Der Habsburger-Kaiser Karl VI. befahl 1725, alle männlichen "Zigeuner" hinzurichten und den Frauen und Kindern ein Ohr abzuschneiden. Seine humaneren Nachfolger auf dem Thron, Maria Theresia und Josef II., betätigten sich als Sozialingenieure und ließen "Zigeuner"-Kinder auf burgenländische Dörfer verteilen. Da die Eltern die Kinder oft wieder zurückholten, entstand die Legende: "Zigeuner stehlen Kinder."

Der Vorfall in Griechenland, wo ein blondes, blauäugiges Kind als "Tochter" eines sehr dunklen Roma-Paares aufgegriffen wurde, scheint dieses Vorurteil hingegen zu bestätigen; auch angesichts der Tatsache, dass von den 14 Kindern, für die das Paar fast 3000 Euro Sozialhilfe erschwindelte, einige auf keinen Fall die leiblichen Nachkommen sein können. Die kleine, blonde Maria wurde möglicherweise von ihrer Mutter an das kriminelle Roma-Paar verkauft (und von denen betteln geschickt).

Abstoßungsreaktionen im Osten und im Westen

Ärger kann es kaum kommen, damit ausgesprochene Roma-Hasser und schockierte Bürger sich bestätigt fühlen können/müssen. In Europa leben etwa zehn bis zwölf Millionen Roma. Die meisten in den Ländern Osteuropas, die zur EU gekommen sind (Bulgarien, Rumänien, Slowakei, Tschechien), aber auch im Westen. Die Mehrzahl der Roma, vor allem aus Südosteuropa, ist sehr arm; diese Armut wandert. Ihre auch aus der Armut resultierende Lebensweise und ihre Sozialstrukturen erzeugen beunruhigende Abstoßungsreaktionen sowohl in Osteuropa als auch in Westeuropa, wohin sie infolge der EU-Reisefreiheit vermehrt migrieren.

Der Journalist Norbert Mappes-Niedek hat in einem sehr gut recherchierten, zugleich realistischen wie empathischen Buch (Arme Roma, Böse Zigeuner, Ch.-Links-Verlag 2012) die Problematik herausgearbeitet: "Sie stehlen und sind arbeitsscheu, behaupten die einen. Sie machen gute Musik und wurden jahrhundertelang verfolgt, erwidern die anderen. Beides widerspricht sich streng genommen nicht ... Aber niemand kann erklären, was sie eigentlich so grundsätzlich von anderen Menschen unterscheidet ... Wollen, sollen sie sich anpassen? Wie geht man 'korrekt' mit Ihnen um?"

Armut, Arbeit, Bildung, Gesundheit

In verschiedenen Ländern glimmt eine Lunte. Frankreich schiebt Roma aus Nicht-EU-und EU-Ländern ab (siehe den Fall Leonarda, jene 15-jährige integrierte Schülerin aus dem Kosovo, die sogar Präsident Hollande beschäftigte). In Deutschland machen Zuzügler aus Rumänien und Bulgarien die jeweilige Nachbarschaft rebellisch; in Tschechien, der Slowakei und Ungarn sind auch lange ansässige Roma Gewaltopfer von Neonazis. In Österreich sind Bettler aus Bulgarien und Rumänien ein (nicht allzu großes) Thema.

Norbert Mappes-Niedek hat recht, wenn er sagt, als "Roma"-Problem ließen sich die Probleme der Roma und die Probleme mit ihnen nicht lösen. Die Probleme müssten beim richtigen Namen genannt werden: Armut, Arbeitslosigkeit, Bildungsmisere, unterfinanziertes Gesundheitswesen. Was das bedeutet, ist auch klar: noch ein Problem mehr auf der Agenda der Europäischen Union. (Hans Rauscher, DER STANDARD, 23.10.2013)