruten wurden ausgehoben, alle geschieden von der höheren Wahrheit des hehren Textes (damals noch Prosa, erst später in Blankvers verwandelt).
Und doch verschmilzt die Wahrheit in Goethes Iphigenie zur ethischen Forderung, wenn die Heldin ihrem Gastgeber die wahre Absicht der Griechen, die Insel zu verlassen, offenbart. Der Dichter hat diese aufklärerisch-pädagogische Intention seines dramatischen Gedichts nochmals betont, als er in ein Exemplar der Iphigenie den bekannten Satz schrieb: "Alle menschlichen Gebrechen / Sühnet reine Menschlichkeit."
Die Entlarvung eines falschen Humanismus, ja, auch auf höchster Ebene, ist oft ein Anliegen der Überlebenden von Buchenwald und Birkenau, dieser Schreckensorte mit den romantischen, naturfrommen Namen. Gerade weil sie so gut geschrieben, so schön gedichtet und auf ihre Weise einfach ein bezauberndes Beispiel der Weimarer Glanzzeit ist, wirkt Goethes Iphigenie als Reizobjekt auf diejenigen von uns, die die Grenzlinie von Buchenwald nach Weimar manchmal als einen elektrisch aufgeladenen Draht empfinden. Keiner hat den Widerspruch Buchenwald/Weimar schlagender dargestellt als Imre Kertész in seiner Erzählung Der Spurensucher. Ihn führe ich nochmals als unseren Kronzeugen an für das Dilemma.
Iphigenie in Buchenwald
Im Spurensucher kommt ein ungenannter früherer Häftling mit seiner Ehefrau auf Besuch nach Weimar. Sie diskutieren über das Ende von Goethes Drama, wo der König nicht nur der Rache, sondern auch der Liebe entsagt. Die Frau bewundert dieses Stück. "Er lässt sie gehen, ja, er beschenkt sie sogar noch dazu", sagt sie. Der Mann übt Kritik, indem er die Handlung so behandelt, als sei sie nicht Mythos und Dichtung, sondern als ginge es um eine realistische Berichterstattung. Er behauptet dementsprechend, es hätte sich in dieser letzten Szene nicht um Friede und Versöhnung gehandelt, alles hätte sich ganz anders zugetragen. "Wie denn?", will die Frau wissen. Und er erzählt oder erfindet nun, in kurzen Sätzen, was ich die "Iphigenie in Buchenwald'" nennen möchte, einen Gegenentwurf zu Goethes Vision: "Also: Das Kommando umzingelte die Männer, griff sie an, entwaffnete und fesselte sie. Dann vergewaltigten sie der Reihe nach die Priesterin vor den Augen der Männer; darauf schlachteten sie die Männer der Reihe nach vor den Augen der Priesterin. Danach blickten sie zum König: Dieser wartete noch so lange, bis er auf dem Antlitz der Priesterin die Apathie eines nicht mehr steigerungsfähigen Elends beobachtete; sodann winkte er gnädig, und seine Spezialtruppe gab am Ende auch der Frau den Gnadenstoß."
Dieser Ausdruck: "die Apathie eines nicht mehr steigerungsfähigen Elends" ist jenseits der Grenzlinie, von der Kertész in seiner Nobelpreisrede sprach, sie ist unerreichbar für die literarische Tragödie. (Am nächsten kam ihr vielleicht noch Euripides.) Die Schlagkraft dieser von Kertész so nüchtern und zügig erzählten Szene beruht natürlich auf der Folie, vor der sie stattfindet, die von der Ehefrau des Besuchers angesprochene Schlussszene von Goethes Theaterstück, dieses Hohelied des deutschen Humanismus, Iphigenies und Orestes' Abschied von Tauris, wo Thoas sie mit bewegenden Worten entlässt und die Furien gebannt sind, die Orestes aus guten Gründen verfolgt hatten, wo der Muttermord verziehen ist und der Brudermord nicht stattfindet. Die Iphigenie sei "gereimter Lug und Trug", sagt der ehemalige Häftling irritiert. (Mit "gereimt" meint er wohl gebundene Sprache, denn Goethes Iphigenie hat Verse, aber keine Reime.) Das Stück sei "sich als Klassik ausgebende geschwätzige, wertlose Romantik" lässt er seinen Protagonisten schimpfen. Die Radikalität des Ausdrucks modifiziert die Aussage allerdings insofern, als hier sein Protagonist und nicht der Autor selber spricht und dass es um die Irritation geht, die alles, was nach Wiedergutmachung riecht, bei solchen wie ihm (und eigentlich auch bei mir) hervorruft.
Das ist aber noch immer nicht das Ende von Kertész' Skizze einer alternativen Iphigenie. In einem Zeitsprung versetzt er seine Barbaren auf eine andere Ebene, in die Scheinwirklichkeit des Theaters, wo Goethes Stück gespielt wird. Statt der Handelnden sind sie zu Zuschauern geworden, statt zuzuschlagen genießen sie Kunst und Dichtung. "Ja, und dass ich es nicht vergesse", sagt Kertész' namenloser Held. "Am Abend gingen dann alle ins Theater, um sich anzuschauen, wie der König der Barbaren auf der Bühne Gnade walten lässt, während sie, in den Logen verborgen, sich kräftig ins Fäustchen lachten." Auschwitz, sagte Kertész in Stockholm, hebt die Literatur auf. Hier zeigt er, wie das zugeht. Das Drama trügt. Die Versöhnung kann nicht stattfinden, denn der Mord ist schon geschehen. Doch Dichtung kann auch etwas anderes sein als Deutung des Lebens und Mahnung zu besserem Benehmen. Sie wird erst dann zum Streitapfel, wenn der Dichter zu viel vom Gedicht verlangt. Sie kann aber auch einfach dazu dienen, das Leben erträglicher zu machen.
