Die Straße ist der neue Laufsteg. Nirgends ist das so offensichtlich wie in London. Hier tummeln sich besonders viele Street-Style-Infizierte. Die meisten von ihnen sind junge Frauen. Wir haben rund um die jüngste Fashion Week einige der Protagonistinnen getroffen.

rüher einmal war die Modeszene ein hermetisch abgeriegelter Bereich. Die Outfits waren dunkel, die Hierarchien starr, die Protagonisten kannten sich. Heute ist die Modeszene ein mehr als diffuses Gebilde. Was vor den Modeschauen vor sich geht, ist fast genau so wichtig wie das, was auf dem Laufsteg präsentiert wird. Die neuen Protagonisten sind Blogger oder Street-Style-Fotografen, sie sind jung und internetsüchtig und kleiden sich so bunt wie Paradiesvögel.

"Zirkus der Mode"

Mit "Der Zirkus der Mode" hat die Journalistin Suzy Menkes vor einiger Zeit einen Artikel überschrieben, in dem sie ein bisschen wehmütig den alten Zeiten nachtrauert und angesichts der neuen Kräfteverhältnisse nur den Kopf schütteln kann. Die neuen Fashion-Celebritys seien in erster Linie wegen ihrer Facebook-Seiten oder Blogs berühmt oder weil sie irgendein Street-Style-Fotograf abgelichtet hat. Der Einfachheit halber sind die meisten Blogger und Street-Style-Fotografen in Personalunion und lichten sich am liebsten selbst ab.

In London, jener Stadt, die modisch als die kreativste gilt, ist das Phänomen am offensichtlichsten. Vor jeder Modeschau versammeln sich Trauben von Modejüngern, denen es in erster Linie um eines geht: gesehen zu werden. Unter ihnen sind besonders viele junge Frauen. Aber wer sind diese Menschen, die in den sozialen Medien oft Berühmtheiten sind, aber außerhalb davon unbeschriebene Blätter? Und was sagen sie selbst zum ganzen Street-Style-Blogger-Wahn? Wir haben uns umgeschaut und umgehört.

Adi Mani, Juristin und Bloggerin

Standard: Könnten Sie den Londoner Stil beschreiben?

Adi Mani: Er ist der beste! Jung, am offensten, was neue Trends betrifft, viele verschiedene Looks, auch weil alles hier so multikulturell ist.

Standard: In London wird um Street-Style besonders viel Rummel gemacht, die Bloggerszene boomt. Was halten sie davon?

Mani: Es wird jede Saison extremer. Am skurrilsten sind die Leute, die ohne Kamera oder Ticket vor den Shows herumwarten, einfach nur, um fotografiert zu werden. Andererseits ist die Bloggerszene eine richtige Gemeinschaft geworden, jeder kennt jeden, und fast niemand interessiert sich für die Modeschauen selbst.

Standard: Weigern Sie sich manchmal, fotografiert zu werden?

Mani: Ja, manchmal wollen mich Leute beim Herumstehen nicht nur fotografieren, sondern auch filmen. Das finde ich eigenartig, besonders wenn die Pseudokameramänner nicht so ausschauen, als hätten sie etwas mit der Fashion-Week zu tun.

Adi trägt Hemd und Jacke von København K, Hut von Christys, Sonnenbrille Monokel.

Foto: Britta Burger

Marianne Theodorsen, Fotografin und Bloggerin

Mariannes norwegischer Blog heißt Styledevil und hat die Tagline "Ich verkaufe meine Seele täglich an den Modeteufel". Sie bloggt seit sechs Jahren über Mode, fotografiert aber nicht nur während modischer Großereignisse wie der London Fashion Week. Ihre Fotos erscheinen in Publikationen wie der Elle. Sie modelt auch für ihren Blog, auf dem sie die Kategorie "I Want!!" eingeführt hat, in der sie sich Kleidung und Accessoires verschiedener Labels wünscht.

Der Karoanzug ist von Kenzo, der Mantel von Avalon, Tasche Céline, Turnschuhe Adidas.

Foto: Britta Burger

Maria Pizzeria, Fotografin und Bloggerin

Sie nennt sich Maria Pizzeria, hat türkise Haare und eine Schwäche für Sportswear. Mit 22 ist sie schon Fotografin, Stylistin, Illustratorin, hat ein eigenes Magazin, modelt in Popvideos und ist Social-Media-Expertin für zwei Agenturen. Branding ist ihr wichtig: Als Blogger sei man nämlich ein wandelndes Werbeplakat. Ob die Street-Style-Blogger die Fashion Week verändert haben? "High Fashion ist durch Blogger greifbarer und massentauglicher geworden."

Vintage-Mickey-Mouse-Sweater, Polly Pocket-Anhänger, Weekday-Jeans, Quay-Sonnenbrille und Juju-Sandalen.

Foto: Britta Burger

Nadia Sarwar, Fotografin und Bloggerin

Nadia ist aus Brooklyn und fotografiert Street Style auf der New Yorker, Pariser und Londoner Fashion Week für ihren 2009 gegründeten Blog FrouFrouu. London mag sie am liebsten, weil die Leute dort am kreativsten sind und relaxte Outfits tragen, Mailand interessiert sie dagegen gar nicht. Sie macht kaum noch Laufstegfotos weil sie sich jetzt hauptsächlich auf Street-Style konzentriert. Ein besonderes Auge hat sie für Männerstyles.

Nadia trägt eine Kappe von Mishka, ein Hemd von Zara und eine Vintage-Jacke.

Foto: Britta Burger

Anne Sophie Costa, Visagistin

"Ich komme gerade von der Modeschau von Christopher Kane, bin nach drei Stunden Schlaf um fünf aufgestanden und war dann sechs Stunden lang backstage. Es war hektisch, die Fotografen warfen sich buchstäblich zwischen uns und die Models, die wir schminken sollten. Aber wir machen halt alle unseren Job. Als ich die Location verlassen wollte, bin ich so oft fotografiert worden wie noch nie. Ich hab mir gedacht, "Honey, ich bin ein kompletter Nobody", und habe gar nicht bemerkt, dass ich meinen Mantel verkehrt herum anhatte. Die Fotografen offensichtlich auch nicht."

Anne Sophies Mantel ist von Monki, der Rock von Topshop, Top Primark, Gürtel Moschino, Tasche Prada.

Foto: Britta Burger

Mia Kingsley, Fotografin und Journalismuspraktikantin

"Alle sagen, dass London cooler, relaxter und Grunge-verliebter ist als andere Modestädte, aber ich würde lieber in einer weniger modeverrückten Stadt wohnen, wo ich nicht von Leuten umgeben bin, die ihre Jeans zerreißen. Wenn ich die Modeblogger sehe, die sich vor dem Eingang zu Modeschauen gegenseitig fotografieren und gar kein Ticket haben, finde ich das traurig. Aber nur deswegen, weil die Shows anscheinend so exklusiv sind, dass offensichtlich nicht einmal Blogger, die tausende Kilometer anreisen, wichtig genug sind für ein Ticket." (Rondo, DER STANDARD, 25.10.2013)

Neoprenanzug Roxy, Samtmantel Amaranto, Stiefel Doc Martens, Sonnenbrille Quay.

Foto: Britta Burger