Bild nicht mehr verfügbar.

Ein, aus - Streiks in Österreich sind meist von kurzer Dauer.

Foto: Reuters/Suzanne Plunkett

Christian Koller: "Über lange Zeit waren wilde Streiks, also solche, die nicht von den Gewerkschaften unterstützt wurden, ein Spezifikum für Österreich."

Foto: Bangor University

Die Metaller sind erzürnt. Mit der Ankündigung, auf ein Arbeitszeitkonto mit langen Durchrechnungszeiträumen zu beharren, haben die Arbeitgeber aus Sicht der Gewerkschaft zusätzlich Kohle ins Feuer geworfen. Die Kollektivvertragsverhandlungen sind unterbrochen, ab kommenden Dienstag soll gestreikt werden. Unbefristet. Es ist das zweite Mal seit der Jahrtausendwende für die Metaller, wiewohl es 2011 nur zu Warnstreiks kam. Streikforscher Christian Koller erklärt im Gespräch mit derStandard.at, warum die Streikkultur in Österreich seit Jahrzehnten abflaut, warum es nie ein richtiges Revival gab und welche Rolle das politische System spielt.

derStandard.at: Wird gestreikt, ist die Folge häufig Chaos. Nicht so in Österreich. Hier herrscht eher Gemütlichkeit. Wieso diese zahme Streikkultur?

Koller: Gute Frage. Ausblenden darf man natürlich nicht, dass es bis zum Beginn des Ständestaates durchaus sehr viele und zum Teil auch sehr große Streiks gab. Immer wieder auch mit gewalttätigen Ausschreitungen. Nach den berühmten Oktoberstreiks 1950 im besetzten Nachkriegsösterreich flauten die Streiks bis Ende der 1980er-, Anfang der 1990er-Jahre ab. Auch danach nimmt sich das Revival der Streiks im internationalen Vergleich eher bescheiden aus. Einerseits prägten die Erlebnisse von 1950, die im Kontext des Kalten Krieges als kommunistischer Putschversuch dargestellt wurden und Streiken dadurch ein Stück weit diskreditierten. Zum anderen gibt es in Österreich im Vergleich zu anderen Ländern tendenziell starke korporatistische Strukturen. Und nicht zuletzt spielt auch das politische System eine Rolle: Meistens wurde das Land von einer großen Koalition regiert. Statt eines politischen Gegensatzes zwischen starker Opposition und Regierung wird vieles auf dem Verhandlungsweg und häufig auch hinter den Kulissen geregelt.

derStandard.at: In Deutschland können die Gerichte seit den 1950er-Jahren entscheiden, ob ein Streik rechtmäßig ist oder nicht. In Österreich unterliegen lediglich Betriebsversammlungen dem Arbeitsverfassungsgesetz. Wäre das nicht ein Anreiz zum Streik?

Koller: Nein. In Deutschland war das Streiken mehr oder weniger etwas Alltägliches. Um eine Eskalation zu vermeiden, mussten Streiks gesetzlich geregelt werden. In Österreich gab es keinen Anlass, solche Regelungen zu treffen, weil Streiks seit der Zweiten Republik etwas sehr Seltenes waren.

derStandard.at: Geben wir dem typisch österreichischen Streik ein Gesicht. Welches sind seine Spezifika?

Koller: Über lange Zeit waren wilde Streiks, also solche, die nicht von den Gewerkschaften unterstützt wurden, ein Spezifikum für Österreich. Hier sind vor allem die 1970er-Jahre zu erwähnen. Das hat sich zwar mittlerweile geändert. In der Regel beteiligen sich aber weniger Menschen am Streik als in anderen Ländern. Natürlich hängt das auch mit der Größe des Landes und den entsprechenden Branchen zusammen. Generell sind Streiks in Österreich eher kurz. Selbst in den 1980er-Jahren scheinen  die Streik-"Tage" Österreichs im Jahresschnitt in den internationalen Statistiken nicht in Tagen auf, sondern in Minuten (heute sind es Sekunden, Anm.).

derStandard.at: Wenn wir über Österreich hinausblicken, spielen Krisenzeiten eine Rolle für die Häufigkeit von Streiks?

Koller: Ja und nein. Häufig nehmen die Streiks in Ländern, in denen viel gestreikt wird, in wirtschaftlich guten Jahren eher zu. Wenn also klar ist, dass man eine reelle Aussicht hat, sich ein Stück vom größer werdenden Kuchen zu erkämpfen. Es gibt aber auch die Ansicht, dass in Krisensituationen mehr gestreikt wird, um beispielsweise den Abbau von Löhnen oder Arbeitsplätzen zu verhindern. Beide Thesen werden von empirischen Studien untermauert. Eine allgemeingültige Regel aufzustellen ist daher nicht möglich. (Sigrid Schamall, derStandard.at, 23.10.2013)