Autor Nicolas Clasen analysiert im Fachbuch "Der digitale Tsunami" den Umbruch der deutschen Medienbranche anhand der "Theorie der disruptiven Innovationen" nach Harvard-Professor Clayton Christensen.

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Das Internet ist einfach anzuwenden und jedem zugänglich. Genau diese beiden Faktoren stürzen seit einem Jahrzehnt Branche nach Branche in Veränderungsprozesse, deren Ergebnisse noch nicht abzusehen sind.

Die Medienbranche wurde als eine der ersten mit voller Wucht von der Omnipotenz des weltüberspannenden Netzes getroffen. In dem anarchisch strukturierten Digiversum war alles gratis zu bekommen: Musik, Nachrichten, Filme und TV-Serien. Der Anspruch der Exklusivität wurde ersetzt durch das "Alles immer haben können".

Dem Frieden nicht trauen

2013 ist der erste große Aufschrei verstummt, die schwächsten Glieder der Kette sind verschwunden. Deutsche Medienkonzerne wie Axel Springer und der Burda Verlag haben digitale Investments getätigt, ihre Plattformpräsenz bei Kleinanzeigen und E-Commerce ausgebaut und versuchen verstärkt, der globalen Konkurrenz mit Ideenklonen Paroli zu bieten. Ihre Geschäftsberichte preisen regelmäßig die Steigerung der digitalen Einnahmen an - doch stopp, ein Mann will dem Frieden nicht so ganz trauen.

"Warum versagen großartige Unternehmen im Wettbewerb um Innovationen, obwohl sie alles richtig machen?", fragt Autor Nicolas Clasen in seinem neuen Buch "Der digitale Tsunami - - Das Innovators Dilemma der traditionellen Medienunternehmen oder wie Data Driven Advertising den Medienmarkt auf den Kopf stellt". Der berufliche Grenzgänger zwischen etablierten Medienunternehmen und Start-Up-Kultur analysiert den Umbruch anhand der "Theorie der disruptiven Innovationen" nach Harvard-Professor Clayton Christensen.

Erschütterung der Macht

Disruptive Technologien erschüttern etablierte Märkte. Dieses Phänomen ist nicht neu. Still und heimlich gedeihen sie in geschützten Bereichen, oft in Nischenmärkten. Sie stellen zu Anfang keine Bedrohung dar, weil sie technisch oft noch fehlerbehaftet sind. Ist die Zeit jedoch reif, setzen sie zum Sprung an, indem sie entweder ein vorhandenes System in kürzester Zeit ersetzen oder ein Vakuum ausfüllen. 

Ein aktuelles Beispiel dafür ist das Google-Werbemodell Adwords. Der abverkaufsgetriebene Modus hat sich innerhalb weniger Jahre von einem Nischenprodukt zu einem Werbewerkzeug für jedermann entwickelt. Von dem jährlichen Gewinn, der bis zu 50 Milliarden Dollar betragen soll, finanziert sich der Suchmaschinenriese inzwischen sämtliche andere Unternehmungen.

Angst vs. Logik

Die traditionellen Medienunternehmen beobachten diese Entwicklung nach wie vor skeptisch. Die etablierten Denkmuster lassen eine derartige Abrechnungsphilosophie noch nicht zu. Dabei leuchtet das rückkanalbasierte Google-Werbesystem ein wie kein anderes. Abgerechnet wird nach tatsächlichen Interaktionen, anstatt nach Sichtkontakten. Erreicht eine Anzeige nicht die vorgegebene Messlatte, muss der Anzeigenkunde sie optisch oder textlich modifizieren, sonst fliegt sie raus. Von der daraus resultierenden Qualitätssteigerung profitieren beide Seiten.

Google Adwords ist im Kampf um Werbegelder nur ein Puzzlestück, Clasen jedoch erkennt in der fehlenden Adaptionsbereitschaft des Modells das Unvermögen einer ganzen Branche. Wie eingangs festgestellt, setzen die neuen Geschäftsmodelle vor allem auf einfache Anwendungen und sie haben damit Erfolg. 