So ging es mir. Ich kam zu Goethe auf einem anderen Weg und mit Empfindungen, die dem Potenzial von Weimar, nämlich der Lebensbejahung, gemäßer sind. Da war zunächst der Aufruhr der Todesangst der Zwölfjährigen im Todeslager, der sich so zusammenfassen lässt: Ich hab ein Leben, es ist meins, es hat erst angefangen, nehmt es mir nicht, es gehört mir; was ihr sonst alles genommen habt, die Wohnung, aus der wir rausgeschmissen wurden, das Geld der Eltern in der Bank, mit dem wir vielleicht ein Visum hätten kaufen können, und alle unsere Sachen, auch der schöne Garten der Großeltern, könnt ihr alles haben, wer will das schon, könnt ihr behalten, is wurscht, aber dieses Leben, das geb ich nicht auf, ich hab Angst, ich will noch was lernen - und auch eine große Wut hab ich. Das war das Grundgefühl.
Dann als Dreizehnjährige im Spätherbst oder frühen Winter 1944 im Lager Groß-Rosen habe ich, halb verrückt vor Hunger, rohe Kartoffelschalen auf einem Ofen, den wir mit gestohlenem Holz heizten, gebraten und nur deshalb nicht roh gegessen, weil man sich daran leicht erbricht oder, umgekehrt, Durchfall bekommt. Aus dem Frieren kam man überhaupt nicht mehr heraus. Gerade wenn man sich auf seinem Strohsack ein wenig angewärmt hatte, musste man hinaus zum Appell. Doch da hatte ich endlich wieder ein Buch ergattert, ein altes, halb zerrissenes Schulbuch war es, ohne Deckel und mit fehlenden Seiten. Es war ein Schatz; mein bestes Buch je. Ich hatte einen Zugang zu der Welt da draußen gefunden. Es enthielt vor allem einen unvergesslichen Text, den Osterspaziergang aus dem Faust, dieses Gedicht, das schon im Auftakt Kälte und Gefangenschaft gleichsetzt. "Vom Eise befreit sind Strom und Bäche." Man muss Atem holen, um diesen Vers richtig zu sagen. Ich holte Atem. Es war der Wind eines großen Aufbruchs oder Ausbruchs, der mich direkt ansprach: "Aus dem hohlen finstern Tor / Dringt ein buntes Gewimmel hervor." Eine ausdrücklich nicht exklusiv christliche, nicht religiöse Auferstehung, an der ich teilhaben konnte. "Sie feiern die Auferstehung des Herrn, / Denn sie sind selber auferstanden": Goethes befreite Menge kommt aus "niedriger Häuser dumpfen Gemächern". Die Niederlage des alten Winters in seiner Schwäche, der sich "in rauhe Berge" zurückzieht, und der Rückzug der deutschen Armee (wir konnten die Geschoße hören) verschwommen mir, und seine "ohnmächtigen Schauer körnigen Eises" waren gleichbedeutend mit einem verlorenen Krieg, ein für uns gewonnenes Leben.
Dass Menschen aus einer "quetschenden Enge" ausbrechen, dass Freiheit und Wärme dasselbe sein können, das verstehe ich heute, weil ich es damals so gut verstanden habe. Ich habe mir diese berühmten Verse nicht wegen des berühmten Endes, "hier bin ich Mensch, hier darf ich's sein", angeeignet: Denn jedes zufriedene Jauchzen en masse hatte für mich den unliebsamen Beigeschmack einer ekstatischen Volksversammlung, die den Verstand verloren hat. Ich habe diese Verse sofort auswendig gekonnt wegen der Versprechen, die sie enthielten. Und die sie hielten. "Im Tale grünet Hoffnungsglück." Es war mein Tor zu Weimar.
Weimar und Buchenwald liegen geografisch so nahe beieinander, dass es uns vorkommen mag, als verlaufe der Zivilisationsbruch des letzten Jahrhunderts direkt hier, wie ein Graben. Weimar und Buchenwald sind Nachbarn, die Fußwege, die Buslinien, führen direkt hin und zurück. Doch auch das Gegenteil trifft zu: Weimar und Buchenwald sind separat, es führt kein Weg vom einen zum anderen. Doch wir, die sozusagen Zurückgebliebenen, die Überlebenden zusammen mit den Nachgeborenen, können es uns nicht leisten, die beiden Landschaften einfach zu trennen. Und so kehren wir zu unserer ursprünglichen Frage zurück: Wie kommt man nach Weimar? Wo ist der Übergang?
Wenn wir den Stolperstein Buchenwald zu überspringen suchen, dann wird uns der Ettersberg leicht zum Vulkan. Und Weimar wird zu Pompeji, das heißt, ein einstiger Ort der Kultur, der jetzt nur noch als Museum taugt. Alewyns zu Anfang zitierter Satz war eine Warnung und eine Aufforderung. Unsere Aufgabe ist es, offenen Auges von Buchenwald nach Weimar zu gelangen.
Zum Beispiel: Im Juli dieses Jahres sind hier in Weimar für 200 ermordete junge Sinti und Roma Gedenksteine eingeweiht worden, entlang der früheren Bahnstrecke zum Konzentrationslager. Für zweihundert Zigeunerkinder, wie man früher zu sagen pflegte, die im September 1944 nach Auschwitz und in den Tod transportiert wurden. Die Namen der Kinder sind von jungen Menschen aus dreißig Ländern in die Steine gemeißelt worden. Eine Antwort auf die Frage "Wie kommt man offenen Auges nach Weimar?" wäre also: entlang diesen Steinen. Das sind zweihundert offene Augenpaare. (Ruth Klüger, DER STANDARD, 25.10.2013)