"Es gibt ein Bedürfnis nach Heimat."

Foto: Der Standard/Cremer

"Wir sind nicht neutral, wir sind involviert. Wir schicken Soldaten in andere Länder, wir sind wirtschaftspolitisch verknüpft."

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"Es gibt ein Bedürfnis nach Heimat", sagt der Schriftsteller und Liedermacher Alfred Goubran. Warum nicht jeder wählen soll und Österreich nie neutral war, sagte er im Gespräch mit derStandard.at.

derStandard.at: Österreich hat am 29. September gewählt, alles deutet auf eine große Koalition hin. Warum gibt es so wenige Veränderungen in Österreich?

Goubran: Wir sind eine Demokratie, das Fundament ist aber nicht demokratisch gewählt. Die Parteiendemokratie wurde nie gewählt. Für den einzelnen Wähler gab es nie die Möglichkeit, sich gegen sie zu entscheiden. Die Parteienlandschaft kann man auch nicht durch eine Partei verändern.

derStandard.at: Was wäre die Alternative?

Goubran: Es gibt unzählige Alternativen. Es gibt so viele politische Systeme. Wenn man glaubt, das jetzige wäre das einzige und das beste, macht man es sich ziemlich einfach.

derStandard.at: Was ist für Sie die beste Alternative?

Goubran: Ich weiß es nicht, ich bin kein Politiker. Die Frage ist aber auch, wenn jeder wählen kann, welchen Wert das dann hat. Zuerst: Es gab etwa einmal das Zensuswahlrecht, nur wer Steuern gezahlt hat, durfte wählen.

derStandard.at: Es waren viele Menschen davon ausgeschlossen, Frauen gänzlich. Studenten und Pensionisten dürften auch nicht wählen.

Goubran: Man kann sicher regulieren, wer wählt. Es ist auch die Frage, ob jeder wählen will. Mich wundert, dass nicht verschiedene Modelle zur Verfügung stehen. Der jetzige Weg ist der falsche Weg, den muss man nicht hinnehmen.

derStandard.at: Es gibt viele politische Baustellen in Österreich: Bildung, Pensionen. Wo muss man ansetzen, um Österreich neu zu denken?

Goubran: Den größten Stillstand in Österreich verursachen die Parteien, weil sie dem Machterhalt verpflichtet sind. Das geht zulasten der Menschen und der Qualität. Die Parteien müssen sich zu einer Selbstreinigung entschließen. Das ist für sie die einzige Möglichkeit, sich langfristig zu halten.

derStandard.at: Am 26. Oktober wird alljährlich der Nationalfeiertag gefeiert - in Wien mit einem Riesenspektakel am Heldenplatz. Warum gehen dort so viele Menschen hin?

Goubran: Es gibt ein Bedürfnis nach Heimat. Das sind Restformen, die uns geblieben sind. Da geht man einfach gern hin und schaut, ob noch etwas davon vorhanden ist.

derStandard.at: Sind Sie Patriot?

Goubran: Nein. Patriotismus ist ein veraltetes Konzept. Das hat mit Nation und Nationalismus zu tun, das gibt es nicht mehr, deswegen gibt es auch keine Patrioten mehr.

derStandard.at: Eigentlich wird am Nationalfeiertag der Beschluss des Neutralitätsgesetzes gefeiert. In Ihrem Buch "Der gelernte Österreicher" schreiben Sie: "Österreich ist ein neutrales Land nicht als Ausdruck einer Unabhängigkeit, sondern als Bekenntnis absoluter Souveränitätslosigkeit." Wie meinen Sie das?

Goubran: Damit Neutralität ein Wert ist, muss man sich auch gegen etwas stellen. Österreich muss sich neutral gegenüber dem Westen und dem Osten verhalten. Niemand wird behaupten, dass sich Österreich gegenüber dem Westen in den letzten 50 Jahren neutral verhalten hat. Das Verhältnis war und ist völlig undistanziert, das ist eine reine Übernahme westlicher Glaubensinhalte.

derStandard.at: Ist die Neutralität heute überholt?

Goubran: Nein, nicht wenn es gelingt, eine wirklich neutrale Zone, wie in der Schweiz, herzustellen, eine Art Puffer zwischen den Kulturen. Österreich hätte das auch zwischen West und Ost sein können. Wir sind nicht neutral, wir sind involviert. Wir schicken Soldaten in andere Länder, wir sind wirtschaftspolitisch verknüpft.

derStandard.at: War Österreich je neutral?