"Vorstandsbuchungen"

In den Verhandlungen zwischen Mediaagenturen und traditionellen Medienhäusern wird nach wie vor nach dem Tausender-Kontakte-Preis (TKP) abgerechnet. Der Autor kritisiert in seinem Buch das Festhalten an diesem System, in dem nur die Nachrichtenplattformen der großen Printmedien ein gutes Überleben haben. Newsseiten wie spiegel.de oder sueddeutsche.de sind über Monate auf ihren Premiumwerbeplätzen mit sogenannten "Vorstandsbuchungen" ausverkauft, für zahlreiche andere Marktteilnehmer bleibt oft nur der Kampf ums nackte Überleben.

Doch was geschieht mit den leerstehenden Anzeigeninventaren? Die treten viele Digitalvermarkter zu Dumpimgpreisen an sogenannte Ad Networks ab. Diese verkaufen sie als Zwischenhändler auf einer leistungsbasierten Basis an Werbetreibende weiter. Einen Arbitragegewinn können sie nur dann erwirtschaften, wenn sie es schaffen, über Targeting und Nutzerdaten die Klickraten zu optimieren.

Kampf der Offline-Medien

Parallel zur digitalen Werbeentwicklung versuchen die Print- und TV-Anbieter die niedrigen Onlinepreise durch ein breiteres Angebot in den traditionellen Bereichen wieder auszugleichen, analysiert Clasen. Die Fernsehsender würden über Diversifikation künstlich ihre Anzeigenstrecken verlängern, um mehr Werbemarktanteile vom Print- in das TV-Segment zu verlagern. Dieses Phänomen zeigt sich in der vermehrten Gründung von TV-Spartensender wie Sixx, RTL Nitro oder Sat.1 Gold.

Die Printverlage setzen auf neue Allianzen. So hat der Verband Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ) im Zuge dieser Entwicklung ein eigenes Buchungssystem entwickelt, um den komplexen Buchungsprozess über alle deutschen Printmedien hinweg zu vereinfachen. Geht es nach Clasen, tappen die klassischen Medien damit in eine Innovationsfalle. Das Überangebot steigert seiner Meinung nach die Anspruchshaltung von Nutzern und Anzeigenkunden und sorgt zeitgleich für sinkende Preise. Im Zuge dieses "Over-Engineering" entsteht der These von Christensen zufolge ein Vakuum das neue Dienste ausfüllen können.

Inhalte und Ökosysteme

Der Autor äußert in "Der digitale Tsunami" die Befürchtung, dass viele Medienmanager aufgrund der breit gefächerten Digitalinitiativen das Gefühl haben, dass das Schlimmste bereits überstanden sei. Im Angesicht der erwachsenden Werbekonkurrenz und der neuen Contentkonkurrenz im Text- und Bewegtbildmarkt sieht Clasen den Zeitpunkt für die große Erleichterung allerdings noch nicht gekommen.

Um die disruptiven Herausforderungen zu meistern, rät er zur Rückbesinnung auf das Kerngeschäft und die Investition in die Qualität ihrer digitalen Inhalte. Für das Gedeihen des digitalen Werbegeschäfts braucht es seiner Meinung nach einen einheitlichen und direkt messbaren Leistungsnachweis für den Werbeerfolg von Imagekampagnen auf den digitalen Plattformen sowie die Adaptierung der neuen Vermarktungstechnologie wie Data Driven Advertising.

Verkehrte Welt

Sollten die Medienunternehmen nicht bald ihre Strategie zugunsten der genannten Faktoren ändern, prophezeit Clasen das große Scheitern: "Denn all das, was Unternehmen und Manager in 'normalen' Märkten erfolgreich mache, führe beim Auftreten disruptiver Innovationen überraschenderweise zum Scheitern. Ausgeprägte Kundenorientierung, sorgfältige Beobachtung der Konkurrenz, Investitionen zur Verbesserung der Leistungsfähgikeit der eignene Produkte und Technologien, Wachstums- und Margenorientierung: diese jahrzehntelang gültigen Erfolgsrezepte seien plötzlich Irrwege (...)." (tara, derStandard.at, 2.12.2013)