Goubran: Es war ein Bekenntnis nach außen hin. Wir haben uns rausgehalten, nicht um unabhängig zu sein, sondern weil es bequem war. Und ob ich neutral bin, um unabhängig zu bleiben oder weil es gerade bequem ist, das macht einen großen Unterschied.

derStandard.at: Die Neutralität spielt im österreichischen Selbstverständnis eine wichtige Rolle. Gibt es auch eine nationale, österreichische Identität?

Goubran: Das Problem ist, dass Identität ein vor dem Nationalismus und den Nationalstaaten ein gelebter Wert war. Mit den Nationalstaaten wurden diese Werte zu – nicht gelebten - Zielvorstellungen. Wenn wir schauen, was für Wertvorstellungen geteilt werden wie Kultur oder Bildung, dann werden die im Alltag nicht gelebt. Was im Alltag zählt, ist Profit und Anpassung.

derStandard.at: Sie bezeichnen Österreich als "Klischeebild", als Österreich für die anderen: Wie schaut das aus?

Goubran: Es handelt sich um ein Bild von Österreich. Es gibt die Österreich-Betreiber, die diese Vorstellung bedienen. Wir haben die Idee von Österreich, dass wir eine Kulturnation sind. Im Alltag sind wir das nicht. Können die Leute Gedichte auswendig? Es ist etwas anderes, ob ein Volk Kultur hat oder ob es nur Kultur haben will. Aber gelebte Kultur, wie man sie heute teilweise noch in arabischen Ländern vorfindet, haben wir nicht.

derStandard.at: Können Sie etwas mit dem Heimatbegriff anfangen?

Goubran: Österreich ist ein Produkt, das den eigenen Leuten genauso wie dem Ausland verkauft wird. Für mich bedeutet Heimat Orte und Leute, die ich in Österreich kenne. Der Heimatbegriff, wie er gebraucht wird, ist ein reiner Exportbegriff.

derStandard.at: Sie schreiben von dem Widerspruch: "Das Land ist schön, die Gegend ist schrecklich."

Goubran: Das ist eine Grundbefindlichkeit des Österreichers. Die Landschaft, das Große, ist wunderbar, aber die Realität ist furchtbar. Man zieht das Fantastische dem Realen vor. Eigentlich ist man "ganz anders", aber im Moment leider nicht. Und dieser Moment ist die Realität.

derStandard.at: Thomas Bernhard schreibt in seinem Theaterstück "Heldenplatz": "Der Österreicher ist von Natur aus unglücklich, und ist er einmal glücklich, schämt er sich dessen und versteckt sein Glück in seiner Verzweiflung." Können Sie sich da wiederfinden?

Goubran: Nein. Das ist Thomas Bernhard, das ist nicht Österreich. Es gibt viele Menschen, die unglücklich sind. Gerade in Wien gibt es eine Lebensunlust und Frustration, das ist aber nicht österreichtypisch. Das sind Klischees.

derStandard.at: Gibt es für Sie eine Wiener Mentalität?

Goubran: Ja, ich bin aber nicht aus Wien, ich bin in Kärnten aufgewachsen. Es gibt eine Verbitterung in den Gesichtern, eine versteckte Aggression, die sich im Alltag immer wieder Wege sucht, um herauszukommen. Die Wiener Aggression ist unglaublich, die Art, wie sie gezeigt wird, ist in anderen Weltstädten undenkbar. Man kennt den anderen nicht, aber wie man hier blöd angeredet wird, das würde sich in New York niemand trauen. Das ist unwirklich. Wenn man der Aggression Paroli bietet, hört sie sofort auf. Es ist ein Versuchen, wie weit kann man gehen. Sehr böse, sehr aggressiv.

derStandard.at: Die Begriffe Patriotismus und Heimat werden in Österreicher von den rechten Parteien, vor allem von der FPÖ, besetzt: Wieso haben die Österreicher ein so gespaltenes Verhältnis zu ihrem Land?

Goubran: Ich finde es sehr schade. Es wirkt auch. Die FPÖ hat viele Themen, die bei den Menschen wirken, weil sie berechtigte Ängste und Bedürfnisse ansprechen. Die Großparteien haben es verabsäumt, auf bestimmte Bedürfnisse der Menschen zu reagieren. Daraus schlägt die FPÖ Kapital.

derStandard.at: Heinz-Christian Strache hat mit seinem Ausländerwahlkampf 20,5 Prozent der Stimmen erreicht. Wie bewerten Sie das?

Goubran: Es wählen nicht alle Leute die FPÖ, weil sie so rechts sind. Ich persönlich kenne keinen einzigen Nazi. Ich kenne sehr viele Menschen, die mit den Parteien unzufrieden sind. Viele FPÖ-Wähler sind keine Strache-Fans, sondern Protestwähler. (Marie-Theres Egyed, derStandard.at, 25.10.2013)